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100 Jahre Frauenwahlrecht – 100 Jahre Spott, Verhöhnung und Mansplaining

Warum der Kampf für das Frauenwahlrecht weitergeführt werden muss. Bericht von einer feministischen Veranstaltung mit männlichem Publikum

Im Jahr 1918 wurde in Deutschland das Frauenwahlrecht eingeführt, und der hundertjährige Geburtstag dieses Grundrechts wird in diesem Jahr auf verschiedenen Kanälen der Frauenbewegung gefeiert – so widmete beispielsweise die EMMA ihre November-Ausgabe den mutigen Frauenrechtlerinnen, die für das Frauenwahlrecht jahrelang kämpften und dabei Hohn, Gewalt und Verfolgung trotzten.

Im Hinblick auf diese Errungenschaft, die uns heute selbstverständlich erscheint, und der Diskriminierung, unter der unsere Vorgängerinnen litten, mag es eigentlich selbstredend erscheinen wie völlig unpassend sexistische Witze in der Diskussion darüber sind, genauso wie mansplaining und das völlige Ablenken vom Thema.

Zu einer Veranstaltung mit dem Titel „100 Jahre Frauenwahlrecht in Deutschland” in der Zentralbibliothek Düsseldorfs lud am 6. November 2018 der Düsseldorfer Aufklärungdienst (DA!) ein. Als Referentin war Dr. Gisela Notz zu Gast, ihres Zeichens Beirätin der Giordano-Bruno-Stiftung, die nun schon zum zweiten Mal aus Berlin anreiste. Im Frühling 2017 hatte sie ihr Buch zur Kritik des Familismus vorgestellt, diesmal betrachtete die Sozialwissenschaftlerin den Kampf von Frauen in Deutschland um ihr Wahlrecht.

Unter den ca. 60 Menschen im Publikum: auffallend viele Männer, weitaus mehr als die Hälfte. Begrüßt werde ich gleich am Eingang von zwei Bekannten, die ebenfalls feministisch interessiert sind. Einer sagt: „Ich kenn’ nen guten Witz über Frauen!“, und lacht schon los, sein Nebenmann – etwas verunsichert – auch. Ob ihm klar sei, dass er auf einer feministischen Veranstaltung ist? Ja ja, aber der sei echt gut, pass auf. Den will ich überhaupt nicht hören, bedeute ich ihm nachdrücklich und wende mich einer Freundin zu, die gerade reinkommt. Als ich mich wieder umdrehe, legt er los „Also, fährt ‘ne Frau…-”

Selektive Schwerhörigkeit bei Männern: „Nein“ hören sie gar nicht.

„Was hab ich gerade gesagt?”, frage ich und ertappe mich dabei in einem Ton, den ich eigentlich sonst bei Hunden annehme, die der Leberwurst willen hechelnd an einem hochspringen wollen und schon zum dritten mal das ‘aus’ ignorieren. Warum versteht eigentlich jede mannshohe Dogge im Gegensatz zum gemeinen Mann, wann die Grenze erreicht ist? Betretenes Lachen, es war ja nicht so gemeint. Er dreht sich dem Dritten in unserem Bunde zu, erwartet vielleicht brüderliche Solidarität, doch die Unangemessenheit ist selbst durch dessen männlichen Schädel gesickert. Der Witz bleibt unausgesprochen, hängt ungesagt über unseren Köpfen, zusammen mit dem Fragezeichen des Bekannten, der sich trotz selbstproklamierter feministischer Gesinnung über die Abfuhr einer Frau erschreckt hat.

Wir nehmen Platz, Gisela Notz betritt das Podium. Die 1942 geborene Wahlberlinerin studierte Industriesoziologie, Arbeitspsychologie und Erwachsenenbildung in Berlin, ehe sie an der TU-Berlin promovierte. Als Referentin der Friedrich-Ebert-Stiftung in der Arbeits- und Sozialforschung und als langjährige Vorsitzende des Bundesverbands von pro familia erarbeitete sie sich eine Expertise in der historischen Frauenforschung und der praktischen Frauenarbeit. In ihrer neuesten Publikation, dem Kalender 2019. Wegbereiterinnen XVII, stellt Dr. Notz bedeutende Frauen der Arbeiterinnen- und Frauenwahlrechtsbewegung vor und gibt damit einen Einblick in die Leben der Wegbereiterinnen, die für das heute 100-järige Bestehen des allgemeinen, uneingeschränkten und geheimen Wahlrechts für Männer wie Frauen sorgten.

