Nachrichten und Kritik
18.11.20
Griechenland zwischen drakonischen Corona-Strafen und kirchlicher Leugnung
In Griechenland herrscht seit dem 6. November 2020 ein zweiter, harter Lockdown. Das öffentliche Leben wird drastisch eingeschränkt. Persönliche Freiheiten, wie zum Beispiel das Treffen mit Lebensgefährten, sind nur mit einer Reihe bürokratischer Nachweise möglich. Für das Verlassen der Wohnung müssen SMS mit der Angabe des Zwecks des Ausgangs an einen zentralen Server geschickt werden. Sechs verschiedene Gründe für einen Ausgang sind erlaubt. Zudem dürfen Grundschulkinder in die Schule gebracht werden, und der Arbeitsplatz darf aufgesucht werden. Gymnasien und Lyzeen, die Schulen der Sekundarstufe, wurden wegen der erhöhten Ansteckungsgefahr ebenso geschlossen wie die Universitäten. Bei den Grundschulen konnte die Regierung kein Konzept zur Betreuung der Kinder finden, so dass diese offen bleiben, damit die Eltern arbeiten können.
In Krankenhäusern Nordgriechenlands hat, gemäß den öffentlichen Äußerungen mehrerer Krankenhausärzte und ärztlicher Verbandsfunktionäre bereit die Triage – die Entscheidung, wer behandelt werden kann und wer nicht – begonnen. Die Mediziner müssen entscheiden, welche der PatientInnen sie versorgen, und welche sterben müssen. Noch gibt es immer halbherzigere Dementis der Regierung. Griechenland stehen Zustände wie in der Lombardei im Frühjahr bevor.
Polizeistreifen verteilen bei jeder Gelegenheit Strafzettel wegen Verstößen gegen die Quarantänemaßnahmen. Dass Straßenmusikantin nicht als vom Finanzamt anerkannter Beruf zählt, musste eine Musikantin in Thessaloniki erfahren. Sie bekam gleich drei Bußgeldbescheide. Einen, weil die Polizei ihren Beruf nicht anerkannte, und somit das Verlassen des Hauses verboten war. Ein weiterer wurde wegen des Singens im Freien ohne Maske fällig und schließlich kam noch ein weiterer, wegen „unerlaubten Einnehmens öffentlichen Grunds“ dazu. Insgesamt waren somit 500 Euro Strafe fällig.
Geflüchtete im neuen Flüchtlingslager Kara Tepe auf der Insel Lesbos haben mit dem Umstand zu kämpfen, dass es außer dem direkt neben dem Lager befindlichen Meer keine Waschmöglichkeit gibt. Sie dürfen das Lager, in dem sie in unbeheizten Zelten vegetieren, wegen des Lockdowns nicht verlassen. Zudem haben sie dadurch keinerlei Zugang zu Geschäften, um sich mit notwendigen Waren zu versorgen. Seitens des UNHCR gibt es pro Kopf und Monat 90 Euro, von denen ein Teil für die Verpflegung im Lager einbehalten wird. Bußgeldbescheide über 150 Euro erteilt nun die Polizei für jeden, den sie ohne Maske im Lager antrifft.
Nahezu täglich werden die Maßnahmen verschärft. Ab dem 14. November herrscht zusätzlich ab 21 Uhr eine nächtliche Ausgangssperre. Zwischenzeitlich ist unklar, ob in dieser Zeit die Pflege von bedürftigen Personen als Ausnahme für das Verlassen des Hauses zulässig ist. Die nächtliche Ausgangssperre verbietet unter anderen den in Supermärkten Beschäftigten, nach Dienstschluss allein den ansonsten gestatteten Spaziergang zu unternehmen. Es sei denn, sie haben ein Haustier, was vor die Tür muss. Denn die Supermärkte bleiben bis 21 Uhr geöffnet.
Corona-Leugnung steht unter Strafe. Werden einschlägige Aufrufe zum Brechen der Pandemieregeln über Medien oder soziale Netzwerke veröffentlicht, so handelt es sich um ein Offizialdelikt. Die Staatsanwaltschaft greift dann ohne Anzeige ein.
Vierzehn Griechen, die Anfang November auf dem Syntagma-Platz gegen die Quarantänemaßnahmen demonstrieren wollten, wurden umgehend festgenommen. Sie müssen sich nun vor Gericht wegen „Aufrufs zur Missachtung der Regeln gegen die Ausbreitung der Pandemie des neuartigen Corona-Virus“ verantworten.
