Nachrichten und Kritik
10.01.21
Der Premierminister gibt Befehle aus, kritische JournalistInnen und ParlamentarierInnen werden bedrängt
Der Autoritarismus und die Arroganz der griechischen Regierung nehmen immer skurrilere Züge an. Wenn im deutschen Sprachraum große Zeitungen und Fernsehanstalten einer Nachricht über eine Begebenheit im Land ein „auf Befehl des“ Premierministers voranstellen würden, würde dies bei vielen Geschichtsbewussten Assoziationen zu einer dunklen Zeitperiode wecken. Nicht so in Griechenland, wo diese Phrase zur Stärkung des politischen Profils von Premier Kyriakos Mitsotakis genutzt wird.
Mitsotakis entwickelt sich immer mehr zum autoritären, feudalen Regenten, der für sich selbst, und seinen erweiterten Hofstaat, Sonderrechte in Anspruch nimmt. Mitsotakis und seine Gattin brachen mehrmals die von Mitsotakis erlassenen oder abgesegneten Pandemieregeln. Er selbst begründete die im Fernsehinterview am 7. Dezember 2020 beim Sender Alpha TV gegenüber dem Journalisten Antonis Sroiter mit „einem Moment der Unachtsamkeit“. Eine Unachtsamkeit, für die „auf Befehl“ der Regierung Normalsterbliche pro Verstoß jeweils 300 Euro Bußgeld entrichten müssen.
„Auf Befehl von Mitsotakis erhalten Bezieher niedriger Renten auch 2021 kostenlos ihre Medikamente“ (iefimerida.gr am 29. Dezember 2020), „auf Befehl von Mitsotakis finden die Sportveranstaltungen ohne Zuschauer statt“ (capital.gr vom 20. Oktober 2020), „Coronavirus: auf Befehl von Mitsotakis werden Maßnahmen für Attika vorbereitet“ (iefimerida.gr vom 14. September 2020). Eine einschlägige Suche mit den Schlagwörtern „auf Befehl“ liefert nahezu unzählige Ergebnisse. Die Suchmaschine Google lieferte am 30. Dezember 2020 bei einer Suche nach „auf Befehl Mitsotakis“ 2.230.000 Treffer.
Mitsotakis Befehle ergingen, nachdem es wegen diametral entgegengesetzter Anordnungen oder Gesetzeserlasse seiner Minister zu einem öffentlichen Aufschrei kam. Die Streichung der kostenfreien Medikamente für krankenversicherte Bezieher niedriger Renten war just am 29. Dezember vom Arbeits- und Sozialminister Giannis Vroutsis bekannt gegeben worden. Besucher in Stadien der professionellen Ligen waren vom zuständigen parlamentarischen Staatssekretär für Sport, Lefteris Avgenakis, und vom für die Pandemiemaßnahmen zuständigen parlamentarischen Staatssekretär für Katastrophenschutz, Nikos Hardalias, für möglich erklärt worden. Die von Mitsotakis für Attika angekündigten Maßnahmen gegen die Ausbreitung der Pandemie hatte er selbst zuvor als wirtschaftsschädlich ausgeschlossen.
Das dahinter steckende Handlungsmuster ist offensichtlich. Wann immer etwas in der Regierung falsch läuft, und auch, wenn der Premier Mitsotakis selbst einen Fehler macht, stilisiert sich dieser zum Helden, der mit einem Befehl die Dinge wieder gerade rückt. Unter seinen Anhängern wird auch der Begriff „Führer“ für Mitsotakis benutzt. Ein Wort, das im allgemeinen Sprachgebrauch in Griechenland nicht so negativ konnotiert ist wie in Deutschland. Selbstkritik steht bei dieser Show nicht im Programm.
Schließlich „ stoppen die Impfungen von Regierungsoffiziellen auf Befehl von Mitsotakis“ (iefimerida.gr vom 30. Dezember 2020). Griechenland hat bei der Impfkampagne gegen die Ausbreitung der CoVid19-Pandemie erheblich weniger Impfdosen erhalten, als von der Regierung vorher in triumphalen Verlautbarungen angekündigt wurde. Zwei Millionen Impfdosen bis Jahresende wurden noch Anfang und Mitte Dezember von Gesundheitsminister Vassilis Kikilias als persönlicher Erfolg gefeiert, schlappe 9.500 kamen mit der ersten Lieferung am zweiten Weihnachtstag ins Land. Ganze 1000 davon gingen direkt verloren, weil die erforderliche Kühlkette nicht eingehalten wurde.
