Nachrichten und Kritik
07.08.18 | Theorie
Kann der tendenzielle Fall der Profitrate die Krise erklären? – Buchbesprechung zu Paul Mattick: „Business as usual. Krise und Scheitern des Kapitalismus“ (2012)
Von Markus Winterfeld.
Jede Theorie der kapitalistischen Gesellschaft muss sich daran messen lassen, ob sie das Phänomen der ökonomischen Krisen erklären kann. Während die bürgerliche Ökonomie die Erklärung der Krisen nie ernsthaft versucht hatte und Krisen als bloß vorübergehende Störungen eines wirtschaftlichen Gleichgewichts abtat, war die Erfahrung der großen Weltmarktkrisen des 19. Jahrhunderts für die Entstehung der Marxschen Theorie prägend und durchzieht diese Theorie auf allen Ebenen. In den Krisen offenbarte sich, dass der Kapitalismus jenseits der Oberfläche des Marktgeschehens innere Widersprüche aufwies, die zu periodischen Stockungen – absolutem Stillstand der Produktion, massiver Unverkäuflichkeit von Waren, Entwertung von Vermögen und riesenhaft anschwellender Massenarbeitslosigkeit – führten. Die Krisen, als Äußerungen dieser Widersprüche, zeigten zugleich die historische Begrenztheit der kapitalistischen Produktionsweise an und verwiesen auf die Möglichkeit und Notwendigkeit eines anderen Gesellschaftssystems. Es war die Erwartung von Marx und Engels, dass die Krisen mit fortschreitender kapitalistischer Entwicklung häufiger und schwerer werden, schlussendlich in eine chronische Krise münden würden.
Die Krisentheorie bildet den Abschluss der Marxschen Kapitalismuskritik, aber genau dieser Abschluss blieb bei Marx bekanntlich unvollendet. Seine verschiedenen Darstellungen zum Verlauf der Wirtschaftskrisen des 19. Jahrhunderts, ebenso seine Ausführungen zu den inneren Widersprüchen der kapitalistischen Produktion, die ebensoviele Gründe für Krisen darstellen, haben nach seinem Tod zu einer Reihe von Schulen der Krisentheorie geführt, namentlich der des tendenziellen Falls der Profitrate (Henryk Grossman, Paul Mattick Sr. u.a.), der marxistischen Unterkonsumtionstheorie (Paul Sweezy u.a.), des Realisierungsproblems (Rosa Luxemburg) und des Verschwindens der Wertsubstanz (Robert Kurz). Konnten diese Theorien in ökonomischen Friedenszeiten mehr oder weniger nebeneinander bestehen, ja konnten sich einige marxistische TheoretikerInnen vor wenigen Jahren noch darin gefallen, die Möglichkeit einer neuen großen Krise überhaupt zu „widerlegen“, so zwingt sich heute eine Entscheidung auf. Die neue weltweite Wirtschaftskrise seit 2008, die inzwischen einer kurzen Erholung stattgegeben hat, nur um heute (2018) in die nächste Krise zu münden, fordert nicht nur theoretische Klarheit ein, sondern liefert uns auch das notwendige Anschauungsmaterial zur Prüfung der verschiedenen Krisentheorien.
Zu den Büchern, die post-2008 die Krisendebatte wieder aufnahmen, gehört Paul Matticks „Business as usual. Krise und Scheitern des Kapitalismus“. Zuerst 2011 in Großbritannien erschienen, ist es seit 2012 in deutscher Übersetzung im Nautilus-Verlag erhältlich. Das Buch hat in der englischsprachigen und deutschen Linken große Rezeption gefunden, was zum einen an seinem kompakten Format liegt – auf rund 100 Seiten gibt Mattick einen geschichtlichen Abriss des 2008er Krisenverlaufs, eine theoretische Krisenerklärung und eine Kritik bürgerlicher Krisenlösungsstrategien. Zum anderen sicher daran, dass der Autor, Paul Mattick Jr., der Sohn des bekannten deutsch-amerikanischen Rätekommunisten und Lenin-Kritikers Paul Mattick (Senior) ist und in der Vergangenheit bereits als Übersetzer und Herausgeber von dessen politischen und ökonomischen Schriften in Erscheinung getreten war. Ebenso wie Paul Mattick Sr. vertritt Paul Mattick Jr. die Erklärung der Krise aus dem tendenziellen Fall der Profitrate. Die Besprechung seines Buches liefert uns die willkommene Möglichkeit, die Erklärungskraft dieser Theorie zu prüfen und uns über ihre theoretischen und praktischen Implikationen Klarheit zu verschaffen. In weiteren Besprechungen werden wir auf die anderen Schulen, sowie auf die älteren Profitratenfall-Theoretiker (Henryk Grossman, Paul Mattick Sr.) eingehen.
Wir fokussieren in allen diesen Besprechungen auf die theoretischen Grundlagen der jeweiligen Krisentheorien. Die Erklärungskraft einer Theorie muss sich zuvorderst in ihrer eigenen Stimmigkeit zeigen, während empirische Argumente, wie etwa zum genauen historischen Ablauf oder zu absoluten Zahlen und Verhältnissen, immer durch andere empirische Argumente anfechtbar bleiben. Unser Ziel ist hier, wie in allen theoretischen Auseinandersetzungen, eine immanente Kritik: wir sind gar nicht daran interessiert, den jeweiligen AutorInnen einzelne Fehler nachzuweisen, sondern wir müssen die Widersprüche und Bruchstellen aufzeigen, an denen ihre theoretischen Darstellungen über sich selbst hinaus und auf eine andere Wahrheit weisen.