Die Regierung hat in der Pandemie zahlreiche Presseerzeugnisse mit Extrageldern gesponsert. Pressevertreter müssen sich bei den Pressekonferenzen zur Corona-Krise vom parlamentarischen Staatssekretär für Bürgerschutz, Nikos Chardalias, sagen lassen, wie sie die Stimmung der Bevölkerung steuern und beeinflussen sollen. Regierungskritik ist unerwünscht.
So werden Zeitungen die in Berufung auf Ärzte und Professoren über Triage berichten, öffentlich vom Premierminister und seinen Mitarbeitern als „Gosse des Internets“ bezeichnet. Stramm rechtskonservative Medien, die auch die Adenochrom-Verschwörungen der Quanon-Jünger verbreiten, erhalten Fördergelder, solange sie die Regierung nicht direkt angreifen. Bei linken Medien ist die Regierung dagegen strenger. Sie erhalten weniger oder gar keine staatlichen Fördergelder.
Inmitten dieses strengen Regelwerks gibt es seit Beginn der Pandemie eine Ausnahme. Die Vertreter der Orthodoxen Kirche bleiben von den Regeln weitgehend unbehelligt. Und doch, fühlt sich die Amtskirche benachteiligt.
Der kürzlich emeritierte Bischof von Kalavryta, Amvrosios, wurde bereits wegen Verstoßes gegen den Rassismusparagraphen, entsprechend der deutschen Justiz der Volksverhetzung, verurteilt. Als greiser Kirchenvertreter kam er in den Genuss einer Bewährungsstrafe. Ohne Rücksicht auf die Bewährungsauflagen wütet der Geistliche weiter. Für ihn sind Virologen und Mediziner gottlose Ungläubige, die er wie Professor Manolis Dermitzakis mit dem Kirchenbann belegt. Er fordert die Christen öffentlich, über Predigten und über in Medien veröffentlichte Artikel auf, auf Masken und Abstandsregeln zu verzichten und stattdessen auf die Macht Gottes zu vertrauen. Wahre Christen sollen, so Amvrosios, nicht auf die Experten hören und die geltenden gesetzlichen Quarantänebestimmungen missachten. Amvrosios selbst trägt, wie übrigens zahlreiche Geistliche auch, in Kirchen während der Messe keine Maske.
Bei zivilen Personen ist der Staat ungleich strenger. Eine Lehrerin, die sich wegen einer akuten Mittelohrentzündung außer Stande sah, den kompletten Unterricht mit Maske zu bestreiten, informierte ihren Rektor. Der Bestand auf die Durchführung des Unterrichts. Die Lehrerin nahm dabei mehrfach für kurze Pausen die Maske ab und wurde von einem Schüler dabei gefilmt. Die Abstandsregeln hielt sie durchgehend ein. Sie wurde am 23. Oktober verhaftet und von einem Schnellgericht zu 12 Monaten Haft auf Bewährung verurteilt.
Amvrosios ist kein Einzelfall. Im Lockdown sind die Kirchen bis auf wenige Ausnahmen für Gläubige geschlossen. Bei Beerdigungen und Hochzeiten können bis zu zehn Personen in die Gotteshäuser. Ansonsten müssen die Priester die Messen allein mit ihren Helfern abhalten. Sie werden im Fernsehen und über Lautsprecher übertragen. Dagegen gingen am 5. November in Chalkida mehrere Dutzend Geistliche auf die Barrikaden – oder treffender, auf die Stufen einer Kathedrale und demonstrierten. Sie blieben von der Staatsgewalt unbehelligt.
Am 9. November, als der Lockdown des Landes bereits in Kraft war entschied sich der Priester der Agia Fotini Kirche im Athener Vorort Nea Smyrni zu einer weiteren Demonstration. Die Kirche ist eines der größten Gotteshäuser des Bezirks. Der Priester rief die Gläubigen zum Abendmahl und diese kamen. Er trat an die Tür, keiner der Gläubigen ging in die Kirche.
Am Eingang gab es dann für alle Gläubigen aus einem Kelch und mit einem einzigen, gemeinsamen Löffel das Abendmahl. Das Ganze wurde von den Kameras des Senders Mega dokumentiert, hatte aber keinerlei juristische Folgen. Die Geistlichen verkünden, dass es unmöglich sei, über das durch die heilige Wandlung zu Leib und Blut Christi gewandelte Abendmahl, mit CoVid19 angesteckt zu werden.
