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09.09.2016

23.07.20

Das Massaker von Srebrenica und die griechischen Rechtsextremisten

Ein dunkles Kapitel Zeitgeschichte

Der 11. Juli 1995, ein Tag, der sich im laufenden Monat zum fünfundzwanzigsten Mal jährte, ist der Tag, an dem sich ein Völkermord mitten in Europa abspielte. Die bosnischen Serben unter der Führung von Ratko Mladic hatten die Stadt Srebrenica erobert. Die folgenden „ethnischen Säuberungen“ kosteten mehr als 8000 Menschen das Leben. Das Massaker, welches sich unter den Augen der anwesenden UN-Friedenstruppe abspielte ist zweifelsfrei eines der größten Kriegsverbrechen seit dem Ende des zweiten Weltkriegs.

Opfer des Massenmords waren hauptsächlich muslemische Bosniaken. Der Rassismus der Täter machte aber auch vor anderen Minderheiten nicht halt. Im März 2019 urteilte das staatliche Strafgericht in Sarajevo, dass auch Roma zu den Opfern der serbischen Miliz zählten.

Die Unabhängigkeitskriege rund um das zerfallende Jugoslawien wurden indes ebenso wenig aufgearbeitet, wie die Vorgänge während der Herrschaft Titos, oder die Verbrechen der NS-alliierten Ustaša.

Es gehört zur Geschichte des gesamten Balkans, dass auf allen Seiten, ethnisch, politisch oder religiös motivierte Gewalt ausgeübt und erlitten wurde. Die Wunden sind auch heute noch tief. Der weiterhin existierende, und in den Jahren der ökonomischen Krise verstärkte Nationalismus streut Salz auf die Wunden. Verstärkt werden nationalistische Ressentiments durch eine Legendenbildung, die wenn überhaupt, nur im Kern Wahrheiten enthält.

Unheilige Allianzen

Für den Internationalen Gerichtshof gilt das Drama seit 2007 als Genozid. Dies alles ist einer breiten europäischen und internationalen Öffentlichkeit bekannt. Ebenso geläufig ist die Tatsache, dass sich Serbien bis heute weigert, das Massaker als Genozid anzuerkennen. Weniger verbreitet ist jedoch das Wissen, dass die Serben nicht allein handelten. Sie hatten Verbündete.

Zu diesen Verbündeten zählte das Griechische Freiwilligen Regiment (GFR), eine Truppe von knapp einhundert griechischen Freiwilligen, die sich auf Einladung von Ratko Mladic dessen Truppe angeschlossen hatten. Die Truppe war unter anderen dem verurteilten Kriegsverbrecher Zvonko Bajagic unterstellt.

Es geht also um die Frage, warum auf Seiten der Truppen von Mladic die griechische Flagge neben der serbischen gehisst wurde.

Die militärisch ausgebildeten griechischen Freischärler sahen sich als „orthodoxe Brüder“ der Serben. Der ideologische Hintergrund des größten Teils der Personen, die sich dem GFR angeschlossen entsprach dem Parteiprogramm der Goldenen Morgenröte. Tatsächlich war die überwältigende Mehrheit der Regimentsmitglieder auf die eine oder andere Art mit der neonazistischen Partei verbunden.

Die GM hatte seinerzeit, in den Neunzigern politisch keinerlei parlamentarische Präsenz. Eigentlich, so müsste ein auswärtiger Beobachter erwarten, müsste damit der Fall für die griechischen Medien klar sein. Alles andere als eine mediale Verurteilung und eine strafrechtliche Verfolgung der Mittäter am Völkermord erscheint unfassbar – wäre da nicht ein weiteres Detail des Dramas. Das in Griechenland vorherrschende Narrativ einer angeblich uralten Freundschaft beider Völker.

Eine schicksalhafte „ewige Freundschaft“?

Griechen und Serben sind über den gemeinsamen christlich orthodoxen Glauben verbunden. Beide Völker litten unter den Repressionen der nationalsozialistischen Besatzung und vorher unter dem Joch des osmanischen Reiches.

Serbien und Griechenland kämpften zusammen in den Balkanischen Kriegen gegen das Osmanische Reich und später gegen Bulgarien. Allerdings verfolgten beide trotz der Allianz auch eigene, entgegengesetzte Interessen. So hatte das damalige Serbien durchaus die Annektion der heute nordgriechischen Hafenstadt Thessaloniki als Kriegsziel. Jenes Thessaloniki, dessen „Befreiung vom osmanischen Joch“ für Griechenland eine Schicksalsfrage war.

