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09.09.2016

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Nationalfeiertag in Griechenland

75 Jahre nach der Befreiung wird gefragt: Wie patriotisch waren Kollaborateure?

Am 28. Oktober begeht Griechenland den zweiten seiner beiden Nationalfeiertage. Der „Ochi-Tag“ bezieht sich auf den Beginn des zweiten Weltkriegs für die Griechen, den 28. Oktober 1940. Hintergrund ist eine lakonische telegraphische Antwort, mit welcher der faschistische Diktator Griechenlands, Ioannis Metaxas, die Forderung Benito Mussolinis nach einem Anschluss Griechenlands als Vasall der Achsenmächte quittierte. Metaxas antworte mit einem Wort „Ochi“ (Nein), Italien griff Griechenland an und konnte erst durch das Eingreifen der Wehrmacht vor den widerständischen Griechen gerettet werden.

Es fällt auf, dass die Griechen mit dem Ochi-Tag den Kriegsbeginn, und nicht ihre, zum großen Teil mit eigenen Kräften erfolgte Befreiung von der Nazi-Besatzung feiern. Tatsächlich gibt es auch eine offizielle Feier zum Jahrestag des Abzugs der Besatzer. Am 12. Oktober jedes Jahres gedenkt Griechenland der Befreiung der Hauptstadt von der Wehrmacht, welche am 12. Oktober 1944 stattfand. Es gibt dazu einen Festakt auf der Akropolis von Athen. Der Staatspräsident und Regierungsmitglieder finden sich ein, um das Hissen der griechischen Fahne zu beobachten. Dazu kommt ein Trupp traditionell uniformierter Evzonen, der Leibgarde des Präsidenten.

Allerdings ist der 12. Oktober keineswegs Nationalfeiertag. Es gibt, wenn er auf einen Wochentag fällt, nicht einmal in Athen Schulfrei. Alljährlich zum 12. Oktober entbrennt in Griechenland eine geschichtsrevisionistische Debatte. Der Tag der Befreiung der Hauptstadt wurde jahrzehntelang überhaupt nicht gefeiert.

Wer hat die Nazis vertrieben?

Denn das, was offizielle Vertreter der bürgerlichen Politik in Griechenland gern verschweigen ist, dass das Hissen der griechischen Flagge auf der Akropolis am 12. Oktober 1944 durch kommunistisch geprägte Truppen der Partisanenarmee EAM-ELAS stattfand. Die Alliierten trafen erst später ein, nachdem die Wehrmacht bereits vertrieben war.

Damals war die griechische Hauptstadt voll mit roten Fahnen mit Hammer und Sichel. Die Bürger der Stadt jubelten den kommunistischen Partisanen zu, und begannen Kollaborateure zu jagen. Griechenland war im Weltkrieg keineswegs geeint im Kampf gegen die Nazi-Truppen. Außer den Kollaborateuren gab es auch bürgerliche Politiker und den König, die in Exil flohen und von dort die Bevölkerung zu Ruhe und Geduld aufriefen. Es gab nationalistische Partisanen, wie die EDES, PAO usw., die zunächst mit den Briten gemeinsam den Widerstand gegen die Nazis leisteten, aber später zumindest teilweise zu Kollaborateuren wurden, als es um die Jagd nach Kommunisten, und was auch immer von der kruden Welttheorie der Nationalisten als kommunistisch eingestuft galt, ging.

Einen Monat vor der Befreiung, als die Entwicklung bereits absehbar war, schrieb der spätere erste Ministerpräsident des befreiten Griechenlands, Georgios Papandreou, einen denkwürdigen Brief an den Botschafter der Exilregierung in London, Athanasios Agnidis. Das Schreiben der Exilregierung in Kairo vom 12. September 1944 befindet sich in den Archiven des Außenministeriums.