Diese Ansicht vertritt auch die Virologin Eleni Giamarelou, die Mitglied der CoVid19-Kommission der Regierung ist. Andere Mitglieder der Kommission verweigern bei den Pressekonferenzen die Aussage zum Thema. Schließlich haben mehrere Minister und Abgeordnete der Regierungspartei Nea Dimokratia bereits tatkräftig durch eigene Teilnahme am Abendmahl demonstriert, dass sie an den heiligen Schutz des Heiligen Abendmahls glauben.
Aktuell, Stand 12. November 2020, sind mindestens zehn Mitglieder der Ständigen Heiligen Synode, dem griechischen Pendant zur Bischofskonferenz, CoVid19 positiv. Das gesamte Gremium, sowie der Erzbischof von Athen und ganz Griechenland Ieronymos, stehen unter Quarantäne. Zu den bestätigten Infizierten des weiteren Kreises zählt seit dem 6. November auch Amvrosios. Bekannt wurde die Infektion erst Tage später.
Begonnen hat der Ausbruch der Pandemie bei der obersten Kirchenführung des Landes wahrscheinlich mit der Infektion des Metropoliten von Ierissos Theoklitos, dessen Infektion als erste bekannt wurde. Danach kam es bei der Tagung der Synode zum Superspreader-Event.
Theoklitos war mit seinen Predigten einer der Corona-Leugner. „Ich bin 65 Jahre alt und verteile seit Tagen die Heilige Kommunion“, verkündete er von der Kanzel, „sehe ich aus, als ob ich Corona hätte?“ Er meinte auch, dass Ärzte ruhig kommen sollten, um ihn zu testen. Schließlich ging er nach dem Auftreten von Symptomen selbst zum Arzt.
Theoklitos rief alle Gläubigen mit solchen Reden zur Kommunion auf. Er führte als Beispiel für die Richtigkeit seiner These unter anderen an, dass sein Beichtvater TBC-Kranken das Abendmahl gegeben hätte, ohne sich mit TBC anzustecken. Er selbst, meinte er, habe auch HIV-Infizierten das Abendmahl gegeben. Seitens der Regierungskommission zu CoVid19 gab es, wie nicht anders zu erwarten, keinerlei Richtigstellung zu derartigen Beispielen.
Auch nicht, als Theoklitos nach bekanntgewordener Ansteckung steif und fest behauptete, dass er wisse, dass er sich keineswegs bei einer Messe oder beim Abendmahl angesteckt habe. Eine Gewissheit und ein Wissen, welches die Gesundheitsbehörden des Landes für den überwiegenden Teil der Infektionen nicht mehr haben, weil es einfach zu viele sind, und weil die Ansteckungswege logistisch nicht rückverfolgt werden können.
Staatssekretär Chardalias, der dem Regierungsnarrativ folgend, den Bürgern die Verantwortung für die unkontrollierte Ausbreitung der Pandemie zuschiebt, sieht „die Kirche in vorderster Front bei der Bekämpfung der Pandemie“.
Dem Autor ist über persönliche Kontakte das Schicksal einer älteren Dame bekannt, die an CoVid19 erkrankt ist und die am 26. Oktober 2020 von Theoklitos das Abendmahl empfing. Er kann allerdings nicht mit Sicherheit sagen, dass dieser Kontakt zur Ansteckung führte.
Es ist die Frage, die viele Corona-Leugner gern stellen, „kennst Du jemanden, der Corona wirklich hat?“. Diesbezüglich steigen die Ansteckungszahlen in Griechenland mit ihrem exponentiellen Wachstum so hoch, dass es kaum mehr eine Familie gibt, die keinen Erkrankten im eigenen Kreis oder im engsten Bekanntenkreis hat.
Nachtrag:
Amvrosios hat nach seiner diagnostizierten Infektion gegen den Rat der Ärzte das Krankenhaus verlassen. Der Metropolit Ioannis, der mehrmals im Fernsehen die Ansteckbarkeit von CoVid19 in Heiligen Messen leugnete verstarb am 15.11. an einer CoVid19 Infektion im Alter von 62 Jahren. Professor Linou, Mitglied der Regierungskommission für CoVid19 kommentierte noch am 14. November, dass es „keine wissenschaftliche Studie hinsichtlich der Ansteckbarkeit beim Heiligen Abendmahl gibt“.