Deutsche Suffragetten: “Können wir nicht wählen, so können wir doch wühlen”

In 1848 schrieb die Frauenrechtlerin Louise Dittmer in Bezug auf die Wahl zur Nationalversammlung in der Frankfurter Pauluskirche: “Wohl spricht man viel von Freiheit für alle, aber man ist gewöhnt unter dem Wort ‘alle’ nur die Männer zu verstehen”.

Frauen hatten nach dem Preußische Vereinsgesetz von 1870 weder Recht auf Versammlung noch auf Mitgliedschaft in politischen Vereinen.

Für Vereine, welche bezwecken politische Gegenstände in Versammlungen zu erörtern, gelten nachstehende Beschränkungen:

Sie dürfen keine Frauenspersonen, Schüler, Lehrlinge als Mitglieder aufnehmen; Sie dürfen nicht mit anderen Vereinen gleicher Art zu gemeinsamen Zwecken in Verbindung treten, insbesondere nicht durch Komitees, Centralorgane oder ähnliche Einrichtungen oder durch gegenseitigen Schriftwechsel […]

Frauenspersonen, Schüler und Lehrlinge dürfen den Versammlungen und Sitzungen solcher politischen Vereine nicht beiwohnen. Werden dieselben auf Aufforderung des anwesenden Abgeordneten der Obrigkeit nicht entfernt, so ist Grund zur Auflösung der Versammlung oder der Sitzung vorhanden.

In 1873 appellierte Hedwig Dohm an Frauen: „Fordert das Stimmrecht, denn über das Stimmrecht geht der Weg der Selbstständigkeit und Ebenbürtigkeit, zur Freiheit und zum Glück der Frau“. Menschenrechte, so Dohm, dürften kein Geschlecht kennen. Zahllose Frauen waren zu diesem Zeitpunkt ob ihrer völlig legitimen Forderungen persönlich angegriffen und sozial ruiniert worden – von Verhaftungen, über Familienzerrüttungen bis hin zu tätlicher Gewalt. Wie viele Frauen im Angesicht dieser Widrigkeiten psychisch zerstört wurden oder sich gar das Leben nahmen, kann heute tragischerweise nicht mehr nachvollzogen werden, wie Notz eindrücklich deutlich machte.

Clara Zetkin sprach 1891 vor den Delegierten des SPD-Parteitages über die Wichtigkeit des Frauenwahlrechts und wurde mit Brüll und Schall von den vermeintlich hohen Herren ausgelacht.

Es sollte bis zum Ende des 1. Weltkrieges dauern, bis nach dem Sturz der Monarchie die Republik ausgerufen wurde und im Zuge des neuen Regierungsprogramms endlich, am 30. November 1918, das aktive und passive Wahlrecht für alle Bürgerinnen und Bürger in der Verordnung über die Wahl zur verfassunggebenden deutschen Nationalversammlung verankert wurde.

Wer kann Frauen am besten vertreten? Nur eine Frau!

Im Februar 1919 hielt SPD-Politikerin Marie Juchacz als erste weibliche Abgeordnete eine Rede vor einem demokratisch gewählten Parlament. Sie erntete Spott und Hohn, doch ihre Worte in Bezug auf das erstrittene Wahlrecht und die gewonnenen Frauenstimmen waren messerscharf:

„Ich möchte hier feststellen, und glaube damit im Einverständnis vieler zu sprechen, dass wir deutschen Frauen dieser Regierung nicht etwa in dem althergebrachten Sinne Dank schuldig sind. Was diese Regierung getan hat, das war eine Selbstverständlichkeit: sie hat den Frauen gegeben, was ihnen bis dahin zu Unrecht vorenthalten worden ist.”

Die Aufgabe heutiger feministischer Politik ist es, so Dr. Notz, darauf hinzuweisen wie die Frauenpolitik wieder konservativer und heteronormativer wird. Unsere Rechte sind uns zu keinem Zeitpunkt geschenkt worden – wir haben sie hart erkämpft und sie zu bewahren ist so schwer wie Sand in der geballten Faust zu halten. Gleichzeitig sind die errungenen Freiheiten noch bei weitem nicht genug, äquivalent oder en par mit denen von Männern – sie entgegen andauernder Diskriminierung auszuweiten bleibt unsere Pflicht im Gedenken der Frauen, die uns zuvor gekommen sind und der Mädchen, die in einer gerechteren Zukunft leben sollen.

