Nachrichten und Kritik
04.12.18
Es ist wieder einmal soweit. Ein berühmter Mann ist gestorben. Das Internet überschlägt sich vor Trauerbeiträgen und Nachlässen - vergessen ist die Misogynie seiner Werke und Taten.
Von Sonia Giovanotti.
Als Stephen Hawking im März diesen Jahres starb, floss das Internet über mit Lobliedern und persönlichen Anekdoten Seine Bücher „Eine kurze Geschichte der Zeit“ und „Das Universum in der Nussschale“ waren Weltbestseller und von Millionen gelesen.
Weitaus unbekannter, aber mindestens genauso relevant sind die Memoiren seiner Frau Jane Hawking, “Die Liebe hat elf Dimensionen: Mein Leben mit Stephen Hawking”. Darin berichtet sie von ihrem leidvollen Leben im Schatten des großen Physiktheoretikers, für den sie ihr Studium abbrach, um sich fortan ganz um seine physischen und emotionalen Bedürfnisse zu kümmern, nur um von Hawking später für eine andere, emotional weniger ausgebrannte, auch noch beruflich als Krankenpflegerin ausgebildete Frau verlassen zu werden. Eine Geschichte, die zeigt, welch schwarzes Loch die Bedürfnisse von Männern sind – kein Licht, keine Karriere, keine Individualität kann ihnen entkommen. Vollständig verschluckt von der alles überschattenden, von der Gesellschaft gelobten Genialität dieser Männer, zieht sich die emotionale, unbezahlte Arbeit von Frauen ins Unendliche, bis sie implodiert und verschwindet; wohin genau, darüber debattieren die Experten noch.
Im letzten Herbst starb Hugh Hefner. Manchem reicht wohl die Tatsache nicht, dass er ein Magazin groß herausbrachte, das Pädophilie, Frauenentwürdigung und toxische Maskulinität propagiert und überhaupt salonfähig machte. Schon lange vor seinem Tod warfen die Berichte vieler Frauen und Männer ein Licht auf das frauenverachtende Verhalten dieses Mannes, der Frauen in seiner“Bunny Mansion” in einem patrouillierten, peniszentrierten und permanent entwürdigen Harem hielt, der nach Außen hin als verwirklichte Emanzipation der sexuellen Befreiung dargestellt wurde. Dass neben blauer Pillen für Männer – allen voran Hefner, der seine Manneskraft über Viagra bezog – Drogen aller Arten für die Damen flossen, um diese gefügig zu machen bzw. ihnen das Überleben in einem pink-überstrichenen Alptraum zu erleichtern, sollte an keinem vorübergegangen sein. Ebenso wie Hefner Frauen sexuell erniedrigte, und sie krankenhausreif missbrauchte. Sein ehemaliger Kammerdiener Stefan Tetenbaum erinnert sich: “Er war sehr brutal gegenüber seiner Freundinnen und Sexpartnerinnen. Er stellte sicher, dass sie Brustimplantate hatten. Damals waren Implantate neu und man konnte sie verschieben und zum Platzen bringen, und ich sah viele Frauen, denen das angetan wurde und die bei Hef um Hilfe weinten und bettelten, und er lies sie einfach zurück ins Krankenhaus bringen und sortierte sie aus. Es war ihm egal. Sie waren wegwerfbar.
Die gestorbene Ikone dieses Jahres heißt nun Stan Lee. Der 95-jährige Comicautor war bis zuletzt medial präsent und hoch populär. Das Internet platzt vor Lobeshymnen seiner Fans.
“Über die Jahrzehnte wurde er zum Gesicht und Synonym für den Zauber des amerikanischen Mainstream-Comics. Man dachte, er wäre längst so unsterblich wie die Heldenfiguren und -Sagen, die er erfand oder inspirierte.”, schreibt Andreas Borcholte für Spiegel Online.
Seine wohlbekannten Superhelden wahrten ohne eine Frage nicht nur den fiktiven Weltfrieden, sondern auch realen Sexismus. Neuverfilmungen appellieren an Millionen von jungen – und ja, natürlich auch erwachsenen – Fans, scheitern jedoch am Umschreiben der in Lees Geschichten inhärenten schädlichen Stereotypen, wie “Wonder Woman” bewies.
“Mögen Superhelden ihn geleiten” klagt die Zeit pathetisch.
Vor den bizzarren, BDSM-geprägten, misogynen und rassistischen Comicfantasien des greisen Zeichners abgesehen, wollen seine Anhänger (und Agenten, denn Lee lässt die Kasse klingeln) am liebsten die Augen verschließen. Genauso wie sie gerne die Ohren vor den unangenehmen, beschämenden und empörenden Stimmen von Frauen versperren würden, die das sexualisierende, objektifizierende Verhalten Lees gegenüber Pflegerinnen oder Masseurinnen – eben Frauen, über der er dank finanzieller Kontrolle und ob seines Status’ verfügen wollte – anprangern.
Diese berichten darüber, wie Lee sich vor ihnen masturbierte, sie begrapschte, was soweit führte, dass der berühmte Comiczeichner schließlich von einer Pflegeagentur gebannt werden musste, weil er trotz mehrfachen Ermahnungen keinen Respekt vor den weiblichen Mitarbeiterinnen zeigte.
Statt die Frauenleben anzuerkennen, die von Männern zerstört werden, wird die Lautstärke ihrer Grabreden lauter gedreht. Statt die gezeichneten Schicksale von Frauen zu sehen, die von Sexismus geprägt werden, schauen wir lieber auf bunte Bildchen, Glitzer und Glamour. Vorgeschobene Wissenschaftlichkeit, überzogene Anteilnahme und wieder einmal weißgewaschene weibliche Not in einer nicht enden wollenden, patriarchal-frommen, anbetungsgleichen Männerzentrierung.
Unsere Gesellschaft muss aufhören, Männer aufgrund echter oder vorgeblicher wissenschaftlicher oder künstlerischer Brillianz zu umsorgen, sie zu beklatschen und um sie zu trauern, während sie ihr gesamtes Leben auf dem Rücken von Frauen gestalteten. Wir müssen aufhören ihre soziale Unfähigkeit und Missbräuchlichkeit lediglich nebenbei – wenn überhaupt – zu betrachten wird, während Frauen für diese Energievampire jahrzehntelang emotionale, kognitive und tätige Arbeit ohne Lohn und Lob verrichten.
Stattdessen müssen wir endlich begreifen, sehen und anerkennen, wie viele weibliche Genies ermordet, unterdrückt und aus der Geschichte ausradiert werden.
Wer Hawking mit Einstein vergleichen möchte, hat ganz recht – beide waren misogyne Chauvinisten, die ihre Ehefrauen jahrelang sozial-emotional auslaugten, nur um sie dann für eine neue zu verlassen.
Wer glauben möchte, dass Hefner eine Utopie erschaffen hat, liegt ganz richtig – sein Playboy-Imperium ist eine Fantasiewelt für Männer, ganz sicher aber nicht für Frauen.
Wer nun in Stan Lee unbedingt einen Superhelden sehen möchte, obwohl er sein vulgäres Frauenbild in die Welt herausgetragen und seine Stellung bis zuletzt ausgenutzt hat, um Frauen sexuell zu belästigen, tut gut daran hinter die Sprechblasen, Vignetten und Lautmalerei zu schauen, um den Mann mit dem Maßstab zu messen, der Onkel Ben aus Spiderman durch seine Feder unvergesslich machte, denn „Aus großer Macht folgt große Verantwortung.”