Papandreou bemerkt, „ich bin unendlich traurig und habe wegen der Umstände keine Kabinettssitzung einberufen, um eine Verbreitung der Enttäuschung zu vermeiden. Eine Konsequenz der Umstände wird sein, dass erstens die Befreiung weitgehend als Erfolg der EAM angesehen werden wird, welche die von den Deutschen verlassenen Gebiete umgehend einnehmen werden. Zweitens wird die Regierung [gemeint ist die Exil-Regierung], wenn sie nach Athen geht, dort ohne die Unterstützung der Alliierten zur faktischen Geisel der EAM. Drittens, wird das britische Prestige einen schweren Schaden nehmen. Viertens, habe die britischen Truppen, wenn sie verspätet eintreffen keine Erklärung für den Grund ihres Kommens nach Griechenland, weil dieses dann bereits befreit ist.“

Einen Tag nach dem Abzug der Wehrmacht aus Athen kam es in Piräus zu Scharmützeln zwischen Partisanen, Arbeitern und Bürgern auf der einen Seite und einen Wehrmachtstrupp auf der anderen Seite. Von den Alliierten gab es keinerlei Unterstützung, Gegenteil. Die Wehrmacht wollte mit ihrer Strategie der verbrannten Erde, die Industriebetriebe, Hafenanlagen und das Elektrizitätswerk in Piräus zerstören. Dies kam den Briten, vorteilhaft vor, weil damit einer eventuellen kommunistischen Verwaltung die Ressourcen für den Wiederaufbau entzogen werden konnten.

Allein in Piräus verfügte die EAM-ELAS über 100.000 registrierte Mitglieder, welche knapp 40 Prozent der damaligen Bevölkerung von 250.000 – 300.000 Einwohnern ausmachten. Der Kampf um Piräus ist eine der prägnantesten, heute kaum diskutierten Schlachten der griechischen Befreiung von den Nazis. Der siegreiche Ausgang für die Partisanen stellte die Briten in ein noch schlechteres Licht, als es Papandreou einen Monat vorher befürchtet hatte.

Wenige Tage später kümmerte sich Papandreou nicht mehr um die Legitimation der britischen Truppenpräsenz. Er kam zusammen mit den Briten und Lt. General Ronald Scobie am 18. Oktober 1944 zur Akropolis. Dort ließ er die griechische Flagge einholen, nur um sie als „Befreier“ direkt danach erneut zu hissen. Der Kalte Krieg hatte bereits begonnen, bevor der Zweite Weltkrieg offiziell zu Ende war.

So kam es am 3. Dezember 1944, als das Dritte Reich noch von den Alliierten gemeinsam bekämpft wurde, in Athen zu 28 toten Zivilisten. Diese hatten sich zu Tausenden auf dem Syntagma Platz in Athen eingefunden, um zu demonstrieren. Die Demonstranten forderten ihren Sieg ein. Sie wollten sofortige Wahlen und keine von den Briten, als neue Besatzer, eingesetzte Regierung.

Die Westalliierten befürchteten jedoch, dass Griechenland unter dem Eindruck der faktischen Befreiung durch die EAM-ELAS Partisanen kommunistisch werden würde. Schließlich hatte die EAM-ELAS im Jahr der Befreiung mehr als 1,5 Millionen Mitglieder. Sie sahen, was durchaus auch als Parallele zur aktuellen Entwicklung in Syrien gesehen werden kann, ihre Sicherheitsinteressen gefährdet.

An dieser Furcht änderte sich auch nichts, als die Demonstranten am 3. Dezember „Viva Roosevelt, Viva Churchill und Viva Stalin“ skandierten und gleichzeitig Flaggen aller Alliierten schwenkten. Die britischen Militärs eröffneten das Feuer auf die Demonstranten, um die Menge zu sprengen. Es war der Beginn des griechischen Bürgerkriegs.

Es folge die Schlacht um Athen, mit der die Briten die kommunistischen Partisanen aus Athen vertrieben. Die wegen des Monats ihres Geschehens „Dekemvriana“ (Dezemberliche) genannten Kampfhandlungen beinhalteten auch Bombardierungen der Zivilbevölkerung in Vierteln, in welchen die Briten Kommunisten vermuteten.

Es ist kein Wunder, dass sich in Griechenland kaum jemand gern an diese Geschichtsperiode erinnern möchte, und stattdessen lieber der Eintritt in den Weltkrieg gefeiert wird.

White washing der Kollaborateure

Zu den urbanen Mythen Griechenlands gehört, dass es am Ochi-Tag 1940 zu einer Einigung der Griechen gegen die Truppen Mussolinis kam. Gemeinsam, so heißt es, sei man gegen die angreifenden Horden in den Kampf gezogen. Die Wirklichkeit sah etwas anders aus. Tausende des Kommunismus verdächtigte Griechen harrten als politische Häftlinge in den Zuchthäusern des Diktators Metaxas aus. Sie bettelten vergeblich darum, an zur Verteidigung des Landes an die Front geschickt zu werden. Ein Großteil dieser Menschen wurde später von der Kollaborationsregierung Tsolakoglou nach der Kapitulation direkt an die Schergen des Dritten Reichs übergeben. Diese ermordeten viele von ihnen.