Damals wie heute: für Männer sind Frauenstimmen ein Witz

Tatsächlich könnte man sagen, dass sich unter der Oberfläche wenig verändert hat. So wie auch Zetkin und Juchaczals in politischen Gremien für ihre legitimen Forderungen verlacht wurden, so bleiben Frauenforderungen bis heute mit Spott und Hohn belegt.

Als 1997 endlich die Vergewaltigung in der Ehe unter Strafe gestellt wurde, ging der Abstimmung schallendes Lachen und empörter Hohn seitens der Parlamentarier voraus. Es erscheint völlig undenkbar und absolut irrwitzig, dass Frauen Gewalt als nicht wünschenswert und sogar sträflich ansehen.

Der Terror gegen Suffragetten, die für ihren Kampf von Polizei und der Justiz verfolgt wurden, zieht sich bis heute, wo Männer in feministischen Veranstaltungen über das Wegnehmen von Menschenrechten witzeln und Computerspiele für jedermann und jeden Mann die Möglichkeit bieten fiktiv – aber in höchster Grafikqualität – Suffragetten am Wegesrand bis zur Unkenntlichkeit zu vermöbeln. Sie mögen es als Witz oder Spiel abtun, doch Frauen wissen um das darunter liegende Motiv – Männer wollen Frauen zeigen, dass sie niemals vor unrechter, echter Brutalität sicher sind.

100 Jahre Wahlrecht für Frauen, 20 Jahre Anerkennung der Strafbarkeit ehelicher Vergewaltigung – es ist 2018 und als Notz darüber spricht, dass die Rechte von Frauen unter Beschuss stehen, geht auch bei der Düsseldorfer Veranstaltung ein Raunen und Spötteln durch die Reihen: Es könne ganz schnell gehen, belegt die Referentin am Beispiel Olympe de Gouges’; so manche von uns wäre allein für ihre Anwesenheit hier zu einer anderen Zeit auf dem Schafott gelandet, sagt sie, und frau hört aus dem Publikum amüsiert-mahnendes “Jaja, da müsst ihr aufpassen!” und süffisant-benevolentes “Na, wenn wir euch nochmal wählen lassen..!”. Dieses übliche augenzwinkernde, empathielose, arrogante und schlicht strunzdumme “hehe, ich mein ja bloß”-Gehabe, das Männer befähigt sich zu entscheiden auf eine feministische Veranstaltung zu gehen, über das leidvolle Leben und gewaltsame Sterben von Frauen zu lernen, von bis heute andauernden Ängsten zu hören und dennoch die Dreistigkeit zu beweisen blöde Witze zu machen.

Denn das können Männer am besten: am Thema vorbei und ohne jeglichen Zeitdruck, ungeachtet der Expertise einer Referentin und mit absolutem Selbstbewusstsein bei völliger Ignoranz gequirlten Stuss von sich geben.

Wenig überraschender Weise und entsprechend ihrer Sozialisierung zum tatkräftigen Einmischen entgegen allen Anstand in Bezug auf einem Thema, das sie nicht betrifft, und jeden Respekts vor Gästen, die betroffener oder qualifizierter sind als sie, melden sich in der Diskussionsrunde gleich mehrere Männer sofort zu Wort.

Sicheres Auftreten bei völliger Ahnungslosigkeit

Spätestens ab der Diskussionsrunde geht es nicht mehr um Frauenrechte, sondern Männerperspektive. Ansprechperson ist nicht mehr Dr. Notz, sondern der nächstbeste lautstarke “Feminist”. Verlässlich wie eine schweizer Uhr ergreift ein Mann das Mikrophon zur ersten Wortmeldung.Gewandt in Sachen Feminismus, denn er habe sich ja schon seit Jahrzehnten mit Frauenrechten beschäftigt, beginnt er mit Ausschweifungen über berühmte Frauen der Weltgeschichte, die Macht gehabt und ausgeübt hätten. Es folgt eine minutenlange – von der Moderatorin des Abends ununterbrochene – Worthülsen über Ägyptens Kleopatra und Mohammeds A’isha und matrilineare Strukturen; dann über das alte Rom und lila Latzhosen und matrilineare Strukturen; schließlich über feministische Schwerpunkte und und matrilineare Strukturen und im Grunde hat er keine Frage, aber zumindest kommt zweifellos rüber, dass er den Begriff “matrilineare Strukturen” für heute auswendig gelernt hat.

