Nachrichten und Kritik
15.08.19
Seit den beiden Wahlniederlagen vom Mai, bei den Europawahlen, und vom 7. Juli, bei den Parlamentswahlen, befindet sich SYRIZA im Umbruch. Der Parteivorsitzende sieht sich durch die Wahlen in seiner Überzeugung bestätigt, SYRIZA zu einem neuen sozialdemokratischen Pol in einem Zwei-Parteien-System umzuwandeln.
Bei den Europawahlen hatte SYRIZA 23,75 Prozent der Stimmen bekommen. Die damals oppositionelle Nea Dimokratia gewann mit 33,12 Prozent. Alle weiteren Parteien erhielten weniger als zehn Prozent.
So bekam die aus der PASOK und anderen sozialdemokratischen Bewegungen hervorgegangene KinAl (Bewegung des Wandels), 7,72 Prozent, die kommunistische Partei (KKE) erhielt 5,35 Prozent, die Goldene Morgenröte kam auf 4,87 Prozent. Ebenfalls ins Europaparlament gewählt wurde die Griechische Lösung, eine neue rechtsradikale Partei. In Griechenland muss für Wahlen auf nationaler Ebene eine drei Prozent-Hürde übertroffen werden.
Bei den vorgezogenen Parlamentswahlen kam die Nea Dimokratia auf 39,85 Prozent. SYRIZA erlangte 31,53 Prozent. Für die KinAl stimmten 8,10 Prozent und für die KKE 5,30 Prozent. Die Griechische Lösung erhielt 3,70 Prozent. An der Sperrklausel scheiterte die Goldene Morgenröte, während die Partei von Yanis Varoufakis es mit 3,44 Prozent ins Parlament schaffte. Sie war bei den Europawahlen denkbar knapp mit 2,99 Prozent gescheitert.
Vollkommen in der Bedeutungslosigkeit verschwunden ist die Popular Unity, auf Griechisch Laiki Enotita genannt. Die Partei, die im Juli 2015 von rund einem Drittel der damaligen Abgeordneten von SYRIZA gegründet wurde, erreichte nur 15.930 Wähler, 0,28 Prozent. Somit sind die Reste des früheren linken Flügels von SYRIZA zumindest vorläufig, Geschichte.
Zu den Verlierern der Wahl gehört auch die frühere Parlamentspräsidentin Zoe Konstantopoulou. Sie hatte sich im September 2015 noch als Kandidatin für die Popular Unity dem Wählervotum gestellt. Danach gründete sie ihre eigene Partei, die Plevsi Eleftherias, und kam mit dieser bei den Parlamentswahlen nur auf 1,46 Prozent.
Trotz des Verlusts der Regierung sieht sich Alexis Tsipras nicht als Verlierer der Wahl. Er verweist darauf, dass SYRIZA bei den Wahlen für das Parlament mit 31,53 Prozent und 1.781.180 Wählerstimmen nur wenig unter dem Ergebnis vom September 2015 liegt. Damals bekam die Partei 1.926.526 Stimmen und damit 35,46 Prozent.
Die damaligen Stimmen waren nur Leihstimmen, meint Tsipras heute. Tatsächlich hatte Tsipras damals nicht nur Politiker, sondern auch Wähler der sozialdemokratischen PASOK übernommen. Nur passte diese Erklärung seinerzeit nicht in das Narrativ. Der Parteiname, SYRIZA, die Abkürzung steht für „Koalition der radikalen Linken“, passt nicht zu gemäßigt sozialdemokratischer Zentrumspolitik als Parteiideologie.
Das dürften die knapp 35.000 Mitglieder der Partei ähnlich sehen. Schließlich trat der Großteil der bestehenden Mitglieder zu einer Zeit in das damals linke Parteienbündnis SYRIZA ein, als dieses tatsächlich eine Bühne für reformierten Eurokommunismus bot. Damals galten die Realos der Partei, die sich heute in der „Gruppe 53“ wiederfinden als rechter Flügel. Heute sind sie, mit ihren prominenten Sprechern Euklid Tsakalotos und Nikos Filis, das genaue Gegenteil.
Tsipras, der 2012 das damalige Parteienbündnis SYRIZA aus wahltaktischen Gründen zur einheitlichen Partei wandelte, möchte nun den nächsten Schritt vollziehen.
Als Parteivorsitzender von SYRIZA hatte er sich im August und September 2015 nach seinem Umschwung vom Sparkursgegner zu dessen erfolgreichstem Verfechter, vom damaligen linken Flügel getrennt. Nun sind die übrigen, verbliebenen Anhänger linker Theorie an der Reihe.
Für die überschaubare Anzahl von Parlamentariern ist dies einfach. Schließlich wurden mit dem SYRIZA-Ticket ideologisch rechtspopulistisch gerichtete Politiker aus dem Fundus des sich auflösenden, früheren Koalitionspartners, den Unabhängigen Griechen, als Kandidaten aufgestellt und ins Parlament gewählt. Ebenfalls ins Parlament kam, nun als SYRIZA-Politiker, der frühere „Superminister“ Giannis Ragousis. Ragousis hatte dem Sozialdemokraten Giorgos Papandreou als einer der Schlüsselminister für die Auferlegung des Sparkurses gedient.
Damals, 2009-2011, war er einer der Politiker, gegen den SYRIZA-Anhänger und der Partei nahe stehende Medien mit Vehemenz und Einsatz aller demokratischen, und teilweise auch undemokratischen Methoden vorgingen. Nun ist der frühere Buhmann jemand, dessen Meinung in der parteieigenen Zeitung Avgi präsentiert wird. Ragousis Rolle in der Fraktion entspricht durchaus der eines Schattenministers.