Vorgeblich um Impfgegner zu überzeugen hatte sich der Premier als einer der ersten impfen lassen. Eine ähnlich symbolische Handlung gab es von Seiten der übrigen Parteichefs der Parlamentsparteien. Mit Ausnahme des skeptischen Rechtspopulisten Kyriakos Velopoulos, dem Vorsitzenden der Griechischen Lösung, hatten sich bis zum 30. Dezember 2020 alle impfen lassen.
Am Dienstag, dem 29. Dezember waren im „Hauptkrankenhaus für CoVid19“, dem Sotiria Krankenhaus in Athen eigentlich die Ärzte und Krankenschwestern der Intensivstationen an der Reihe. Sie erschienen zur Impfung, wurden aber im letzten Moment abgewimmelt. Stattdessen sahen sie wie 61 Regierungsoffizielle, vom Minister, zum Staatssekretär bis hin zum Pressesprecher defilierten, sich impfen ließen und davon dann in sozialen Netzwerken stolz die Fotos präsentierten.
Es folgte ein öffentlicher Aufschrei im Inland. Sofort sprangen die Unterstützer der Regierung dieser zur Seite. Professorin Athina Linou, selbst Mitglied der staatlichen Virologenkommission für die Pandemie entschuldigte den Affront. Gegenüber dem Fernsehsender ANT1 meinte sie, „jeder Mensch der sich impfen lässt schützt Leben. Er begrenzt die Verbreitung des Virus und gibt ein Beispiel. Besonders für die Kategorie der Politiker ist es wichtig, dass sie ihr eigenes Leben schützen. In einem Krieg werden die Könige zuerst gerettet.“
„Die Nationale Impfbehörde hat die Priorität festgelegt, mit der bestimmte Beamte wie die Minister aus Sicherheitsgründen geimpft werden, damit der Staat seine Tätigkeit fortsetzen kann“, ergänzte der zuständige Gesundheitsminister Kikilias und erklärte, dass es am Vorrecht der Regierungspolitiker auf die Impfung nichts auszusetzen gäbe.
Kikilias Vizeminister Vassilis Kontozamanis beharrte darauf, dass die Regierungspolitiker auf Anordnung des Büros des Premierministers bevorzugt geimpft würden. Er sprach von einer Strategie, welche die Kontinuität des Staats sichern solle und behauptete, dass die in sozialen Netzwerken von den Politikern selbst verbreiteten Fotos von der Impfung Teil der Strategie seien.
Mitsotakis „Befehl“ mit dem Spiel aufzuhören, kam, nachdem das internationale Magazin Politico.eu das Geschehen am späten Abend des 29. Dezembers mit einem überaus kritischen Artikel kommentierte.
Blitzschnell reagierte die regierungsfreundliche griechische Presse. Die Kathimerini schrieb über die Rage von Mitsotakis, die bis zu den Bäumen im Vorgarten des Amtssitzes hörbar gewesen sein soll.
Bei ähnlich scharfer Kritik, wie sie Politico an der griechischen Regierung übte, müssen die Journalisten griechischer Medien persönliche Konsequenzen fürchten.
Kürzlich wurden zwei Journalistinnen vom gleichen Medienkonzern entlassen, beziehungsweise zur eigenen Kündigung gedrängt. Elena Akrita hörte nach mehreren Jahrzehnten bei der Zeitung Ta Nea auf, und Dimitra Kroustalli verließ entnervt ihre Stelle als Chefin vom Dienst bei To Vima. Bei Akrita führte ein Kommentar, welcher Oppositionsführer Alexis Tsipras Recht und Premier Mitsotakis Unrecht gab, zum Eklat. Der Text wurde nicht veröffentlicht. Akrita zog die Konsequenzen.
Kroustalli hingegen hatte in einer Titelgeschichte eine investigative Reportage über die doppelte Buchführung hinsichtlich der staatlich registrierten CoVid19-Fallzahlen veröffentlicht. Sie trat zurück, kündigte und beklagte sich öffentlich über den „erstickenden Druck“ seitens des Amts des Premiers. Während Akrita eine Affinität zur Oppositionspartei SYRIZA nicht abzusprechen ist, liegt die Ausgangslage bei Kroustalli anders. Sie gehörte zu den Journalisten, die Mitsotakis schon zu dessen Oppositionszeiten unverblümt stützten.
Die Regierung toleriert selbst von der ihr gegenüber freundlich gesonnenen Presse nicht die geringste Infragestellung oder Kritik an einigen ihrer Handlungen. Die Medienunternehmer selbst wollen oder können offenbar kein Rückgrat zeigen. Regierungssprecher Petsas behauptet dagegen, dass „die Regierung nicht in die Medien eingreift”. Er verantwortet jedoch selektiv an die Medienunternehmen verteilte Coronahilfsgelder in mehrfacher Millionenhöhe. Der nächste Geldregen steht an. Nun möchte das Gesundheitsministerium Finanzmittel an die Presse verteilen.
