Nachrichten und Kritik
03.10.20
Die Beteiligung der Nea Dimokratia-Regierung, ein historischer Tabubruch, wurde nach Protesten zurückgezogen
Der griechische Bürgerkrieg, dessen Dauer von Historikern auf die Zeit vom 31. März 1946 bis zum 30. August 1949 festgelegt wurde, endete mit einer für die AntifaschistInnen vernichtenden Schlacht vom 24. bis 30. August 1949 am Grammos. Jährlich, zum 30. August, versammeln sich Rechte und Rechtsextreme, um „den Sieg über die Banden“ zu feiern. Bei den letzten Feierlichkeiten, wollte der Generalstabschef a.D. und ministerielle Staatssekretär im Verteidigungsministerium, Alkiviadis Stefanis, der Veranstaltung in offizieller Funktion, als Vertreter des seit 2019 amtierenden Nea Dimokratia-Premierminister Kyriakos Mitsotakis beiwohnen. Ein Tabubruch, der mit zahlreichen Protesten buchstäblich in letzter Sekunde abgewendet wurde, aber viele Wunden wieder aufbrach.
Seit dem Ende der Militärjunta, 1974, gab es bei diesen Feierlichkeiten keine offizielle Regierungsvertretung. Seit 1980 nahm kein Mitglied des Kabinetts an den Feierlichkeiten, bei denen nur der Opfer der Sieger beim Bürgerkrieg gedacht wird, teil.
Der Veranstalter, die EAAS ist offen gegenüber Rechtsradikalen und Neonazis. Sie hat in der Vergangenheit mit einer offiziellen Abordnung die Büros der Goldenen Morgenröte auch dann noch aufgesucht, als die Partei nach dem Mord am Rapper Pavlos Fyssas im September 2013 offiziell als „verbrecherische Organisation“ angeklagt wurde. Das Verfahren gegen die neonazistische Partei ist bis heute noch nicht abgeschlossen.
Für die Sieger des Bürgerkriegs waren die Gegner „Symmorites“ und „Katsapliades“. Symmorites könnte mit Bandenmitglieder übersetzt werden. Der abwertende Begriff Katsapliades hat kein deutsches Pendant. Die Etymologie des Wortes ist auch heute noch umstritten.
Die Vertreter der EAAS benutzen auch heute noch diese Begriffe und bezeichnen den Bürgerkrieg auch heute noch als Bandenkrieg. In ihrer Selbstbezeichnung waren die Unterlegenen das „Demokratische Armee Griechenlands“, auf Griechisch der „Dimokratikos Stratos Ellados“ (DSE).
Die heute offiziell gültige Bezeichnung „Bürgerkrieg“ wurde ausgerechnet vom Vater des amtierenden Premierministers Kyriakos Mitsotakis gesetzlich verankert. Im Gesetz 1863 von 1989 zur „Beseitigung der Folgen des Bürgerkriegs von 1944-1949″, ließ der damalige Premierminister Konstantinos Mitsotakis festschreiben, dass die Zeit vom Abzug der Besatzungstruppen bis zum 31.12.1949 wird als “Zeit des Bürgerkriegs” anerkannt wird. Wo in der aktuellen Gesetzgebung der Begriff “Bandenkrieg” erwähnt wird, wird er durch den Begriff “Bürgerkrieg” ausgetauscht und wo “Banden” genannt wird, wird dies mit dem Begriff “Demokratische Armee” ersetzt.
Die beabsichtigte Teilnahme eines offiziellen Regierungsvertreters manifestiert somit einen weiteren, offenen Bruch von Kyriakos Mitsotakis mit dem liberaleren politischen Vermächtnis seines Vaters auf dem Weg zur „Orbanisierung“ Griechenlands nach ungarischem Vorbild.
Das DSE wurde von der Kommunistischen Partei geführt und von Jugoslawien, Bulgarien, Albanien und der Sowjetunion unterstützt. Auf der anderen Seite, der Seite der Sieger, waren das Heer des Königreichs Griechenland, die Luftwaffe, die Gendarmerie, die orthodoxe Kirche, das Großbritannien und seit 1947 die USA. Der Bürgerkrieg war keine rein innergriechische Auseinandersetzung, sondern vielmehr einer der ersten Stellvertreterkriege im sogenannten „Kalten Krieg“.