Die Tendenz der Sozialdemokratisierung der Politik Tsipras war bereits zu Regierungszeiten eindeutig erkennbar. Sie wurde aber von der Partei selbst oft als „Fake-News“ abgekanzelt. Tatsächlich wurde der frühere Spitzenkandidat der europäischen Linken, Tsipras, als Gast zu zahlreichen Treffen der europäischen Sozialdemokraten eingeladen.
Tsipras propagierte bei den beiden Wahlkämpfen eine Öffnung der Partei für „fortschrittliche Kräfte“ und stilisierte sich zur personifizierten Bastion im „Kampf gegen Rechts“ hoch. Die Taktiken der beiden großen Parteien, SYRIZA und Nea Dimokratia wurden eindeutig vom Profil des jeweiligen Parteivorsitzenden bestimmt. Tsipras und Mitsotakis lieferten sich bereits vorher, unter Mithilfe des von Tsipras kontrollierten Parlamentspräsidiums, regelmäßig Duelle, bei denen die übrigen Parteien, aber auch die jeweils eigene Partei schlicht zu Statisten herabgestuft wurden.
In seiner Rhetorik, dem öffentlichen Auftreten und in seinen Positionen orientiert sich Tsipras nun am legendären, populistischen Volkstribun und PASOK-Gründer Andreas Papandreou. Der 1996 verstorbene, drei Mal zum Premierminister gewählte Papandreou pflegte seine Minister mit dem Spruch, „ohne mich würde Euch nicht einmal der Portier Eures Wohnhauses kennen“, einzuschüchtern.
Tsipras zeigte seine Affinität zu einer derartigen, zutiefst undemokratischen Einstellung bereits früh. Beim Parteikongress von SYRIZA im Oktober 2016 wollte er ein Zentralkomitee nach seinem Gusto schaffen. Problematisch erwies sich für dieses Unterfangen die im Parteistatut vorgesehene Quotenregelung. Demnach durften nur 25 Prozent der Mitglieder des Zentralkomitees gleichzeitig Abgeordnete, Minister oder in einer der übrigen Regierungsfunktionen sein.
Der Antrag wurde abgelehnt.
Wütend trat Tsipras ans Rednerpult. „Im Prinzip hat der Parteikongress – wenn er es bewusst gemacht hat – absolut gegen einen Vorschlag gestimmt, den ich gemacht habe. Der Kongress hat entschieden, dass im Zentralkomitee von 150 Mitgliedern nur dreißig der Parlamentarier, Minister und Ministerialdirigenten sein dürfen. Wenn das der Willen des Kongresses ist, folge ich!
Aber wir müssen wissen, was wir wählen. Ich möchte, dass wir dieses Thema nicht als Routine sehen. Es sollen zwei Reden, eine pro und eine kontra, gehalten werden und dann stimmen wir erneut ab“, sprach ‘s und ließ erneut abstimmen. Der Parteikongress stimmte im zweiten Anlauf für den Antrag Tsipras und damit faktisch für die Entmachtung der eigenen Mitglieder.
Demokratische Parteien werden auch in Griechenland nicht nur von den jeweiligen Parteichefs beherrscht. Allerdings ist die Machtfülle der Parteivorsitzenden bürgerlicher Parteien in Griechenland, verglichen mit den Befugnissen eines Vorsitzenden in Deutschland erheblich größer. So kann ein Parteivorsitzender in Griechenland ohne die Einschaltung von Gremien, einzelne Mitglieder per Deklaration aus der Partei entfernen.
Die Einschaltung von Gremien ist in Griechenland eher bei linken Parteien vorgesehen. Diesbezüglich hatte Tsipras seinen SYRIZA bereits frühzeitig, bei der Wandlung vom Bündnis zur einheitlichen Partei auf seine Person zugeschnitten.
Es bleibt ihm als „Hindernis“ nur noch die demokratische Macht der Parteimitglieder. Diese möchte er durch die „Öffnung der Partei“ übergehen. Neue Mitglieder sollen zu Tausenden angeworben werden, damit die Zahl der Mitglieder, „mit den Wahlergebnissen korreliert.“
Im Herbst soll bei einem Parteikongress der neue Weg der Partei besiegelt werden. Es gibt bereits Gerüchte, dass es auch zur Änderung des Parteinamens kommen könnte. Aber „PASOK“, so möchte die neue, alte Partei der Sozialdemokratie in Griechenland nicht heißen. Deren Nachfolgerin, die KinAl, soll bei künftigen Wahlen komplett aus dem Parlament gedrängt werden.
Der Ideologiewechsel von SYRIZA macht auch bei der Parteijungend nicht Halt. Anfang August traf sich Tsipras mit den Spitzen der Jugend der Partei. Er läutet eine Neustrukturierung der Nachwuchsorganisation ein.
„Es wurde beschlossen, die Jugend parallel zum Verfahren der Umstrukturierung von SYRIZA neu zu ordnen“, hieß es dazu aus Parteikreisen.
So wird das Festival der SYRIZA-Jugend am 27, 28 und 29 September zum Startschuss für die Besiegelung des Wegs in die Sozialdemokratie. Hauptredner der Veranstaltung ist Alexis Tsipras. Er wird die Gelegenheit nutzen, die Weichen für den Parteikongress zu stellen.
Nachwort der Redaktion: wir beenden damit die Berichterstattung über Syriza.