Ausgangspunkt der Krisenerklärung durch den tendenziellen Fall der Profitrate ist die Marxsche Feststellung, dass nicht die Produktion von Gebrauchswerten – von materiellen Dingen zur Bedürfnisbefriedigung –, sondern die Produktion von Profit das Ziel und der Antrieb der kapitalistischen Produktion ist. Mattick schreibt:
„Was Geld so zentral für die moderne Gesellschaft macht, ist die Tatsache, dass die meisten Güter und Dienstleistungen von Unternehmen angeboten werden und Unternehmen in erster Linie darauf aus sind, Geld zu verdienen. Darum geht es in der Geschäftswelt: Es wird Geld eingesetzt, um Geld zu verdienen. […] Ein Unternehmen, das keinen Profit erzielt, wird schnell pleitegehen […]“ (S. 34fi)
Die Profite zeigen laut Mattick nicht nur das Gelingen der kapitalistischen Verwertung an. Sie bestimmen ebenso die Zukunftsaussichten der Gesamtwirtschaft, insofern sinkende Profite zur Rezession führen können:
„Sind die durchschnittlichen Profite hoch, prosperiert die Gesellschaft; sinkende Profite können hingegen in eine Depression führen.“ (S. 35)
Zu betrachten ist hierbei stets der jeweilige Durchschnittsprofit als gesellschaftliche Gesamtgröße: ein einzelnes Kapital – ein einzelnes Unternehmen – kann selbst in Krisenzeiten höhere Profite erzielen, indem es andere Kapitale verdrängt. Was es dabei an zusätzlichem Profit gewinnt, erfährt ein anderes Kapital als Senkung des seinigen. Da uns nicht das Schicksal des einzelnen Unternehmens interessiert, sondern die kapitalistische Gesamtwirtschaft, betrachten wir also stets Durchschnittsgrößen.
Dass die aktuelle Durchschnittshöhe des Profits nun nicht nur eine Aussage über den gegenwärtigen Zustand der kapitalistischen Verwertung ist, sondern zugleich ihre Zukunftsaussichten bestimmt, begründet Mattick damit, dass die Profite die Neuinvestitionen determinieren. Hohe Profite in diesem Quartal führen zu hohen Investitionen im nächsten, wodurch eine zusätzliche Nachfrage nach Rohmaterialien, Maschinen usw., ebenso nach Arbeitskräften entsteht, so dass die Gesellschaft in eine Phase der Prosperität treten kann. Mattick verweist auf Untersuchungen des amerikanischen Wirtschaftsstatistikers W. C. Mitchell (1874-1948) und schreibt:
„Neuere Studien über die US-Ökonomie haben Mitchells plausiblen Befund bestätigt, dass Profite für die Erklärung von Konjunkturschwankungen zentral sind. Eine wichtige Auswertung von statistischem Material […] kam zu dem Schluss: „Die Effekte von Profiten (…) bestimmen die Investitionsflüsse.“ Und da Investitionen darüber entscheiden, wie viel Geld für die Einstellung von Arbeitern (und somit für deren Konsum) sowie für den Kauf von Rohmaterialien, Betriebsanlagen und Maschinerie ausgegeben wird, wirkt sich ihr Wachstum oder Rückgang auf Wachstum oder Rückgang der gesamten Wirtschaft aus. Dies erklärt auch, warum die Profite, wie eine neuere Untersuchung feststellt, bereits mehrere Quartale vor den drei Rezessionen von 1990, 2001 und 2007 stagnierten oder sogar zu sinken begannen. Die Statistiken über Gewinne, die seit den letzten Dekaden des 19. Jahrhunderts erhoben werden, zeigen, dass bei sämtlichen Rezessionen, die die US-Wirtschaft seitdem durchgemacht hat, etwas Ähnliches aufgetreten ist.“ (S. 38f)
Hohe Profite führen zu hohen Investitionen und daher zum Wachstum der Gesamtwirtschaft. Weil aber nur investiert werden kann, was im vorherigen Jahr oder Quartal als Profit verdient wurde, sinken laut Mattick die Investitionen, sobald die Profite sinken. Sinkende Profite können also in eine allgemeine Rezession münden.
Warum aber sinken die Profite? Dies ist die Frage, die die bürgerliche Wirtschaftswissenschaft nicht erklären kann, und so kritisiert Mattick den von ihm gerade zitierten Mitchell: „Obwohl er Profite als den für die kapitalistische Entwicklung maßgebenden Faktor ansah, hatte Mitchell keine Erklärung für die historischen Veränderungen der Profitabilität.“ (S. 37f). Die Erklärung liefert allein die Marxsche Werttheorie:
„Das gewünschte kapitalistische Ergebnis des ganzen Prozesses, der Profit, stellt in Form von Geld die über jenes Ausmaß hinaus geleistete Arbeit dar, das zur Reproduktion der Klasse der Lohnabhängigen (eben in Form von Löhnen) und zur Herstellung der für die Produktion erforderlichen Güter notwendig ist.“ (S. 45)
Die Quelle des Profits ist die unbezahlte Mehrarbeit, die durch die einzelnen ArbeiterInnen verrichtet wird. Sie erhalten in Form der Löhne nur einen Teil des von ihnen erzeugten Werts, der Rest bildet die Substanz des Profits.