Die Initialzündung für den Konflikt gab es bereits in den „Dekemvriana“. Am 3. Dezember 1944 hatten britische Soldaten und griechische Rechte mitten in Athen das Feuer auf eine Demonstration der Kommunisten, Partisanen und deren Anhänger eröffnet und 33 Demonstranten erschossen. Die Demonstranten protestierten dagegen, dass die Partisanentruppe einseitig entwaffnet werden sollte, während auf der anderen Seite unter der Führung von Georgios Papandreou und dem britischen General Ronald Scobie bewaffnete Einheiten mit Kollaborateuren der Nazi-Besatzer wieder zu Amt und Würden gelangten. Kurz nach der Befreiung von der Besatzung der Wehrmachtstruppen, bei denen die kommunistisch dominierte EAM, die griechische Befreiungsarmee, die maßgebliche Rolle spielte, war bei den Alliierten die Furcht vor kommunistischem Einfluss größer, als die Scham mitten im noch anhaltenden Weltkrieg, faschistischen Nazikollaborateuren die Macht zu sichern.
Ein nationale Aussöhnung beider Seiten fand erst 1989 statt mit der Vernichtung der geheimpolizeilichen Akten über Griechen, denen der Staat eine marxistische oder Marxisten freundliche Einstellung vorwarf. Vom Ende des Bürgerkriegs bis zum Ende der siebenjährigen Militärjunta (1967-74) waren Marxisten, und diejenigen, die von den Regierenden als solche eingeordnet wurden, Verfolgungen, Folter und Verbannung ausgesetzt. Anführer der Obristen-Junta war mit Georgios Papadopoulos ein früherer Kollaborateur der Nazis, der im Weltkrieg für die Wehrmacht, die griechische Befreiungsarmee bekämpfte. Politische Morde waren auch in den Sechzigern an der Tagesordnung.
Unter diesen Vorzeichen, ist eine Teilnahme eines Kabinettsmitglieds der amtierenden Regierung Mitsotakis bei den Feierlichkeiten zum Sieg der rechten Bürgerkriegspartei mehr als nur ein Affront.
Zudem steht die Schlacht am Grammos noch für ein weiteres, denkwürdiges Ereignis. Die Truppen des DSE am Grammos wurden von der griechischen Luftwaffe mit Napalm-Bomben beworfen, was den Ausgang der Auseinandersetzung besiegelte. Es war der erste Einsatz von Napalm außerhalb der Kampfhandlungen des zweiten Weltkriegs. Geliefert wurde der Kampfstoff von den USA. Diese hatten mit 250 militärischen Beratern und General James van Fleet mit knapp 400 Millionen Dollar Militärhilfe im Rahmen der Truman Doktrin die rechte Bürgerkriegsseite unterstützt.
Die durch Mitsotakis und Stefanis wieder aufgeflammte Diskussion findet zu einem denkbar schlechten Zeitpunkt statt. Es ist zumindest provokativ, wie Mitsotakis, gleichzeitig angesichts der Bedrohung in der Ägäis die „nationale Einheit“ einzufordern, und andererseits alte Wunden aufzubrechen.
Die Affäre um Stefanis und das Gedenken am Grammos brachte unter anderen die Dispute über die Verbannungsinseln wieder ans Tageslicht. Bis zu 150.000 Linke und Sympathisanten mussten von 1946-1949 in diese Lager. Der Literat Jannis Ritsos verbrachte von 1948-1952 in solch einem Umerziehungslager und hat seine Erlebnisse im „Tagebuch des Exils“ (Schwiftingen Verlag, erschienen 1979) festgehalten. Eines der eindrucksvollsten Bücher, das Werk „Abyss Street Number 0“ von Menelaos Lountemis, ist leider nicht auf Deutsch verfügbar. Mehrere Jahre in mehreren Lagern verbrachte der Komponist Mikis Theodorakis. In seinen eigenen Lebenserinnerungen „Wege des Erzengel“ und in zahlreichen Beiträgen hat er diese Zeit verarbeitet.
