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Der Freier

09.09.2016

26.01.20

Die Zukunft der AfD

Nicht eine Partei, sondern die mit aller Kraft in diese Barbarei strebende Gesellschaft ist die eigentliche Gefahr.

Über die Zukunft der AfD belehrt ihr historischer Vorgänger. Der Aufstieg der NSDAP teilt sich in die zwei Phasen einer obskuren rechten Sammlungsbewegung in den 1920ern, und des unaufhaltsamen Aufstiegs in den Jahren danach. Er nahm Fahrt auf erst in dem Maße, wie äußere Umstände dazu führten, dass das Programm dieser Partei zur ernstzunehmenden Option für das deutsche Kapital und die an ihm hängende Arbeiterschaft wurde.

Eine ähnliche Transformation lässt sich bei der AfD beobachten. Noch 2015 war die ehemalige Lucke-Partei aus Sicht des deutschen Kapitals unwählbar; seine Feuilletongroßen liefen Sturm gegen sie. Die Idee, zur Befriedigung einiger deutscher Kleinbürger in ihrem Flüchtlingshass die europäischen Binnengrenzen zu schließen, kam aus Sicht des deutschen Kapitals, das dadurch über Nacht den Just-in-Time-Zugang zu seinen osteuropäischen Werkbänken verloren hätte, einem ökonomischen Selbstmord gleich. Nichts anderes galt schon für die Idee des Professor Lucke, aus dem Euro auszutreten, der uns doch so gut getan hatte.

Aber das objektive Interesse des Kapitals ist im Prozess, sich zu wandeln. Die deutsche Automobilproduktion, von der gesagt wird, dass in Deutschland jeder sechste Arbeitsplatz an ihr hängt, sank im vergangenen Jahr auf den tiefsten Stand seit 1996. Das Kapital ächzt unter der durch den schrumpfenden Weltmarkt auferlegten Produktionsbeschränkung. Es liegt in seiner Natur, dass seine Funktionäre nach Wegen sinnen, diese zu überwinden. An der mangelnden Konsumtion deutscher Automobile durch die Chinesen kann das Kapital erstmal wenig ändern, wohl aber an der Billigkeit seiner eigenen Produktion. Ebenso wie Bolsonaro die Urwälder des Amazonas abbrennen lässt, um mehr Rindfleisch und Soja auf den Weltmarkt zu werfen, wird das deutsche Kapital mit dem ersten Sinken des DAX danach schreien, alle Schranken umzuwerfen, die es hindern, den Weltmarkt mit billigeren Automobilen, billigerem Kohlestrom und billigerer Bio-Milch zu fluten. Alles, was die Ware verteuert, aber mit der Gewalt des Staates umwerfbar ist, ist im Visier: die Arbeitsgesetze, die gewerkschaftliche Mitbestimmung, die Umweltvorschriften; aber ebenso die Gewaltenteilung und die Unabhängigkeit der Presse und Justiz, vielleicht noch die Selbständigkeit der Bundesländer, die ein wie immer begrenztes Widerspruchspotenzial zur stromlinienförmigen Exportmaschine bieten könnten.

Zur Wende in den Faschismus gehört die Blauäugigkeit des ihr vorausgehenden Liberalismus, dessen mangelnder Widerstand sein stilles Einverständnis bekundet. Auf 400.000 wird die Zahl der in den nächsten Jahren zu erwartenden Kündigungen in der deutschen Automobilindustrie geschätzt, in der Elektro-, Maschinenbau- und Chemiebranche dürfte es kaum anders aussehen. Noch ist die AfD die Partei der Kleinbürger; aber ohne seine Arbeit ist der Arbeiter auch nichts anderes. Die einzige Chance wäre, die hunderttausenden, die bald auf der Straße sitzen, weder Miete noch Auto bezahlen können, individuell und kollektiv darauf vorzubereiten; ins öffentliche Bewusstsein zu rücken, dass die Krise eine für die bestehende Wirtschaftsordnung unausweichliche Erscheinung ist, die jenseits des Willens der Einzelnen sich vollstreckt. Stattdessen bleibt der Einzelne allein gelassen mit der Ideologie, dass er selbst an seinem Schicksal schuld sei, was er doch nicht glauben kann. Die gesamtgesellschaftliche Erklärung der Krise muss er ersetzen durch Projektionen und Verschwörungstheorien. Schrittweise wandert er zur AfD.

Die AfD vertritt, im untergehenden Kapitalismus, das produktivistische Paradigma, für den Diesel, die Braunkohle, für Opel, Daimler und Glyphosat. Der heiligende Zweck, für den der Einzelne wie die Lebensgrundlagen aller zerstört werden, ist die zwanghafte Aufrechterhaltung der Produktion um ihrer selbst willen, an der die gesamte Gesellschaft hängt. Den etablierten Parteien sind bei der Umsetzung des wahnsinnigen Zerstörungsprogramms, das sich abzeichnet, Grenzen gesetzt; sie bleiben zu sehr Volksparteien. Es braucht für die Umsetzung das, wovon Höcke den von ihm verachteten Mitläufern zuflüstert, eine herausgehobene, niemandem verpflichtete Elite, eine neue Partei. Attraktiv für das Kapital wird die AfD, wie ihr historisches Vorbild, durch die Kontrolle der Justiz und des Polizei- und Militärapparats, die sie bereits vor ihrem Machtantritt ausübt. Die AfD kann die Umweltbewegung, die derzeit einzige soziale Bewegung in Deutschland, brechen. Einen zweiten Hambacher Forst wird es mit ihr nicht geben. Mit dem „Fuck you Greta“ auf der Heckscheibe drückt der AfD-Anhänger auf moderne Weise seine Meinung aus, dass man die jüdische Kommunistensau totschlagen solle; jeder einzelne von ihnen ist in den Augen des Kapitals ein fester Pfand für diese Partei. Die Kontinuität, die in der AfD erwacht, liegt gerade nicht in den Nazi-Ansteckern einiger älterer Herren; sie liegt in der objektiven Option der kapitalistischen Gesellschaft zum Weg in die Barbarei, die mit jedem Tag an Anziehung gewinnt und von dieser Partei wie von keiner anderen verkörpert wird. Nicht eine Partei, sondern die mit aller Kraft in diese Barbarei strebende Gesellschaft ist die eigentliche Gefahr.

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