Durch die Konkurrenz der Kapitalisten untereinander entsteht nun ein widersprüchlicher Prozess: zum einen streben alle Kapitalisten danach, ihre Waren durch die Einführung neuer, arbeitssparender Maschinen zu verbilligen, so dass sie dieselbe Warenmasse durch weniger ArbeiterInnen herstellen können. Zum anderen führt aber genau dieser Prozess dazu, dass die Profitmasse sinkt, denn weniger ArbeiterInnen verrichten auch weniger unbezahlte Mehrarbeit:
„Wie wir gesehen haben, stellt der Profit in Geldform jene Arbeit dar, die die Beschäftigten aller produktiven Unternehmen der Gesellschaft über den Punkt hinaus leisten, der für die Reproduktion von Materialien, Werkzeugen sowie der Beschäftigten selbst erforderlich ist. Geben diese Unternehmen in zunehmendem Maß für Maschinen und Materialien mehr Geld aus als für Arbeitskraft, dann sinken die Investitionen in die Verrichtung von Arbeit, die über die Reproduktion der Beschäftigten hinaus Profit erzeugen kann, im Verhältnis zu den Gesamtinvestitionen. Folglich entsteht eine Tendenz zum Rückgang der Profitabilität, dem allerdings sinkende Arbeitskosten und die Verbilligung von Maschinerie und Rohstoffen entgegenwirken – eine Tendenz, die Marx als „das wichtigste Gesetz der modernen politischen Ökonomie“ bezeichnete. Seine Erklärung für den tendenziellen Fall der Profitrate, über den einige Ökonomen des 19. Jahrhunderts bereits lange vor ihm Vermutungen angestellt hatten, ist – gelinde gesagt – umstritten. Sie führte Marx jedoch zu einer Analyse des Zyklus von Depression und Prosperität, die den inneren Zusammenhang zwischen Konjunkturzyklus, schwankender Profitabilität und der Zentralität des Geldes in der modernen Wirtschaft erklären kann […].“ (S. 48f)
Die Profitrate, das Verhältnis von angeeignetem Profit zum vorgeschossenen Kapital, sinkt also dadurch, dass ein immer größerer Anteil des vorgeschossenen Kapitals auf Maschinerie und Rohmaterialien entfällt, die keinen Mehrwert erzeugen, während ein immer kleinerer in Arbeitslöhnen verausgabt wird, da die Arbeiterzahl verringert wird. Was Mattick hier ausführt, ist nichts anderes als das bekannte Marxsche „Gesetz des tendenziellen Falls der Profitrate“ aus dem dritten Band des „Kapital“. Mattick hatte seinen LeserInnen in der Einleitung versprochen, auf „jeglichen Jargon zu vermeiden“ (S. 9), und versucht, seine Theorie nicht in den Marxschen Kategorien Wert und Mehrwert, sondern in den bürgerlichen Begriffe von Kosten und Profit darzustellen. Zur Vollständigkeit von Matticks Herleitung sei an dieser Stelle trotzdem das Marxsche Original zitiert; in der Marxschen Terminologie heißen dabei die Auslagen für Maschinen, Rohstoffe usw., die keinen Mehrwert erzeugen, konstantes Kapital, die für Arbeitskräfte variables Kapital:
„…so muß dies allmähliche Anwachsen des konstanten Kapitals, im Verhältnis zum variablen, notwendig zum Resultat haben einen graduellen Fall in der allgemeinen Profitrate bei gleichbleibender Rate des Mehrwerts oder gleichbleibendem Exploitationsgrad der Arbeit durch das Kapital. Nun hat sich aber gezeigt, als ein Gesetz der kapitalistischen Produktionsweise, daß mit ihrer Entwicklung eine relative Abnahme des variablen Kapitals im Verhältnis zum konstanten Kapital und damit im Verhältnis zu dem in Bewegung gesetzten Gesamtkapital stattfindet. Es heißt dies nur, daß dieselbe Arbeiterzahl, dieselbe Menge Arbeitskraft, disponibel gemacht durch ein variables Kapital von gegebnem Wertumfang, infolge der innerhalb der kapitalistischen Produktion sich entwickelnden eigentümlichen Produktionsmethoden, eine stets wachsende Masse Arbeitsmittel, Maschinerie und fixes Kapital aller Art, Roh- und Hilfsstoffe in derselben Zeit in Bewegung setzt, verarbeitet, produktiv konsumiert – daher auch ein konstantes Kapital von stets wachsendem Wertumfang. […] Es ist ebenso nur ein andrer Ausdruck für die fortschreitende Entwicklung der gesellschaftlichen Produktivkraft der Arbeit, die sich grade darin zeigt, daß vermittelst der wachsenden Anwendung von Maschinerie und fixem Kapital überhaupt mehr Roh- und Hilfsstoffe von derselben Anzahl Arbeiter in derselben Zeit, d.h. mit weniger Arbeit in Produkte verwandelt werden. […] Die progressive Tendenz der allgemeinen Profitrate zum Sinken ist also nur ein der kapitalistischen Produktionsweise eigentümlicher Ausdruck für die fortschreitende Entwicklung der gesellschaftlichen Produktivkraft der Arbeit.“ (Kapital Bd. 3, S. 222f)
Hierauf basiert Matticks Krisentheorie, die nun darzustellen und zu prüfen ist.
