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Europa vor dem Rechtsruck

Die griechische Rechte überschlägt sich in rassistischer und antisemitischer Hetze vor den Europawahlen - die griechische Justiz schaut weg

Der Rechtsradikalismus ist eines der großen Themen der anstehenden Europawahl. Griechenland macht dabei keine Ausnahme. Anfang April störte eine von der kommunistischen KKE mitorganisierte Gegendemonstration eine Versammlung der „Heiligen Schar 2012 Thessaloniki“ in Kalamaria bei Thessaloniki. Die „Heilige Schar“, ein rechtsextrem organisierter politischer Verein wich zunächst auf einen anderen Veranstaltungsort, das Kino Astron in Menemeni aus. Der Saal wurde vom Bürgermeister von Ampelokipoi-Menemenis, Lazaros Kyrizoglou, zur Verfügung gestellt. Der Bürgermeister berief sich hinterher – nach Protesten des kommunistischen Bürgermeisterkandidaten – darauf, nicht gewusst zu haben, was die „Heilige Schar“ sei. Schließlich sah er sich gezwungen, die gesamte Veranstaltung zu stornieren.

Vorher, zum Beispiel im März, waren Mitglieder der „Heiligen Schar“ mit Attacken gegen Flugblätter verteilende Frauen aufgefallen. Die dem Nationalsozialismus nahe stehenden, offensichtlich unheiligen Schläger, störten sich daran, dass die Flugblätter anlässlich des Jahrestages der Bombardierung Jugoslawiens durch die NATO zu einer Protestveranstaltung gegen die NATO aufriefen.

Die Attacken der Gruppe gegen Wahllokale der Kommunistischen Partei in Nord-Griechenland sind zu zahlreich, um einzeln aufgezählt zu werden. Bemerkenswert ist ein Vorfall in Sykies/Thessaloniki. Dort verwüsteten die Schläger ein Parteibüro und schmierten neben dem obligatorischen Keltenkreuz auch noch den Spruch „Kommounia tha ginetai sapounia“ an die zerschlagene Fassade. „Kommunisten ihr wirst Seife“ – der, bei vielen Rechtsradikalen übliche, tragikomische Grammatik und Rechtschreibfehler durfte nicht fehlen.

Was den „Patrioten“, die sich im Übrigen durch Homophobie auszeichnen, auch noch fehlt, ist Geschichtsbewusstsein. Denn die „Heilige Schar“ ist zwar ein Begriff, der im März 1821 von Alexandros Ypsilantis für eine Elitetruppe beim griechischen Aufstand gegen das Osmanische Reich geprägt wurde, und der später für die Elitetruppe der griechischen Streitkräfte gewählt wurde.

Ypsilantis jedoch hatte sich auf die „Heilige Schar von Theben“ berufen, jene Elitetruppe einhundertfünfzig homosexueller Paare, mit denen die Thebaner die gefürchteten Spartaner geschlagen hatten. Es war die Truppe „der Liebhaber Thebens“, die bis zum Aufkommen der Übermacht Mazedoniens unter Philipp dem Großen Theben zur griechischen Großmacht machten. Die antiken Thebaner haben damit zwar nicht wie die Athener „die Demokratie erfunden“. Sie können sich aber durchaus darauf berufen, einer der ersten Stadtstaaten mit offizieller „Homo-Ehe“ gewesen zu sein.

Die heutige „Heilige Schar“ stürmt dagegen gern Theaterveranstaltungen, wenn sie ihnen zu freundlich gegenüber Homosexuellen oder Ausländern erscheinen. Paradoxerweise hatten auch die königlichen Soldaten der „Heiligen Schar“ im zweiten Weltkrieg als Motto „i tan i epi tas“, also den Wahlspruch der Spartiaten, die lieber mit dem Schild oder auf ihm in die Heimat zurückkehren wollten, statt den Schild fliehend auf dem Schlachtfeld zurückzulassen. Die königliche Elitetruppe operierte übrigens erst nach 1944 in Griechenland – als es im Bürgerkrieg gegen die Kommunisten ging. Vorher betrieb sie den zweiten Weltkrieg in der Wüste Arabiens, während die Partisanen in der Heimat gegen die Nazis kämpften.