Er schreibt in seinem Buch unter anderen, „alle Griechen waren nach dem Bürgerkrieg gebeugt. Nur der Thron, die Fremden, die Oligarchie und die ihnen dienenden politischen und militärischen Kreise sowie die Polizei triumphierten. Für wen wohl hatte Odysseas Elytis geschrieben: ‚Und sie werden mit Blüten schmücken den Sieger, der leben wird im Gestank der Leichen‘? Für Papagos? Oder für Königin Friederike?…“
Königin Friederike, die Enkelin des letzten deutschen Kaisers, war eine weitere Schlüsselperson im und nach dem Bürgerkrieg. Friederike Luise Thyra Victoria Margarita Sophia Olga Cecilia Isabella Christa Prinzessin von Hannover, Herzogin zu Braunschweig-Lüneburg war als Gattin von König Paul, mit dem sie seit 1938 verheiratet war, Regentin von Griechenland. Das ehemalige Mitglied des Bundes Deutscher Mädel mischte sich bis zum Militärputsch am 21. April 1967 in die griechische Tagespolitik ein. Während ihrer Herrscherzeit, von 1947 bis 1964 tat sie das direkt. Danach beeinflusste sie als Königinmutter ihren Sohn Konstantin.
Gemäß des Narratives der Sieger des Bürgerkriegs hat sie mit sozialem Engagement für die Waisenkinder der geschlagenen Kommunisten gesorgt. Tatsächlich waren nicht alle Kinder Waisenkinder. Rund 28.000 Kinder wurden in den „Paidopolis“ genannten Einrichtungen auf einen Hass gegen alles Kommunistische, Linke oder Progressive, auch auf ihre eigenen Eltern, gedrillt. Verwaltet wurden diese Paidopolis von Militärs und von den Gattinnen konservativer und rechter Politiker.
Zu den „Erziehungsmethoden“ gehörten die Prügelstrafe und Folter. Beteiligte bezeugen Gruppenvergewaltigungen an Minderjährigen. Minderjährige aus den Familien der Kommunisten und der Sympathisanten wurden auch auf die felsige Verbannungsinsel Makronissos gebracht. Dort gab es auch für sie Haftstrafen von zwanzig Jahren, lebenslang oder gar die Todesstrafe.
Außer den 28.000 „umerzogenen“ Heimkindern waren auch tausende jüngerer Kinder von der „königlichen Fürsorge“ betroffen. Sie wurden ohne Einverständnis ihrer Verwandten zur Adoption an kinderlose Paare vor allem in den USA verkauft.
In einer Ausgabe der Zeitschrift „Nea Oikonomia“ vom Juni 1963 wird dazu berichtet:
“Anlässlich des zehntausendsten Kindes, das von Amerikanern aus Griechenland adoptiert wurde, fand im Weißen Haus eine offizielle Zeremonie statt. Frau Kennedy, der Senator von Oklahoma, der Abgeordnete von Pennsylvania, die Priester der griechischen Gemeinden, der Direktor des Pressebüros der griechischen Botschaft usw. nahmen an der Ankunft des Kindes teil, das jetzt ein Amerikaner werden wird.”
Es war eine Kinderverschleppung, die in der westlichen Welt durchaus bekannt war. Die Reaktion der unterlegenen Demokratischen Armee war, dass rund 25.000 Kinder über Albanien aus Griechenland herausgeschmuggelt, und in Staaten des Warschauer Pakts gebracht wurden.
Bei den Kindern handelte es sich um Kinder von Kämpfern der Demokratischen Armee, Kinder von deren ebenfalls durch Verfolgung gefährdeten Freunden und Angehörigen, aber auch um Kinder vollkommen unbeteiligter Familien, die nach Angaben der Demokratischen Armee, ihre Kinder mit diesem Schritt vor Hunger retten wollten. Die Gegenseite, die Gewinner, behauptet, dass vor allem diese Kinder gegen den Willen ihrer Familien verschleppt wurden.
All dies geschah in einer Zeitperiode, die bis heute noch nicht vollständig aufgearbeitet wurde, und über die es im Geschichtsunterricht an griechischen Schulen keine Informationen gibt. Noch gibt es überlebende Zeitzeugen und die damaligen Kinder, die auf welcher Seite auch immer sie landeten, um ihre Familien und ihre Heimat gebracht wurden.