Es ist tragisch, dass dies ausgerechnet in dem Land geschieht, welches sich als Wiege der Demokratie rühmt. Der antike Athener Stratege und Geschichtsschreiber Thukydides hatte einst bemerkt, „ich klage nicht diejenigen an, die Regierung ausüben, aber jene, die willfährig gehorchen“. Ohne kritische Presse hat Mitsotakis ein leichtes Spiel.
Auch im Parlament haben kritische Oppositionspolitiker Probleme, wenn sie die falschen Fragen stellen. Am 16. Dezember verlor die Abgeordnete von DiEM25 Angeliki Adamopoulou mit den Stimmen der Regierungsabgeordneten der Nea Dimokratia und Stimmen aus der Fraktion der sozialdemokratischen PASOK ihre parlamentarische Immunität.
Insgesamt 162 Abgeordnete stimmten für die Aufhebung der Immunität von Frau Adamopoulou. 116 Parlamentarier stimmten dagegen. Die Gewerkschaft der Beamten der griechischen Polizei von Zentralmakedonien hatte gegen die Abgeordnete wegen Verleumdung eine Strafanzeige eingereicht.
Diese hatte am 2. Juli während der Aussprache über die Gesetzesinitiative des Ministeriums für Bürgerschutz über die “öffentlichen Kundgebungen unter freiem Himmel“ für ihre Partei Zweifel am Gesetz ausgesprochen. Hinter dem kompliziert klingenden Namen verbirgt sich ein Gesetz, welches die Veranstalter von Demonstrationen für Schäden, welche im Zusammenhang mit eventuellen Ausschreitungen entstehen sowohl straf- als auch zivilrechtlich haftbar macht. Adamopoulou berief sich auf einschlägige Presseberichte und Zeugenaussagen, und behauptete, dass es innerhalb der griechischen Polizei Einheiten oder einzelne Beamte gibt, welche mit Kapuzen als Demonstranten getarnt Molotow-Cocktails werfen würden und auch weitere Provokationen starten könnten, um Protestdemonstrationen zur Eskalation, und damit zur Auflösung durch die Polizeikräfte zu führen. In diesem Zusammenhang stellte sie die rhetorische Frage, wie dann die Haftung durch den Veranstalter der Demonstration gerechtfertigt sei. Dies wiederum wurde von der Polizeigewerkschaft als Beleidigung und Verleumdung aufgefasst.
Der Generalsekretär von MeRA25, Yianis Varoufakis, empfindet dies als „große Niederlage des Parlamentarismus”. Varoufakis wählte ein Wortspiel er bezeichnete die Nea Dimokratia (Deutsch: Neue Demokratie) als „neuen Diktatur mit einem parlamentarischen Tarnmantel”. Fakt ist, dass unter der Regierung Mitsotakis durch den Entzug der parlamentarischen Immunität von Adamopoulou die freie Meinungsäußerung der Parlamentarier mehr eingeschränkt wird, als es in den vergangenen Legislaturperioden der Fall war.
“Im Jahr 2020 wurden wir geprüft, hier an der Grenze in Kastanies, wir wurden am Evros einer Prüfung unterzogen, wir mussten uns auf den Intensivstationen bewähren. 2021 ist die Zeit der Sicherheit. Der Impfstoff und der Zaun. Wir werden das Coronavirus besiegen, wir werden als Land sicher sein, als Griechen, wir werden als Europäer sicher sein, weil die Männer und Frauen der Streitkräfte, die Männer und Frauen der griechischen Streitkräfte die Grenzen effektiv bewachen und uns stolz machen.” Dies wurde kurz vor Jahreswechsel vom Minister für Bürgerschutz, Michalis Chrysochoidis, aus Kastanies, Evros [an der griechisch türkischen Grenze] erklärt.
Mit diesen Worten leitete am 29. Dezember der staatliche Nachrichtendienst Athens News Agency – Macedonian News Agency einen Artikel über den Bürgerschutzminister ein. Kritiklos übernahmen viele Medien den Beitrag, der die Bedrohung der Pandemie mit der Flüchtlingskrise auf eine Stufe stellt. Die Assoziation von Geflüchteten mit einem tödlichen Virus, ein weiteres Foul, welches in anderen EU-Staaten bereits einen Anlass zur Sorge um die demokratischen Werte einer Regierung hervorgerufen hätte. In Griechenland ist es die Law and Order Politik, die Mitsotakis bereits in seinem Wahlkampf angekündigt hatte. Die Regierung ist stolz auf den Personalausbau der Polizei und die Aufrüstung der Ordnungshüter mit neuem Gerät. Hinsichtlich der Intensivstationen und des Personals in den Krankenhäusern ist sie aber knausrig.