Velopoulos, der neue Star der Rechten

Bei den Rechtsradikalen nach logischen, historisch haltbaren Argumenten zu suchen, wäre eine Aufgabe, welche den mythologischen Sisyphos noch schlimmere Qualen auferlegt hätte. Eines der Paradebeispiele ist der neue Stern am Firmament der Ultra-Rechten Griechenlands, Kyriakos Velopoulos.

Velopoulos verlegt einschlägige rechtspopulistische Literatur. Er macht aus seiner Begeisterung für Wladimir Putin keinen Hehl. Einst in der sozialdemokratischen PASOK gestartet, kam der Journalist Velopoulos mit der rechtspopulistischen, antisemitischen LAOS ins griechische Parlament, verlor aber 2012 sein Mandat. Heute erscheint er regelmäßig als Televerkäufer und politischer Kommentator bei Spartensendern und betreibt auch einen eigenen, kleinen Fernsehsender. Außer Büchern, in denen die Leser über „Chemtrails“, sowie über Propheten, die ein baldiges Widererstarken einer hellenistischen Großmacht voraussagen, erfahren, verkauft Velopoulos esoterische Gesundheitsprodukte und, falls die alternative Medizin nicht hilft, die Biographien von christlichen Heiligen.

Spötter behaupten, Velopoulos würde sogar die Originalausgabe der zehn Gebote feilbieten. So weit geht der geschickte Geschäftsmann jedoch nicht. Er tritt mit seiner Partei, Elliniki Lysi (Griechische Lösung) bei den Europawahlen an, und hat dafür einen Zehn-Schritte-Plan zum Wahlprogramm erklärt.

Gemäß dem griechischen Wahlgesetz erhielt er, mit seiner vom Areopag zugelassenen Partei, die Möglichkeit, sein Programm in Werbespots in allen Sendern vorzustellen. Das Narrativ lässt sich schnell zusammenfassen. Flüchtlingshelfern, Drogenhändlern, oder allen, die er als solche einstufen lässt, droht er mit der Todesstrafe. Die Flüchtlinge selbst bezeichnet Velopoulos als „illegale Invasoren“. Ausländer sollen rechtlich in allen Belangen als Menschen zweiter Klasse eingestuft und behandelt werden. Gemeinnützige Organisationen möchte er aus dem Land jagen. Besonderen Hass hegt Velopoulos gegen den Milliardär George Soros und, wie sollte es anders sein, gegen Juden.

Das griechische Außenhandelsdefizit möchte Velopoulos mit einem, wie er meint, einfachen Trick ins Gegenteil umkehren. Er will die Importe aller Waren verbieten, die auch in Griechenland hergestellt werden können. Dass er damit sämtliche Handelsverträge des Landes aufkündigt und gleichzeitig eine Retourkutsche für den Export der griechischen Produkte provoziert, stört die Logik des selbst ernannten, offensichtlich rassistischen „Retters der Griechen“ nicht. Sehr wahrscheinlich wird Velopoulos mehr als drei Prozent der Wähler überzeugen, und damit den Einzug ins Parlament der Europäischen Union schaffen.

Dass seine Thesen, vor allem in der Art, wie er sich in den Spots vorträgt, geltende griechische Anti-Rassismus-Paragraphen brechen, scheint weder Justiz noch den Rundfunkrat zu einem Verbot derartiger Wahlwerbung zu motivieren.

Unter den zur Wahl zugelassen Parteien befinden sich außer der bekannten Goldenen Morgenröte, der Griechischen Lösung auch noch zahlreiche weitere rechtsradikale Parteien. Die Programme unterscheiden sich lediglich marginal.

