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09.09.2016

16.11.18

Jüdischer Widerstand im zweiten Weltkrieg: die griechische Partisanin Sarah “Sarika” Yeshua

Sarah "Sarika" Yeshua (1927-2018) war Jüdin und führte einen Trupp bewaffneter Frauen im Kampf gegen die Nazibesatzung

In Quentin Tarantinos Hollywood-Film „Inglorious Basterds“ kämpft eine Gruppe jüdischer Partisanen, allesamt junge Männer, im besetzten Frankreich unter der Führung eines US-Offiziers gegen Nazi-Besatzer. Gab es solche Truppen in der Realität? Im Prinzip ja, nur waren sie nicht unbedingt unter der Aufsicht der US-Army – und die Kämpfer, die zur Waffe griffen, waren nicht nur Männer.

Im vorliegenden Fall handelt es sich um den jüdischen Widerstand in Griechenland. Dieser war in die EAM, Ethniko Apeleftherotiko Metopo – Nationale Befreiungsfront, eingebunden. Knapp 650 jüdische Griechen hatten sich der von der Kommunistischen Partei Griechenlands, KKE, ins Leben gerufenen Partisanenarmee ELAS angeschlossen. Eine von ihnen war Sarah Yeshua. Ihr Tod, im Oktober 2018, wurde bekannt, als sich anlässlich des griechischen Nationalfeiertags, des 28. Oktobers, Journalisten aus Euböa nach ihrem Schicksal erkundigten.

Griechenlands Eintritt in den zweiten Weltkrieg

Griechenland trat am 28. Oktober 1940 in den zweiten Weltkrieg ein. Der faschistische italienische Diktator Benito Mussolini hatte dem Land am Vortag ein Ultimatum zur bedingungslosen Kapitulation gestellt. Der ebenfalls faschistische Diktator Griechenlands, Ioannis Metaxas, lehnte ab. Die Italiener griffen Griechenland an, indem sie Albanien als Durchmarschgebiet benutzten. Ein halbes Jahr währte der erfolgreiche Abwehrkampf der Griechen an der albanischen Front. Die Griechen hatten sich, allen politischen Differenzen zum Trotz, gemeinsam gegen die Invasionsarmee gestellt. Dies ist auch der Grund, warum Griechenland den Eintritt in den zweiten Weltkrieg und nicht die Befreiung von der Nazi-Besatzung als Nationalfeiertag feiert. Wenige Tage nach der Befreiung begann in Griechenland ein weiteres dunkles Kapitel der Geschichte. Die Verfolgung der Partisanen der EAM und der Bürgerkrieg.

Mussolinis Einmarsch scheitert

Dem immer mehr in Bedrängnis geratenen Mussolini eilte die Wehrmacht zu Hilfe. Es ist bezeichnend, dass Mussolinis Truppen eine ihrer ersten Niederlagen ausgerechnet durch einen jüdischen griechischen Offizier, Oberst Mordechai Frizis, erlitten. Der Berufsoffizier schlug am 5. Dezember 1940 mit seiner Truppe eine stark überlegene italienische Division in die Flucht. Die Italiener, mit Luftunterstützung und Panzern kämpfend, hatten der Entschlossenheit des auf einem Pferd seine Infanteristen anführenden Frizis nichts entgegen zu setzen. Frizis selbst fand bei der griechischen Gegenoffensive unter Beschuss der italienischen Flugzeuge den Tod.

Im April 1941 brach der militärische Widerstand der Griechen zusammen. In der Folge erlebte das durch die Besatzungstruppen ausgebeutete Land von 1941-42 einen Hungerwinter mit vielen Toten, vor allem in den Städten. Die Besatzer terrorisierten und mordeten. Erste Widerstandgruppen bildeten sich. Die ELAS, Ellinikos Laikos Apeleutheriotikos Stratos, die griechische Volksbefreiungsarmee wurde am 16. Februar 1942 gegründet.

Ab 1943 wuchsen die vorher verstreut im Hinterland operierenden Gruppen zu einer regulär operierenden Armee zusammen. Sie lieferten sich offene Schlachten mit den Besatzern. Die Stärke der Truppe variierte zwischen 50.000 und 100.000 Kämpfern und Kämpferinnen. Am Ende des Weltkriegs waren knapp 30.000 gefallene Kämpfer und rund 800 von den Nazis aus Rache ausgelöschte Dörfer zu beklagen.