Das „Gesetz des tendenziellen Falls der Profitrate“ ist noch keine Krisentheorie. Aus dem Fall der Profitrate folgt zwar, wie Mattick schrieb, dass auch die Investitions- oder Akkumulationsrate fallen muss, da immer weniger Profit zur Investition zur Verfügung steht. Damit hätten wir aber keine Krise abgeleitet, sondern einen Kapitalismus, der aufgrund des Mangels an Profit immer langsamer wächst, immer behäbiger und träger wird, bis er irgendwann sanft entschlummert. In der Realität haben wir natürlich etwas ganz anderes vor uns – katastrophale Wirtschaftszusammenbrüche, Milliardenbankrotte, Vernichtung des Reichtums ganzer Nationen über Nacht; Massenarbeitslosigkeit und Massenelend. Wie bringt Mattick beides zusammen? Das ist die Nuss, die er zu knacken hat.
Die Schlüsselstelle seines Buches, an der er beide, Profitratenfall und Krise, zusammenzubringen versucht, befindet sich auf S. 49:
„…dass bei sinkender Profitabilität irgendwann der Punkt erreicht wird, an dem die verfügbare Profitmasse nicht mehr zur Ausweitung des Systems insgesamt reicht, auch wenn einzelne Firmen weiterhin wachsen können. Eine Verlangsamung oder Stagnation der Investitionen bedeutet einen schrumpfenden Markt für die produzierten Güter. Arbeitgeber investieren ihr Kapital weder in Gebäude, Maschinerie und Rohstoffe, noch zahlen sie Löhne, mit denen Arbeiter Konsumgüter kaufen könnten. Nachlassende Investitionen werden von den Arbeitern als steigende Arbeitslosigkeit und von den Unternehmern als Schrumpfen der Märkte erfahren und von keynesianischen Ökonomen als Folge mangelnder Nachfrage erklärt. Da die sinkende Nachfrage zu Unternehmenspleiten, höherer Arbeitslosigkeit und so zu einem weiteren Rückgang der Nachfrage führt, verstärkt sich dieser Prozess selbst. Gleichzeitig geraten Unternehmer – und andere Schuldner – in wachsende Zahlungsschwierigkeiten, wodurch die von Banken und Finanzunternehmen emittierten Schuldtitel zunehmend wertlos werden und eine Finanzkrise verursacht wird, während der Fall der Aktienpreise den sinkenden Wert von Unternehmen anzeigt. Anstatt zu investieren, horten Privatpersonen und Unternehmen Geld. Kurzum, der Kapitalismus befindet sich in einer Depression.“ (S. 49f)
Die sinkende Investitionsrate führt also laut Mattick zur Schrumpfung der Märkte und daher zur Überproduktion und zur Krise, mit allen ihren Erscheinungsformen wie Bankrotten, Finanzkrach usw.
Bevor wir zur Kritik an dieser Argumentation ansetzen, vollenden wir die Darstellung von Matticks Krisentheorie, die sich wie folgt fortsetzt: die Schrumpfung der Märkte führt zu einem Überfluss an Produktionsmitteln und Arbeitskräften. Beide werden entwertet und sind nun zu billigeren Preisen zu haben:
Weil brachliegende Produktionsmittel billiger aufgekauft werden können, sinkt die Größe des für eine fortgesetzte oder neue Produktion zu leistenden Vorschusskapitals. Die Profitrate, das Verhältnis von Profitmasse zum Vorschusskapital, ist dadurch gestiegen.
Gleiches gilt für die Arbeitskräfte, die nun zu niedrigeren Löhnen gekauft werden können. Zugleich können die Arbeitszeiten und die Arbeitsintensität verlängert werden, weil das Heer der Arbeitslosen einen hohen Druck auf die beschäftigten ArbeiterInnen ausübt. Die Mehrarbeit kann somit erhöht werden, der Profit erhöht sich, und die Folge ist ebenso ein Anstieg der Profitrate.