Keine Instanz verhindert rassistische Wahlhetze

Das Verständnis der Demokratie, wie es die griechische Justiz pflegt, verhindert juristische Maßnahmen gegen die Hetze rechtsradikaler Bauernfänger. Trotzdem kann man der Justiz nicht pauschal vorwerfen, sie würde die extremen Parteien unterstützen.

So finden die zeitgleich mit den Europawahlen abgehaltenen Kommunalwahlen in Thessaloniki ohne die Goldene Morgenröte statt. Die Liste, mit der offiziellen Unterstützung der Partei, erhielt keine Zulassung. Begründet wurde das gerichtliche Verbot zur aktiven Wahl in Griechenlands zweitgrößter Stadt nicht mit dem Parteiprogramm, sondern mit einem formalen Fehler der Partei. Sie hatte es versäumt in beiden Gemeindebezirken der griechischen „Nebenhauptstadt“ Kandidaten aufzustellen.

Widerstand gegen die Aussendung von rechtsradikaler Wahlpropaganda wird ebenfalls organisiert. Dort, wo die Sender per Gesetz nicht nein sagen dürfen, verhindern Streiks die Sendungen. So tritt die Gewerkschaft des Staatssenders ERT immer dann in den Streik, wenn die ERT, wie vom Gesetz vorgeschrieben, Wahlveranstaltungen übertragen muss. Fertige Wahlclips müssen und werden dagegen auch bei der ERT übertragen.

Der Prozess gegen die Goldene Morgenröte

Die griechischen Gesetzgeber und die griechische Justiz legen sich selbst Steine in den Weg, wenn es um die Verurteilung rechtsradikaler Straftäter geht. So wurden zwei, wegen Mordes am Immigranten Sachzat Lukman zu einer lebenslänglichen Freiheitsstrafe verurteilte Mitglieder der Goldenen Morgenröte am 6. Mai in letzter Instanz mit einer milderen Strafe belegt. Nun müssen sie für 21 Jahre und fünf Monate hinter Gitter. Mit dieser Zuchthausstrafe können sie erheblich früher wieder auf freien Fuß kommen, als mit der lebenslänglichen.

Die Begründung des Berufungsgerichts in Athen erschüttert. Es befand, dass die beiden, die in einem weiteren Prozess auch wegen Mitgliedschaft in der als Verbrecherische Organisation eingestuften Partei vor Gericht stehen, nach ihrer Verurteilung zwar keine Reue gezeigt hätten und auch vor der Tat keinen gesetzestreuen Lebenswandel vorzuweisen hätten, aber im Gefängnis keine weitere rassistisch motivierte Straftat begingen.

Das Strafverfahren gegen die komplette Parteispitze, zahlreiche Abgeordnete und Mitglieder zieht sich derweil immer weiter in die Länge. Es läuft seit dem September 2013, als die Polizei als Reaktion auf die Ermordung des Rappers Pavlos Fyssas die Parteiführung, zahlreiche Parlamentarier und Mitglieder der „Sturmtrupps“ der Partei verhaftete.

Mittlerweile sind alle Angeklagten wegen der Überschreitung der maximalen Untersuchungshaftdauer wieder auf freiem Fuß. Einer von ihnen, Giannis Lagos, kandidiert für das EU-Parlament.

„Dafür mussten wir gehen“, prangern die bisherigen EU-Parlamentarier der Partei an. Denn, so die Logik, mit der parlamentarischen Immunität des EU-Parlaments wäre Lagos bei einer sehr wahrscheinlichen Verurteilung vor einer Inhaftierung sicher. Zudem müsste das Ausreiseverbot, das er für die Dauer des Prozesses auferlegt bekam, im Fall einer Wahl zum EU-Parlamentarier aufgehoben werden.