Die Shoah, der Holocaust an den europäischen Juden fand auch in Griechenland statt. Die größte jüdische Ansiedlung Europas, Thessaloniki, hatte vor dem Krieg 55,250 Gemeindemitglieder, von denen mehr als 95 Prozent durch die Nazis ermordet wurden, und lediglich 400 durch die EAM gerettet werden kkonnten. Sie überlebten in den von Partisanen kontrollierten Regionen. Eine der von Partisanen und nicht von den Besatzern kontrollierten Regionen war die Insel Euböa, die Heimat Frizis und Sarah Yeshuas. Frizis war mit Yeshua eng verwandt, er war ihr Onkel, der Bruder ihrer Mutter.

Sarah „Sarika“ Yeshua

Sarah Yeshua, auf der Insel Euböa als Sarika bekannt, wurde 1927 in Chalkida, der Inselhauptstadt, geboren. Ihr Vater verstarb im Jahr ihrer Geburt. Zu Beginn des Krieges war sie eine Musterschülerin der Handelsschule von Chalkida. Nicht einmal vierzehnjährig meldete sich das junge Mädchen als freiwillige Krankenschwester und versorgte Verwundete im militärischen Krankenhaus ihrer Geburtsstadt. Das umtriebige Mädchen besorgte für sich und ihre Mutter falsche Ausweise. Viele der jüdischen Griechen Euböas konnten sich vor dem Holocaust durch falsche Ausweise retten, wobei die Kirche und die Bevölkerung der Insel, die ihre jüdischen Mitbürger vor der rassistischen Verfolgung retten wollten, eine große Rolle spielten.

Sarika, die bereits in der EAM aktiv war, sorgte dafür, dass ihre Mutter gemeinsam mit ihr ins Bergdorf Steni kamen. Dort lebte die Schwester von ihr gemeinsam mit ihrem Mann Die EAM hatte die jüdische Bevölkerung Euböas in Bergdörfern, wie Paliouras, Theologos, Stropones und Vasiliko versteckt. Euböa diente zudem als Fluchtstation.

Von hier aus, vom Strand des Ortes Tsakaion im Süden Euböas, fuhren die Partisanen jüdische Bürger in kleinen Fischerbooten an die Strände der Türkei. Die heute viel diskutierte Fluchtroute nach Europa verlief damals in die entgegengesetzte Richtung.

Sarika war mittlerweile als Lehrerin im abgelegenen Bergdorf Kourkouli aktiv, wo sie als Mitglied der EAM für die EPON, die Jugendorganisation des kommunistischen Widerstands, arbeitete und auch Theatervorführungen organisierte. Den Kollaborateuren der Nazis waren solche Aktivitäten ein Dorn im Auge. Einer der Dorfbewohner verriet „die Lehrerin des Dorfes“ an die Wehrmacht.

Diese rückte an und schnappte die achtzehnjährige Mendi Moschovits (Moskovits gesprochen), eine Cousine Sarahs. Moskovits war ebenfalls als Lehrerin tätig und fiel daher der Verwechslung zum Opfer. Die Wehrmacht folterte die junge Frau, sie wurde mehrfach vergewaltigt und am Ende, am 4 März 1944, zur Abschreckung der Übrigen, nackt und zerschunden, mit einem Pfahl in den Genitalien tot auf den Dorfplatz geworfen.

Sarah Yeshua erfuhr davon. Sie bat ihren Politkommissar um die Erlaubnis, Rache zu üben. Die Partisanen lieferten ihr die Identität des Kollaborateurs. Daraufhin ging die junge Frau ins Dorf, traf den Verräter auf der Straße und stellte ihn zur Rede. Sie fragte nach ihrer Cousine. Der Verräter antwortete „endlich sind wir die jüdische Lehrerin los“. Sarah zog eine Pistole und erschoss ihn. Der Mythos der „Kapitanissa Sarika“ war geboren.