Von der heute als Legende verbreiteten, althergebrachten Freundschaft findet sich also kaum eine Spur.

Vor dem Zerfall Jugoslawiens war das Bild, welches zahlreiche griechische Medien über Serben vermittelte alles andere als schmeichelhaft. Die griechische Polizei, genauer, die Abteilung der Verfolgung von Verbrechen gegen das Eigentum, gab kurz vor Weihnachten 1989 als Pressemeldung eine Warnung heraus, dass Jugoslawen, Polen und Chilenen zu den berüchtigsten Taschendieben zählen würden. Die einzelnen Volksgruppen, welche den Bundesstaat Jugoslawien ausmachten, waren in griechischen Medien kaum ein Thema.

Nach 1990 änderte sich das. Die Serben wurden zu den „Guten“, die Kroaten wurden pauschal als Faschisten verurteilt und alle anderen wurden zu den „Türken“ gezählt. Albaner, so ließen Analysten die griechischen Medienkonsumenten wissen, würden mit türkischer Unterstützung ein Großalbanien planen. Dass es großalbanische Bestrebungen gewisser Gruppen gibt, sei dahingestellt. Dass die griechischen Medien aber ein vollkommen undifferenziertes, pauschalisiertes Bild aller Albaner zeichneten, sorgte für die Verstärkung rassistischer Reflexe. Die Serben wurden und werden in solchen geopolitischen Analysen immer als Partner und Verbündete der Griechen dargestellt.

In diesen Analysen wird die berechtigte Kritik an imperialistischen Politiken mit allem Möglichen und Unmöglichen gemischt. Selbst der Antisemitismus findet seinen Platz im Streit um den Balkan. Es sind Verschwörungstheorien, welche über den Anti-Imperialismus durchaus auch Eingang in linke Kreise finden, und so einer unheiligen Querfrontbildung Vorschub leisten.

Der Streit um einen Namen

Zudem entstand durch den Zerfall Jugoslawiens im Norden Griechenlands ein Staat, dessen Name als jugoslawischer Bundestaat „jugoslawische Republik Mazedonien“ war. Nach der Abtrennung wollte der Staat sich Republik Mazedonien nennen, stieß damit aber auf großen Widerstand in Griechenland.

Mazedonien, der Name des Königreichs Alexanders des Großen kann nur griechisch sein, meinte ein Großteil der Griechen. Damals regierte Konstaninos Mitsotakis, der Vater des heutigen Premiers mit der Nea Dimokratia. Er meinte, „sollen die sich nennen, wie sie wollen, in zehn Jahren ist das alles vergessen“. Der Premier hatte die Rechnung ohne die eigene Partei gemacht, aber gleichzeitig die eigene, griechische Mitschuld an der Namensnennung anerkannt. Denn im kalten Krieg hatte Tito die Teilrepublik mit dem Segen des damaligen Premiers und späteren Gründers der Nea Dimokratia, Konstantinos Karamanlis, „Republik Mazedonien“ getauft. Karamanlis fügte sich seinerzeit der politischen Linie der NATO, die mit einem blockfreien Jugoslawien einen Gegenpol zum damaligen Warschauer Pakt auf dem Balkan installieren wollte, und Tito deswegen mit Wohlwollen behandelte.

Schließlich verließen nationalistische Parlamentarier, allen voran der damalige Außenminister und spätere Premier Antonis Samaras die Nea Dimokratia aus Protest zu Mitsotakis Haltung im Namensstreit. Es wurde sogar die Theorie verbreitet, Slobodan Milosevic habe Mitsotakis senior die Aufteilung des kleinen Staats zwischen Griechenland und Serbien angeboten. Sollte dies der Wahrheit entsprechen, dann hat Mitsotakis senior vollkommen korrekt und konsequent an der griechischen Konstante in der Außenpolitik, an der Unverrückbarkeit der Grenzen auf dem Balkan, festgehalten. Denn alles andere würde auch die Türkei, die auf eine Revision der Grenzfrage pocht, in ihrer Argumentation stärken. Mitsotakis stürzte schließlich 1993 und brachte damit seinem sozialdemokratischen Rivalen Andreas Papandreou die Gelegenheit zum politischen Comeback.

