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Der Freier

09.09.2016

06.04.23

Über ein Interview mit Quentin Tarantino

Gewalt im Film

Anlass für den folgenden Artikel war ein Interview Quentin Tarantinos beim amerikanischen Podcaster Joe Rogan (Auschnitte hier, hier und hier).

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Quentin Tarantino, von seinen Fans geht die Nötigung aus, sich mit seinen Filmen zu beschäftigen. Wer erklärt, sich von den Gewaltdarstellungen, für die Tarantino so gefeiert wird, einfach abgestoßen zu fühlen, steht schon unter Verdacht der Prüderie: ein gesellschaftliches Tabu zu vertreten, das zu unterlaufen der unvermeidbare Weg des gesellschaftlichen Fortschritts doch sei.

Mit Recht kritisiert Tarantino im oben erwähnten Interview den Zwang zum Happy End, zur Wandlung aller abstoßenden und bösartigen Protagonisten zu Kuschelhelden. Implizit kritisiert er damit ein Publikum, das nicht mehr die Stärke der Distanz zu dem was es sieht, aufzubringen vermag. Dies ist der Wahrheitsgehalt seiner Gewaltdarstellung als Kritik: angesichts der tatsächlichen Gewalt, individuell wie kollektiv verübt, liefert der Verzicht auf die Darstellung solcher Grausamkeiten dem Publikum Besänftigung, und wird damit zur Affirmation des Bestehenden. Das Bedürfnis nach Happy End, ebenso wie das Bedürfnis, nichts sehen zu müssen was einen abstößt, ist regressiv, indem es der Realität ausweicht und, konfrontiert mit dieser, zusammenbrechen muss.

Soweit die kritische Seite. Was diese Darstellung von Gewalt zum Zwecke des Tabubruchs allerdings vergisst, ist dass die reale Gewalt, gerade wo sie zur sadistischen Quälung sich steigert, benennbare gesellschaftliche Quellen hat, allen voran immer und immer wieder ein Machtgefälle zwischen Täter und Opfer. Eine davon abgelöste, frei flottierende Gewalt gibt es nicht und hat es nie gegeben. Tarantino kann gar nicht anders, als die Gewalt zu individualisieren: als Werk einzelner, psychopathischer oder zumindest vergleichslos kaltblütiger Charaktere. Damit aber wird er selbst regressiv. Seine Filme gerinnen zur Feier der liberalen Gesellschaft, in der alle systemischen Gründe für Gewalt ausgeräumt sein sollen; in der Gewalt, gerade indem sie jeden treffen kann, nur noch als zufällige existiert. Er flüchtet, in einem Wort, vor der realen Gewalt.

Die Unangemessenheit der ideologisch verklärten, individualisierten Gewalt zeigt sich vielleicht am besten in seinem Anti-Nazi-Film „Inglourious Basterds“, der damit endet, dass Hitler und die NS-Oberen von einer jüdischen Posse beim Theaterbesuch mit Maschinengewehren massakriert werden. Ein anderes, gar umgekehrtes Ende war Tarantino an dieser Stelle nicht möglich, weil die drohende Amalgamierung der Gewalt mit ihren tatsächlichen gesellschaftlichen Gründen zum Zusammenbruch seines gesamten künstlerischen Werkes geführt hätte. Die tabubrecherisch befreite, als positives Stilmittel eingesetzte fiktionale Gewalt führt zurück zum Happy End, nicht zum Begriff.

Die Polarisierung, die Tarantinos Filme bewirken, verläuft grob an der Grenze zwischen den tatsächlichen oder potenziellen Opfern der gesellschaftlichen Gewalt, und den durch Geschlecht, Hautfarbe und Machtposition im Regelfall davor Geschützten. Im Interview erzählt er die Geschichte von einem Produzenten, der ihn davor gewarnt hatte, dass die Folterszene in Reservoir Dogs Frauen abstoßen werde. Seine Wahl in einem seiner späteren Filme, dass es eine Frau war, die von den anderen Charakteren zugerichtet würde, erklärt er damit, dass das Publikum so mehr geschockt würde. Während er einerseits gezwungen ist, die Gewalt von ihren tatsächlichen Grundlagen zu lösen, muss er andererseits beständig mit der tatsächlichen, sehr wohl an gesellschaftliche Bedingungen geknüpften Gewalt kokettieren. Die Fans, die seine Filme finden, mögen die Gewalt als Tabubruch rationalisieren, tatsächlich erleben sie sie als Kitzel des Verbotenen. Etwas irritiert muss Tarantino gewesen sein, als die Vergewaltigungsanklagen gegen Harvey Weinstein, seinen langjährigen Produzenten und Protektor im Filmgeschäft („er war eine Vaterfigur für mich, gleichwohl eine fucked-up father figure“) herauskamen; darauf vom Interviewer angesprochen, hatte er natürlich von nichts gewusst, was stimmen mag oder nicht, kannte nur dessen allgemein übergriffiges Verhalten und machte sich den Vorwurf, dass er sich nicht mal mit ihm zusammengesetzt und ein ernstes Gespräch geführt hätte.

Happy End mit dem Kuschelhelden Harvey Weinstein. Nicht die gesellschaftliche und geschlechtliche Machtposition, die dieser inne hatte, spiegelte sich in seiner Gewalt, sondern es war alles nur eine Marotte, die ein ernsthaftes Gespräch hätte beseitigen können. Die Lüge einer begründungslosen Gewalt auf der Leinwand wird zur Lüge über die tatsächliche Gewalt dieser Gesellschaft.

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