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09.09.2016

04.01.20

Krise und Krieg

Zum Jahresanfang 2020

Wir beginnen das Jahr 2020. Das Gleichgewicht, das der kapitalistischen Weltindustrie seit 2009 eine letzte Runde von Profiten verschaffte, zerfällt, und damit vergeht auch die letzte Atempause für die unterm Kapital lebenden Menschheit. Die kapitalistische Produktion wird überall auf dem Planeten unrentabel. Ihr innerer Widerspruch, dass sie einerseits die Produktivkräfte ins unermessliche steigert, andererseits für die geschwollene Warenmasse beständig auf neue Abnehmer und Anlagemöglichkeiten angewiesen ist, bricht an die Oberfläche. Während von Südamerika bis China, von Australien bis Kalifornien riesige Produktionsanlagen bereit stehen, um Rohstoffe, Nahrungsmittel, Konsumgüter und Maschinen in immer größerer Zahl auszuspucken; während für die Verbilligung dieser Produktion der Planet verbrannt und vergiftet wird, misslingt der Absatz. In Voraussicht auf die rückläufigen Verkaufszahlen haben allein die deutschen Automobilkonzerne angekündigt, in den kommenden Monaten mehrere zehntausend auf die Straße zu werfen, und dies sind allein die geplanten Entlassungen – noch bevor das erste Kapital Bankrott anmelden musste.

Hatte die letzte Krise die kapitalistischen Randstaaten Nordafrikas und des Nahen Ostens aus der kapitalistischen Profitabilität herausgeschleudert und zusammen mit der Ökonomie ihren Staat und seine Gesellschaft zerfallen lassen, so wird nun als nächstes Südamerika kippen. Von 2000 bis 2014 hatten sich die Preise der Exportrohstoffe, allen voran Kupfer und Soja, an den Weltmärkten vervierfacht. Die kolonialen Rohstoffexporteure wurden zu prächtigen Anlageländern. Seit 2014 sinken alle Rohstoffpreise, und damit die Profite der Bergbau- und Agrarkapitale von Argentinien bis Bolivien, und ebenso die Budgets der verschiedenen, auf diesen Profiten gegründeten Staatsgebilde. Die gelegentliche Titulierung der südamerikanischen Aufstände als neuer „arabischer Frühling“ bezeichnet keine Hoffnung, sondern den Weg in den Abgrund: in jedem einzelnen der bei der letzten Krise vom „arabischen Frühling“ erfassten Staaten beschleunigte die Verjagung der alten Diktatoren nur den gesellschaftlichen Zerfall. Als ebenso hohl wie ihre Machtapparate erwiesen sich ihre wirtschaftlichen Grundlagen, auf denen sich keine demokratische Gesellschaft mehr errichten ließ.

Neu gegenüber 2008 ist die wachsende Konfrontation, in die die kapitalistischen Staaten gedrängt werden. Jede Maßnahme, mit der ein einzelner Staat seine ökonomische und gesellschaftliche Reproduktionsfähigkeit zu verbessern strebt, bedeutet für die anderen Exporteure Verluste und einen Akt ökonomischer Aggression. Der Bau einer Pipeline, mit der russisches Erdgas unabhängig von allen Mittlern an die deutschen Kraftwerke, Haushalte und Industrie fließen soll, kommt einer Kriegserklärung an den amerikanischen Staat und seine Gasindustrie, einem Verlust ihrer Profite und seiner Reproduktionsfähigkeit, gleich. Ähnliches überall auf der Welt. Ein Verbot der Brandrodung ist eine terroristische Aggression an den brasilianischen Staat, während die durch solche Brandrodung bewirkte Senkung der Agrarpreise eine Bedrohung für amerikanische, australische und europäische Agrarkapitale ist. Die chinesische Dumpinglohn-Produktion entzieht dem amerikanischen Staat die Grundlage, und ihre Beschränkung erscheint als oberstes Ziel nationaler Selbstverteidigung. Die Hunnenrede Krampp-Karrenbauers, in der diese militärische Stärke zur Sicherung deutscher Absatzmärkte gegen China einforderte, steht in diesem Zusammenhang. Der bloße Erhalt des eigenen Status Quo zwingt zu Maßnahmen, die den Verlust des anderen implizieren. Der Krieg ist ökonomische Selbstverteidigung, aber Selbstverteidigung eines selbst zusammenbrechenden Systems. Es geht darum, die Ökonomie des Gegners reproduktionsunfähig zu machen, seine Kapitale zu vernichten, seine Absatzwege abzuschneiden, seine Ressourcen und Arbeitskräfte zu verteuern. Von der weltweiten Überproduktion führt eine direkte Linie zur Ausschaltung der Industrieanlagen des Konkurrenten, zur Sabotage seiner Infrastruktur, bis hin zur Verteuerung der Reproduktion seiner Arbeitskräfte durch Vernichtung seiner Lebensmittelproduktion.

Der Grund dieses Wahnsinns aber, das sollte nie vergessen werden, bleibt die Beschränktheit der kapitalistischen Produktionsweise, ihr innerer Widerspruch zwischen Entwicklung der Produktivkräfte und der beschränkten Absatzmöglichkeit. Der Kapitalismus ist die einzige Gesellschaft, die in die Krise gerät, nicht weil sie zu wenig, sondern weil sie zu viel produziert. Noch gibt es erst eine winzige Ahnung davon, dass eine andere Daseinsform der Menschheit möglich wäre. Dass diese nicht um sich greife, dafür sind alle Mächte der alten Welt verbündet.

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