Die Krise hat die Profitrate regeneriert und ein neuer Expansionszyklus kann beginnen:
„Was Einzelnen schadet, kann in einer kapitalistischen Wirtschaft jedoch gut für das System sein. Wenn Firmen pleitegehen und Produktionsgüter aller Art unverkauft bleiben, können die überlebenden Unternehmen zu sehr günstigen Preisen Gebäude, Maschinerie und Rohstoffe kaufen, während zugleich die Grundstückswerte fallen. Auf diese Weise wird der Geldausdruck früher produzierter Güter nach unten korrigiert. Zudem besteht ein Marktdruck, neue, effizientere und billigere Maschinerie zu entwickeln, wodurch Investitionen in Kapitalgüter weniger kostspielig werden. Gleichzeitig drückt die steigende Arbeitslosigkeit auf die Löhne. Auch dadurch sinken die Kosten für die Kapitalisten, während die von ihnen eingesetzte Arbeit produktiver wird, da die Beschäftigten dazu angetrieben werden, härter und an neuer Maschinerie zu arbeiten. Das Ergebnis ist eine Erholung der Profitrate, wodurch eine neue Runde von Investitionen und somit ein Wachstum der Märkte für Produktions- wie Konsumgüter möglich wird. Die Depression ist somit ein Heilmittel gegen unzureichende Profite; sie ist das Moment, das eine neue Prosperitätsphase möglich macht, wenngleich diese wiederum die Bedingungen für eine erneute Depression schafft.“ (S. 50)
Mehreres ist hieran zu kritisieren
Matticks Versuch, die Krise aus dem tendenziellen Fall der Profitrate zu erklären, zeigt seine grundsätzliche Schwäche, wenn man den sich aus seiner Darstellung ergebenden Verlauf des Krisenzyklus mit dem tatsächlichen vergleicht. Marx hatte den grundsätzlichen Verlauf der kapitalistischen Krisen bereits für die Krisen des 19. Jahrhunderts beschrieben, als etwa zehnjähriger Zyklus von Krise, Stagnation, Wiederbelebung, Aufschwung, Prosperität, Überproduktion und erneuter Krise, und diese Abfolge ist heute noch gültig:
„Die ungeheure, stoßweise Ausdehnbarkeit des Fabrikwesens und seine Abhängigkeit vom Weltmarkt erzeugen notwendig fieberhafte Produktion und darauf folgende Überfüllung der Märkte, mit deren Kontraktion Lähmung eintritt. Das Leben der Industrie verwandelt sich in eine Reihenfolge von Perioden mittlerer Lebendigkeit, Prosperität, Überproduktion, Krise und Stagnation.“ (Kapital Bd. 1, S. 476)
Matticks Theorie muss uns diesen Zyklus erklären. Wir finden in seinem Buch keine explizite Ableitung des Krisenzyklus, würden aber, wenn wir seinen Ausführungen zum Verhältnis von Profitrate, Überproduktion und Krise folgen, zu folgendem Ablauf kommen:
Die Krise bewirkt nach Mattick eine Erhöhung der Profitrate über ihren Vorkrisenstand. Zum einen liegen nach der Krise Produktionsmittel brach und sind ArbeiterInnen arbeitslos, so dass beide unter ihrem Wert gekauft werden können. Zum anderen arbeitet die Produktion nach der Krise noch mit den alten Produktionsanlagen des letzten Zyklus, die Einführung neuer und teurerer Produktionsanlagen, die einen erneuten Fall der Profitrate bewirken würde, hat noch nicht eingesetzt.
Beide von Mattick angeführten Gründe für die erhöhte Profitrate verschwinden allerdings, sobald die Wiederbelebung des Geschäfts einsetzt. Zum einen steigt die Nachfrage nach Produktionsmitteln und Arbeitskraft, so dass sich ihre Preise wieder ihrem Wert annähern. Die durch die Krise künstlich erhöhte Profitrate müsste damit sofort wieder sinken. Zum anderen werden nun nach und nach neue und teurere Maschinen eingeführt, die für einen erneuten tendenziellen Fall der Profitrate verantwortlich sind.
Aus Matticks theoretischer Darstellung würde also folgen, dass die Profitrate unmittelbar nach der Krise ihren Höchststand besitzt und danach über den gesamten Zyklus kontinuierlich sinkt.
Da nach Mattick aber ein bloßes Sinken der Profitrate die Märkte schrumpfen lässt und zur Überproduktion führt, so müsste mit dem bereits nach der ersten Wiederbelebung einsetzenden Fall der Profitrate sofort die nächste Krise erzeugt werden. Aus dem etwa zehnjährigen Krisenzyklus würde eine Abfolge von Krise, scheiternder Wiederbelebung und erneuter Krise. Mattick hätte somit „bewiesen“, dass – ein Aufschwung nach der Krise unmöglich ist.
Was hier auf Mattick zurückfällt, ist, ein logischer Sprung, den er bei der Ableitung der Krise aus dem Profitratenfall begehen musste, um zu erklären, dass ein bloßes Sinken der Profitrate bereits zu einem Schrumpfen der Märkte und daher zur Überproduktion führen müsse. Lesen wir nochmal die bereits zitierte Schlüsselstelle seiner Krisenerklärung (S. 49f), so schreibt er, dass
„[…] …dass bei sinkender Profitabilität irgendwann der Punkt erreicht wird, an dem die verfügbare Profitmasse nicht mehr zur Ausweitung des Systems insgesamt reicht […]. Eine Verlangsamung oder Stagnation [!] der Investitionen bedeutet einen schrumpfenden [!] Markt für die produzierten Güter.“
Das ist logisch nicht richtig. Denn wenn die Investitionsrate abnimmt oder gleich bleibt, d.h., die Akkumulation des Kapitals sich verlangsamt, so heißt das nur, dass die Marktnachfrage nach zusätzlichen Produktionsmitteln und zusätzlichen Lebensmitteln (für die zusätzlich benötigten Arbeiter) ebenso langsamer wächst, aber noch nicht, dass sie schrumpft. Wenn die Profitrate von 12 auf 10 % fällt, und aller Profit vorher wie nachher reinvestiert wird, reduziert sich die Akkumulationsrate des Kapitals ebenso von 12 auf 10 %. Die durch die Investitionen in neues Kapital hervorgerufene Nachfrage wächst nach wie vor – aber nicht mehr um 12, sondern nur noch um 10 %. Matticks Versuch, aus dem bloßen Stagnieren der Profitrate ein Schrumpfen des Marktes abzuleiten, beruht auf einem logischen Fehlschluss.