Während der Besatzung ging die Jagd auf Kommunisten weiter. Der Begriff „Kommunist“ war seinerzeit in Griechenland sehr weit gefasst. Als Kommunisten wurden bereits Menschen eingestuft, die obwohl selbst ideologisch eher in der Sozialdemokratie oder gar dem politischen Zentrum angesiedelt, den Marxisten nicht den Tod wünschten.

Die Kollaborationsregierung Griechenlands hatte daher zur Unterstützung der Wehrmacht eigene Truppen, die Tagmatasfalites, ausgehoben. Diese wurden mit einem religiösen Schwur feierlich auf den „Führer Adolf Hitler“ vereidigt.

Nach der Befreiung dienten sich die Tagmatasfalites der Exilregierung in Kairo an. Sie demonstrierten am 15. Oktober 1944 gemeinsam mit den Papandreou zugeneigten Kräften der EDES und PAN gegen die EAM-ELAS. Es ist anzumerken, dass während der Kollaboration mit den Nazis Tagmatasfalites von der EDES Widerstandsarmee rekrutiert wurden. Chef der PAN war der frühere Polizeichef der Kollaborationsregierung Tsolakoglou, Spiliotopoulos. Bei der Demonstration wurden Parolen wie „Großgriechenland – nieder mit den Bulgaren“ gerufen. Mit Bulgaren waren die Kommunisten gemeint, denen man nachsagte, sie würden gern Makedonien an die Bulgaren übergeben. Dies ist ein weiterer Schauplatz der griechischen Zerrissenheit, der im jahrzehntelangen Namensstreit über die Benennung des nun Nord-Mazedonien herrschenden Nachbarstaats Griechenlands mündete.

Im Rahmen der Demonstration vom 15. Oktober 1944 gab es eine Gegendemonstration der EAM-ELAS. Es kam zu Zusammenstößen und am Ende waren sieben Tote und 82 Verletzte zu beklagen.

Bewaffnung der früheren Kollaborateure

Im Staatsfernsehen ERT dozierte am 12. Oktober 2019 der Professor für Geschichte Thanos Veremis darüber, dass die Tagmatasfalites von der Regierung Papandreou am 10. Dezember 1944 in einer Art Notstand bewaffnet wurden, um gegen die Kommunisten zu kämpfen. US-Amerikanische Depeschen des OSS jener Zeit geben ein anderes Bild. Sie beschreiben, dass sich die einstigen Nazi-Kollaborateure und die Bürgerlichen in Athen vereinigt hätten, um EAM-ELAS zu bekämpfen. Die Dokumente lassen sogar die Interpretation zu, dass die ultrarechten Paramilitärs mit Hilfe des politischen Establishments gegründet wurden.

Die Bewaffnung der früheren Kollaborateure erfolgte mit Wissen, Billigung und Absicht des britischen „Statthalters“ Scobie. Die Kollaborateure erhielten Waffen, die von August bis Oktober aus dem nicht mehr umkämpften Nahen Osten nach Griechenland geschickt wurden. Am 29. Oktober 1944 wurden 800 Tagmatasfalites von der Peloponnes nach Athen gebracht. Am 4. November „flohen auf mysteriöse Weise“ 780 verurteilte, beziehungsweise unter Anklage wegen Kriegsverbrechen stehende Kollaborateure aus dem Syngrou Gefängnis in Athen.

Die denkwürdige „Flucht“ gelang den Kriegsverbrechern unter starker Mithilfe der Polizei, welche den „Flüchtenden“ bei dieser Gelegenheit auch gleich die Waffen für das Leben in Freiheit mit auf den Weg gab. Aus diesen, mit hochoffizieller Billigung der Alliierten bewaffneten Paramilitärs rekrutierten sich später die Mörderschwadronen, die in der Zeit des „weißen Terrors“ in Griechenland linke Politiker und Bürger ermordeten und drangsalierten.

Solche Ereignisse und Umstände können im heutigen Griechenland (noch) nicht gefeiert werden. Wenngleich eine große Anzahl von der Nea Dimokratia nahe stehenden Politikern und Wählern bereits versucht, rhetorisch den Boden dafür vorzubereiten.

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