Die bisherigen EU-Abgeordneten der Goldenen Morgenröte, unter ihnen der frühere NATO-General Elefteherios Synodinos, haben, nach ihrem Ausschluss von den Wahllisten, entdeckt, dass sie nicht für eine patriotische Partei, sondern für ein als Familienunternehmen geführtes nationalsozialistisches Konsortium tätig waren. Das zumindest behaupten sie nun. Darüber hinaus prangern sie illegale Parteienfinanzierung an, und legen detailliert vor, wie auch die Mitarbeiter der EU-Parlamentsfraktion erpresst wurden, ihre Gehälter „schwarz“ an die Partei zu überweisen.

Viele Parteien, offenbar eine Ideologie

Wie selbstverständlich erklären die geschassten Politiker, dass sie ihre Karriere in „patriotischen Parteien“ fortsetzen möchten. Den gleichen Weg wählt Nikos Michos, der für die Goldene Morgenröte ins nationale Parlament, die Vouli, gewählt wurde. Er verlor seinen Posten als Kandidat für kommende Wahlen, weil die Parteiführung einen anderen Günstling fördern wollte. Michos möchte nun im Prozess gegen seine einstige Partei aussagen. Er wechselte kurzfristig sogar zur Partei von Velopoulos. Er überwarf sich jedoch mit Velopoulos und schloss sich im Januar 2018 LAOS an.

Damit schließt sich ein Kreis. LAOS, eine Gründung von Georgios Karatzaferis, war von 2007 bis 2012 im Parlament vertreten. Mit Michos hat Karatzaferis, der im Jahr 2000 aus der Nea Dimokratia ausgeschlossen wurde, erneut einen Parlamentarier. Karatzaferis rechtspopulistische Partei erwies sich als Durchlauferhitzer für den Rechtsradikalismus im Land. Zu den früheren Mitgliedern gehören der jetzige Parteivize der CDU-Schwesterpartei Nea Dimokratia, Adonis Georgiadis, aber auch Makis Voridis, ein Schattenminister des Kabinetts der Nea Dimokratia. In den Reihen von LAOS findet sich auch ein gewisser Konstantinos Plevris. Plevris, der sich selbst unverblümt als Nationalsozialisten bezeichnet, gilt als der intellektuelle Vordenker der Wiedergeburt nationalsozialistische Ideologien in Griechenland. Er war für die Militärdiktatur (1967-74) in führender Position tätig und rekrutierte nach dem Fall der Obristenjunta den Nachwuchs für rechtsradikales Gedankengut. Auch Nikos Michaloliakos, Generalsekretär und Gründer der Goldenen Morgenröte

Plevris antisemitische Hetzschrift, „Die Juden – die ganze Wahrheit“ beschrieb die Konzentrationslager von Ausschwitz und Dachau als Ferienlandheime. Er, und mit ihm der größte Teil der Mitglieder der LAOS Partei, leugnen die Shoah. Plevris wirft den Juden vor, sie hätten alles nur erfunden, um die Welt zu unterwerfen. Daher, so Plevris, müsse man Juden, „eine Kugel zwischen die Augen schießen“. Auch dieses Buch gab griechischen Gerichten keinen Anlass, es zu verbieten. Beworben und verkauft wurde die Hetzschrift unter anderen vom jetzigen Parteivize der Nea Dimokratia, Adonis Georgiadis.

Letzter gibt sich nun geläutert, geht zu Gedenkveranstaltungen für Opfer des Holocaust und bedauert die damalige Werbung für das Buch. Er hat sich ebenso wie Voridis, der während der Schulzeit Hakenkreuze an Wände malte und politische Gegner mit der Axt in der Hand bedrohte, von seiner früheren, rechtsradikalen Vergangenheit losgesagt.

Das Geflecht der rechtsradikalen Parteien in Griechenland, die fliegenden Personalwechsel und ein Großteil der einschlägigen Gerichtsurteile im Land lassen jedoch Zweifel aufkommen, wie ernsthaft solche Reuebekenntnisse sind. Vielmehr offenbart sich bei vielen Gelegenheiten, wie tief rechtsradikales Gedankengut in einem nicht zu unterschätzenden großen Teil der Wähler verankert ist.

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