Es ist ein Fehlschluss, den er mit den älteren Profitratenfall-Theoretikern teilt. Hintergrund dieses Fehlschlusses ist das Dogma – auf das wir bei der Besprechung von Paul Mattick Sr. und Henryk Grossman näher eingehen müssen, wo es explizit aufgestellt wird –, dass sich das Kapital durch seine eigene Expansion seine eigene Nachfrage schafft. Hat es in diesem Jahr 10 % Profit erzeugt, so heißt das nichts anderes, als dass es 10 % mehr Produktionsmittel und Lebensmittel erzeugt hat, als es für seine Selbsterhaltung und die seiner Arbeiter braucht. An wen kann es diese zusätzlichen Produktionsmittel und Lebensmittel absetzen? Wo sind die Märkte für dieses Mehrprodukt? – Die Profitratenfall-Theoretiker sagen: Es kauft sich diese Produktionsmittel einfach selbst ab, und stellt zugleich die zusätzlichen Arbeiter ein, die die zusätzlichen Konsumtionsmittel kaufen werden. Das Kapital ist sich selbst sein eigener Markt. Im nächsten Jahr kann es dadurch ein noch größeres Mehrprodukt erzielen, das es erneut sich selbst hinzufügt, usw. Eine äußere Marktschranke gibt es nicht, und es ist einsehbar, dass man Mühe hat, hieraus einen 10-jährigen Boom-Bust-Zyklus abzuleiten, und genau hierbei stolpert Mattick.
Wie würde dagegen eine Theorie aussehen, die den Zusammenhang von Überproduktion, Krisenzyklus und Profitrate erklären könnte?
In der Realität ist die Expansion der kapitalistischen Produktion an einen äußeren Markt gebunden. Dessen Wachstum ist von Umständen abhängig, die vom Kapital nicht direkt kontrolliert werden, namentlich von der Erschließung neuer Länder und Bevölkerungsschichten für die kapitalistische Warenproduktion. Weil das Kapital schneller wächst als sein Markt, stößt es beständig an äußere Schranken, die sich als Überproduktionskrisen bemerkbar machen:
„Sobald aber das Fabrikwesen eine gewisse Breite des Daseins und bestimmten Reifegrad gewonnen hat, ….. erwirbt diese Betriebsweise eine Elastizität, eine plötzliche sprungweise Ausdehnungsfähigkeit, die nur an dem Rohmaterial und dem Absatzmarkt Schranken findet.“ (Kapital Bd. 1 S. 474)
Es ist diese zyklische Bewegung in der Erschließung und schließlich Überfüllung neuer Märkte, die nicht nur den industriellen Zyklus, sondern auch die Profitrate darin steuert. Anfangs ist sie hoch, weil die Krise mit einer Umstrukturierung und Erweiterung der Märkte bewältigt wurde, das Kapital überall neue Absatz- und Anlagemöglichkeiten findet, die Nachfrage für eine Weile höher ist als das Angebot und die Waren über ihrem Wert verkauft werden können. Den Produzenten sichert dies einen Extraprofit und die Produktion dehnt sich rasch aus. Diese Expansion setzt sich fort, bis auch die neuen Märkte überfüllt sind, die Nachfrage hinter dem Angebot zurückbleibt. Die Waren müssen unter ihrem Wert und daher mit geringerem Profit oder sogar Verlust losgeschlagen werden. Es ist das Verhältnis von Kapitalexpansion und Markterweiterung, das die Profitrate erst in einer langen Welle ansteigen lässt, bevor sie am Höhepunkt der Expansion zusammenbricht.
Die Profitrate ist im industriellen Zyklus nichts die steuernde, sondern die abhängige Variable. Mattick hat Recht, wenn er am Anfang seiner Darstellung schrieb (von uns bereits zitiert), dass „die Profite […] bereits mehrere Quartale vor den drei Rezessionen von 1990, 2001 und 2007 stagnierten oder sogar zu sinken begannen“ (S. 38) – aber er verwechselt Ursache und Wirkung. Die fallende Profitrate kurz vor dem Krach zeigt lediglich die Überproduktion an, die aber aus den zu engen Marktschranken resultiert, nicht aus dem tendenziellen Fall der Profitrate infolge des technischen Fortschritts. Dieser technische Fortschritt vollzieht sich ja auch viel zu langsam, um alle zehn Jahre in einen katastrophischen Zusammenbruch zu münden.