Auch nachdem eine Frau aus dem Publikum seine Ausführungen professionell berichtigt, obwohl Dr. Notz (ganz die Historikerin) freundlich auf das Fehlen von Zeitzeugen für die von ihm genannten Perioden hinweist und die Moderatorin endlich aufzeigt wie wenig seine Darstellungen sozio-politisch betrachtet mit dem historischen Thema des Abends zu tun haben, legt der gute Herr nach.

Nein, also so habe ja die Frauenbewegung angefangen, und Kleopatra sei damals viel mächtiger als Männer gewesen und so weiter, und so fort. Eine Grenze? Wo denn?

Die nächsten Wortbeiträge von Männern sind das Gleiche in grün, blau und rot. Sie ko-referieren, mansplainen, wiederholen in langer – und falscher! – Ausführung, was die Referentin bereits sagte. Sie überschatten jegliche sinnvolle, von Frauen vorgebrachte Frage an die Expertin und bringen mit ihrer unzusammenhängenden Rechthaberei völlig vom Thema ab.

Und sie geben erst nach, wenn keine Widerrede mehr kommt.

Wie mein Bekannter, der nach der Veranstaltung endlich – welch befreiende Erleichterung! – den blöden, sexistischen Witz erzählt, als ich mich gerade zwei Schritte entfernt mit Dr. Notz unterhalte. Ich bekomme es auch nur deswegen mit, weil ein Mann uns mitten im Gespräch einfach unterbricht, ganz ohne Schuld- oder Manierenbewusstsein und sich – natürlich ganz im Spaß! – beschweren muss. Die Referentin hat sich am Ende ihres Vortrags bei „allen feministischen Schwestern Düsseldorfs” bedankt, jedoch nicht bei den feministischen Männern! So einer sei er nämlich, er habe jahrelang Frauen unterrichtet, und ihnen Selbstvertrauen beigebracht, und ihnen überhaupt zum ersten Mal von Feminismus erzählt, und sexistische Frauen umerzogen, und Kleopatra, und A’isha und… ach nein, das war der andere – doch das egomanische Gequatsche war im Grunde das gleiche.

Als die an die Wand geplapperte Expertin schließlich nachgibt und sagt: “Nein, natürlich meine ich auch die Männer…”, hat er endlich, was er wollte, unterbricht wieder und lacht süffisant, das sei ja nur ein Spaß gewesen, legt aber nochmal nach und erinnert sie zwinkernd und mit erhobenem Zeigefinger, wie ein Opa ein kleines Mädchen ermahnt “…aber denken Sie beim nächsten Mal an die Männer, ne!”.

Und wie könnten wir sie vergessen, die Männer?

Die ihre Freiheit über unsere Sicherheit stellen, ihre halbgaren Meinungen über unser Wissen und unsere Erfahrung.

Die im Angesichts unseres Kampfes feixen und über unser Aufbegehren gegen die systematische Unterdrückung unserer Klasse spötteln.

Die den trockensten, unansehnlichsten und verbranntesten Krümel des Kuchens, den sie an sich gerissen haben, vor die Füße hungernder Frauen in den Staub werfen und dabei den süffisanten Gönner spielen.

Zu schön wäre eine Welt, in der die höhnischen Herr-scher auch nur für einen Abend vergessen sein könnten.

Denn am Ende meinen sie es sehr wohl so, die Männer. Wie Frauen sehr wohl wissen, bleibt es nämlich nicht bei den angeblich harmlosen Lachern. Der Sexismus in vermeintlich albernen Witzen senkt die Hemmschwelle für die darunter brodelnde Misogynie, die nur darauf wartet hervorkommen zu können. Dieser ist mit dem Auslachen von Frauenrechtlerinnen noch lange nicht Genüge getan. Denn damals wie heute wird Gewalt an Frauen – insbesondere an Frauen, die für Frauen einstehen – erst witzig, dann salonfähig, und schließlich Alltag.

Wie schon die die britische Sufragette Emmeline Pankhurst sagte:

Die Militanz der Männer hat durch die Jahrhunderte die Welt mit Blut getränkt, und für diesen Horror, diese Zerstörung sind sie mit Denkmälern, großen Gesängen und Epen belohnt worden. Die Militanz von Frauen hat nur das Leben derjenigen bedroht, die diesen gerechten Kampf gekämpft haben. Nur die Zeit wird offenbaren, welcher Lohn den Frauen zugesprochen werden wird.

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