Die junge Lehrerin ging nach ihrer Racheaktion in den bewaffneten Widerstand und trat der 7. Kompanie der ELAS bei, in der sie eine Frauentruppe gründete, deren Anführerin „Kapitanissa“, sie selbst, wurde. Ein griechisch-amerikanischer Korrespondent, Konstantinos Pavlos, beschrieb die „Kapitanissa“ als „eine kleine, kräftige Frau mit schwarzen Haaren und blauen Augen. Sie rennt wie ein Mann und trifft mit der Waffe aus 200 Yards eine Nuss. Egal, ob sie Befehle ruft, mit ihren Armen Anweisungen an die Truppe gibt oder auf Bergpfaden singt, sie tut es mit Pathos und Stolz.“

Pavlos beschreibt Sarah Yeshua als „achtzehnjährige griechische Jüdin aus Chalkida. Sie ist Captain eines Platoons uniformierter Griechinnen auf der Insel Euböa. Sie hat ein paar britische Militärstiefel an, eine Kappe und eine aus einer amerikanischen Decke geschneiderte Militärjacke und Militärhose. Sie führt den Platoon jeden Tag zu den Operationen, welche ihr die Partisanenkompanie, der sie angehört befiehlt.“

Britische Beobachter zeigten sich verwundert und überwältigt vom Anblick einer klein gewachsenen Frau, die groß gewachsenen männlichen Partisanen Befehle erteilte und den Respekt ihrer körperlich überlegenen Kameraden genoss.

Sie selbst äußerte sich in einem Interview über jene Zeit:

„Es gab eine Gruppe von dreizehn Mädchen, die ich ausbilden sollte. Die Partisanen sagten mir, was notwendig war und ich lehrte dies den Mädchen. Am Anfang war es meine Aufgabe, sie auszubilden. Danach musste ich ihnen beibringen als Mädchen neben den Männern zu bestehen. Es war schwierig, ihnen beizubringen wie sie sich gleichberechtigt zu verhalten hatten.

Ohne die Partisanen wären viele Juden gestorben oder hätten das gleiche Schicksal wie die Juden Thessalonikis in Auschwitz erlitten. Sie wären dabei nicht allein gewesen, denn auch die ethnischen Griechen, die Juden halfen, diejenigen, die Widerstand leisteten, kamen ins Vernichtungslager. Es war ein sehr ernstes Thema.

Die Partisanen Euböas waren sehr straff und gut organisiert. Die Menschen machten nicht nur, was ihnen gerade gefiel. Jeder Partisan musste gegenüber seinem Anführer Rechenschaft ablegen und der Anführer unterstand seinerseits der Verwaltung aus Athen. Es waren keine anarchischen Zustände. Alles war so gut organisiert, wie selbst wir es uns während eines Krieges kaum vorstellen konnten. Alle waren sehr hilfsbereit. Es stand einer für alle und alle für einen. Es war wunderbar.

Euböa war einzigartig mit seinem Mädchen-Platoon. Niemand konnte sich vorstellen, wie Mädchen aus so abgelegenen Dörfern Partisaninnen sein konnten. Niemand konnte es glauben.

Ich war „Kapitanissa Sarika“. Wenn jemand etwas brauchte, hieß es „geht zur Kapitanissa Sarika, die sorgt dafür“. Sag es mir und ich mache es. Wenn sie meinen Namen vergaßen sagten sie … hier, die Kapitanissa der Genossen. Die übrigen Mädchen wurden beim Namen gerufen.“

Nach dem Krieg – die Emigration

Nach dem Abzug der Wehrmacht aus Griechenland begann in Griechenland die Verfolgung der Kommunisten, aber auch der nichtkommunistischen Widerstandskämpfer der ELAS. Aus Yeshuas vor dem Krieg großer Familie, von all ihren Schwestern und Schwagern, hatten nur sie selbst und ihre Mutter die Nazibesatzung überlebt.

Sarika Yeshuas mythischer Ruf in der Bevölkerung rettete sie vor der Verfolgung in Griechenland, gleichwohl ihr die Auswanderung nahegelegt wurde. Zunächst verließ sie ihre Heimatinsel und zog kurzzeitig nach Athen. Schließlich verließ die frühere Partisanin 1946 das Land und wanderte nach Palästina aus, wo sie heiratete und eine Familie gründete. Am Mittwoch, den 24. Oktober 2018 wurde sie in Petah Tikva beerdigt.

Sarah Yeshuas Schicksal ist nur eine von vielen Geschichten über den jüdischen Widerstand in Griechenland. Es ist ein Thema, dass in der Geschichtsschreibung auch mehr als sieben Jahrzehnte nach Ende des Weltkriegs nur fragmentarisch erfasst wurde. Jedes der bislang bekannten Einzelschicksale könnte den Stoff für einen Spielfilm liefern. Dieser wäre dann anders als die „Inglorius Basterds“ Tarantinos real und nicht nur fiktiv.

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