Was wird aber nun aus dem Gesetz des tendenziellen Falls der Profitrate, wenn die Profitrate in jedem Zyklus während der Ausdehnungs- und Prosperitätsphase erst steigt, um dann abrupt zu fallen? – Das Gesetz verliert dadurch nicht seine Wahrheit, sondern wird lediglich an seine richtige Stelle gerückt: es handelt sich beim „tendenziellen Fall der Profitrate“ um eine langfristige Tendenz über die einzelnen Krisenzyklen hinweg:
„Die Entwicklung der Produktivkräfte der gesellschaftlichen Arbeit ist die historische Aufgabe und Berechtigung des Kapitals. Eben damit schafft es unbewußt die materiellen Bedingungen einer höhern Produktionsform. Was Ricardo beunruhigt, ist, daß die Profitrate, der Stachel der kapitalistischen Produktion und Bedingung, wie Treiber der Akkumulation, durch die Entwicklung der Produktion selbst gefährdet wird. Und das quantitative Verhältnis ist hier alles. Es liegt in der Tat etwas Tieferes zugrunde, das er nur ahnt. Es zeigt sich hier in rein ökonomischer Weise, d.h. vom Bourgeoisstandpunkt, innerhalb der Grenzen des kapitalistischen Verstandes, vom Standpunkt der kapitalistischen Produktion selbst, ihre Schranke, ihre Relativität, daß sie keine absolute, sondern nur eine historische, einer gewissen beschränkten Entwicklungsepoche der materiellen Produktionsbedingungen entsprechende Produktionsweise ist.“ (Kapital Bd. 3, S. 269f)
Wir müssen somit zwei Ebenen trennen: das Gesetz der fallenden Profitrate bezeichnet eine langfristige Tendenz, begründet in der kapitalistischen Produktion. Im jeweiligen Zyklus wird diese Tendenz überlagert durch kurzfristige Schwankungen der Profitrate, die erst über ihren Ausgangswert zu Beginn des Zyklus steigt, um dann wieder darunter zu fallen. Wir haben also zwei distinkte Bewegungen der Profitrate – die aus dem „Gesetz“ folgende langfristige Abwärtsbewegung, und die aus der Marktausdehnung bzw. Überproduktion folgende kurzfristige Oszillation.
Wie gezeigt, ist das grundsätzliche Problem der Mattickschen Krisenerklärung aus dem Fall der Profitrate, dass es den Krisenzyklus nicht erklären kann. Das „Gesetz“, das einen langfristigen Niedergang der Profitrate voraussagt, erklärt keinen Krisenzyklus; Matticks Ergänzung, dass ein bloßer Fall der Profitrate den Markt zusammenbrechen lässt, lässt dann keinen Raum mehr für einen Aufschwung. Mattick muss also ein Moment finden, das den Krisenzyklus zum einen verlängern kann trotz bereits fallender Profitrate, zum anderen einen katastrophalen Krachzu erklären vermag.
Wie so viele andere marxistische Theoretiker findet er sein retardierendes Moment in der „Spekulation“.
Weil mit schrumpfenden Märkten die Profite sinken, werfen die Kapitalisten ihr Geld an die Börse, wodurch ihnen eine Weile ein zusätzlicher Profit entsteht, so dass die durch die fallende Profitrate gesetzte Stagnation herausgezögert wird, um dann umso härter durchzuschlagen:
„Das Nachlassen produktiver Investitionen bedeutete, dass mehr und mehr Geld für andere Zwecke verfügbar wurde. So begannen Unternehmen riesige Summen, die sie früher vielleicht für die Ausweitung der Produktion verwendet hätten, in die Übernahme und Umstrukturierung anderer Firmen zu stecken, wobei sie mit dem Weiterverkauf einzelner Sparten schnelle Gewinne machten und die Aktienkurse manipulierten, um an der Börse Geld zu verdienen.“ (S. 60)
Eine solche Begründung ist schon vom Ansatz her rundheraus abzulehnen. Marx hat im dritten Band des „Kapitals“ auf mehreren hundert Seiten erörtert, dass die Bewegung des Kredits, des Zinses und der Börsenwerte nur die Expansion und Kontraktion des produktiven Kapitals widerspiegelt, dass der fiktive Wert von Aktien und Immobilien sich aus dem Leitzins und daher der Profitrate ergibt, und dass die Börse nur anderswo erzeugten Mehrwert umverteilen, aber weder Wert, Mehrwert noch Profit schaffen kann. An der Börse ist der Gewinn des einen der Verlust des anderen, ein grundlegender Mangel an Profit kann hiermit nicht kompensiert werden. Mit einer grundsätzlichen, Marx folgenden Untersuchung der sogenannten Finanzsphäre hat dieser Verweis auf die „Spekulation“ und die angeblichen „schnellen Profite“ an der Börse nichts zu tun.
Was sich hier an Mattick rächt, ist sein gutgemeinter Versuch, „jeglichen Jargon zu vermeiden“. Statt der Marxschen Begriffe Wert und Mehrwert verwendet er die bürgerlichen von Profit und Kosten; statt der Marxschen begrifflichen Entwicklung illustriert er seine Theorie durch Zitate von bürgerlichen Wirtschaftswissenschaftlern, die am Ende nur Statistiker sind und anhand deren „Untersuchungen“ kein theoretisches Verständnis möglich ist. Das ist im Hinblick aufs Publikum gut gemeint, aber bei der ersten ernsthaften Diskussion muss man doch sofort auf die Marxschen Begriffe zurückgehen. In Profit und Kosten lässt sich die Marxsche Theorie vielleicht für irgendein Spezialproblem darstellen, aber nicht mehr begründen. Und diese Begriffe – Profit, Kosten, Markt, Spekulation – laden gerade dazu ein, den zugrundeliegenden Gesamtzusammenhang zu vergessen: hätte Mattick im zuletzt angeführten Zitat geschrieben, dass das Übernahmegeschäft an der Börse darin bestünde, Teile von Firmen „für einen schnellen Mehrwert“ zu verhökern, wäre ihm die Unsinnigkeit sofort aufgefallen: wie soll ein Mehrwert, der aus der Ausbeutung von Arbeitskraft entsteht, „schnell“ und durch einen Verkauf zustandekommen? In der bürgerlichen Redeweise von „Kosten“ und „Profit“ stolpert niemand über diesen Fehler. Hinter Matticks Idee, dass die Spekulation an der Börse die Wertpapierpreise bestimmt, steht schlussendlich die bürgerliche Theorie von Angebot und Nachfrage als Wertbestimmung. Hinter seinem Ansatz, dass sich an der Börse „schnelle Profite“ erzielen ließen, steht die bürgerliche Theorie, dass der Profit nicht aus unbezahlter Mehrarbeit, sondern aus einem Preisaufschlag resultiert. Würden wir Mattick hier folgen, wäre das der komplette Ausstieg aus der Marxschen Theorie. Der Verweis aufs Finanzkapital kann die Lücke in Matticks Krisentheorie nicht schließen.