Heute heißt der Nachbarstaat Nordmazedonien, auch Nord-Mazedonien geschrieben. Es gehört zur Ironie der Geschichte, dass der amtierende Premier Kyriakos Mitsotakis, im Winter und Frühjahr 2019 wegen des Kompromisses im Namensstreit weiter gegen seinen sozialdemokratischen Rivalen Alexis Tsipras punkten konnte. Tsipras hat in den Augen von Mitsotakis junior den Namen, welcher „den Namensbestandteil Mazedonien enthält“, zu verantworten.

In den Neunzigern hatte der damalige Premier, Papandreou, als Sozialdemokrat das nationalistische Feuer weiter angestachelt. Er verhängte einen Boykott gegen die Nachbarrepublik. Als serbische Freischärler in Bosnien kämpften, hatte Griechenland also seinen eigenen Konflikt mit einem früheren jugoslawischen Bundesstaat.

Um zu begreifen, wie surreal die Situation in diesen Jahren war, muss man sich vor Augen halten, was Papandreou im Namensstreit als großen Erfolg verkaufte. Wegen der Auseinandersetzung hatte Nordmazedonien für die internationalen Beziehungen von der UNO einen „vorläufigen Namen“ erhalten. FYROM hieß das Namensungetüm in Abkürzung, PGDM wurde es ins Griechische übertragen. Hinter den Anfangsbuchstaben steckt nichts anderes als der Name „frühere jugoslawische Republik Mazedonien“. Ergo war der strittige Namensbestandteil nie verschwunden.

Es ist bemerkenswert, dass dieser Umstand, also die Bedeutung der Abkürzung, vielen Griechen und auch vielen Politikern kaum bewusst war, als sie ab Februar 2019 bis April zu Tausenden auf die Straße gingen, um gegen den Kompromissnamen zu protestieren.

Wie ein Joker tauchte bei diesen Demonstrationen die GM auf. Diesmal demonstrierte sie Seite an Seite mit den Anhängern der Nea Dimokratia gegen die sozialdemokratische Regierung Tsipras. Jahrzehnte zuvor waren die Demonstranten der GM auf der Straße Partner der Sozialdemokraten der PASOK.

Papandreou verschwieg seinerzeit zudem, dass Serbien den Kleinstaat schnell nach der Abtrennung mit dessen verfassungsmäßigem Namen, Republik Mazedonien, anerkannt hatte. Denn auch das passte nicht in das Narrativ der „ewigen Freundschaft“. Papandreou pflegte einen freundlichen Umgang mit Karadzic. Ein in der Datenbank der staatlichen Nachrichtenagentur Athens News Agency – Macedonian News Agency auffindbares Foto vom 13. Mai 1993 zeigt ihn, als Oppositionsführer, fröhlich händeschüttelnd mit dem später verurteilten Kriegsverbrecher.

Freischärler und Kriegsverbrecher als Helden

Derart geadelt fanden die serbischen Kombattanten schnell Eingang ins griechische Medienleben. Zahlreiche Journalisten, aber auch Showstars luden Karadzic und Co in ihre Fernsehsendungen ein. Die an der Seite der Serben kämpfenden „griechischen Patrioten“ bekamen in vielen Fernsehsendern ein Podium zur Verbreitung ihrer Geschichten. Sie konnten unter anderen veröffentlichen dass, „wir Befriedung empfunden haben, als wir Moslems töteten“. Sätze, die jeder Grieche hätte lesen können.

Zeitungen wie der „Adesmeftos Typos“ brachten Lifestyle-Stories über die Kämpfer. Im Fernsehsender SKAI wurde gezeigt, wie die griechischen Söldner in Bosnien Weihnachten feierten. Viele der damals proserbischen Journalisten zählen auch heute noch zu den prominenten Vertretern der Zunft.

Zudem unterstützten auch Teile der Kirche die Kämpfer. Auch hier gibt es keine Konsequenzen.

Bleibt die Frage der Strafverfolgung und des weiteren Schicksals der griechischen Kombattanten. Hier mahlen die Mühlen besonders langsam. Zuletzt gab es am 15. Juli 2015 eine parlamentarische Anfrage der SYRIZA-Fraktion an den Justizminister der SYRIZA-Regierung. Offenbar gibt es eine staatsanwaltschaftliche Untersuchung. Von einer Aufklärung des dunklen Kapitels in der jüngeren griechischen Geschichte ist dies aber noch weit entfernt.

Literaturhinweis

Für Leser, die sich weiter mit dem Thema beschäftigen wollen existiert ein zweisprachiges Blog mit englischen und griechischen Texten sowie mit Fotos und Videos zum Thema: https://xyzcontagion.wordpress.com/2015/06/13/short-srebrenica/.

 

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