Wir sind damit am Ende unserer Besprechung von Matticks Krisentheorie, müssen aber noch eine Anmerkung zu ihrer Anwendung machen – und auf die apologetischen Resultate, die aus ihr folgen würden. Was wäre das Resultat von Matticks krisentheoretischer „Anwendung“ des Gesetzes vom tendenziellen Fall der Profitrate, wenn wir über alle Fehlstellen hinweg sehen wollten? –
Der Fall der Profitrate führt das Kapital periodisch in die Krise. Aber jede Krise hebt diesen Fall der Profitrate wieder auf. Was bei Marx als langfristiges Gesetz der kapitalistischen Entwicklung konzipiert war – und möglicherweise als absolute Schranke – wird in der Mattickschen „Anwendung“ auf den etwa 10-jährigen Boom-Bust-Zyklus gerade aufgehoben und widerlegt.
Die Krise ist laut Mattick eine Überproduktionskrise, weil der vorhandene Markt für das Kapital zu klein geworden ist. Das Kapital selbst ist es aber, das seinen eigenen Markt erzeugt. Indem es die Krise durchmacht, kann das Kapital sich erneut ausdehnen. Eine absolute Schranke für die Expansion des Kapitals gibt es somit nicht.
Die Krise markiert in der Mattickschen Theorie somit keine temporäre oder absolute Grenze des Kapitalismus, sondern ist immer nur Bereinigungskrise für den nächsten Akkumulationszyklus. Die Schwere der aktuellen Krise (2008ff) resultiert laut Mattick nur daraus, dass die für die Profitrate heilsame Entwertung und Marktbereinigung seit den 70er Jahren aufgeschoben wurde. Würde diese Entwertung vollzogen, so würde nichts gegen eine neue Expansionsphase sprechen. Allein angesichts der unabsehbaren Folgen schrecken die Regierungen heute wie in den letzten vierzig Jahren vor dem Vollzug der Krise zurück:
„[…] dann kann es für die seit 2007 in so dramatischer Weise zutage getretenen Probleme keine wirkliche Lösung geben außer jener tiefen Depression, deren Vermeidung seit vierzig Jahren das oberste Ziel der Wirtschaftspolitik ist.
Lässt man einen Moment außer Acht, wie viel menschliches Leid der Preis einer derartigen wirtschaftlichen Katastrophe wäre und welche Gefahr dieses Leid für den „sozialen Zusammenhalt“ darstellen könnte, von dem die Bürokraten sprechen, dann ist es durchaus vorstellbar, dass eine solche Entwicklung dem Kapitalismus wie in der Vergangenheit neuen Auftrieb geben könnte. Wie zu anderen Zeitpunkten in der Geschichte würden Deflation und Pleitewellen die Kosten von Produktionsgütern senken, während die Löhne nach unten getrieben und riesige Schuldbeträge abgeschrieben würden, um die Grundlage für einen Anstieg der Profitrate zu schaffen. Der mit diesen wenigen Worten beschriebene Prozess könnte sich über mehrere turbulente Jahrzehnte erstrecken. In jedem Fall wäre er mit radikalen Verschiebungen in der Weltwirtschaft verbunden, so wie die Erholung nach den tiefen Depressionen des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts damit einherging, dass Großbritannien als dominierende Wirtschaftsmacht von den Vereinigten Staaten abgelöst wurde.“ (S. 86f)
Aus der Härte der sozialen Folgen begründet Mattick die Notwendigkeit, den Kapitalismus abzuschaffen. Aber diese Begründung bleibt voluntaristisch: geschieht die Abschaffung nicht heute, gäbe es doch einen nächsten Zyklus, einen neuen Aufschwung und eine neue Prosperität, wenn auch schlussendlich eine neue Krise, die dann die nächste Chance für die Überwindung des Kapitalismus wäre. Allein im Auslaufen der Ölreserven („peak oil“) und in der Klimaerwärmung sieht Mattick absolute Grenzen (S. 104) – die dem Kapital als ökonomischer Struktur aber gänzlich äußerlich sind und mit denen es umzugehen lernen wird. Was Mattick hierin komplett ignoriert, sind die grundsätzlichen Änderungen sowohl der kapitalistischen Produktion, wie des kapitalistischen Absatzmarkts, des Weltmarkts: die enorme Produktivität der kapitalistischen Industrie heute erfordert einen viel stärker wachsenden Markt als je zuvor, während zugleich mit der vollzogenen Industrialisierung Chinas die Ausdehnung des Weltmarkts an ihre Grenze gelangt ist. Was wir erleben ist nicht eine Bereinigungskrise, sondern die sich ankündigende riesenhafte Krise, das bereits bestehende weltweite Massenelend, die Staatsbankrotte und Bürgerkriege stellen bereits die Todeskrämpfe einer kapitalistischen Produktionsweise dar, die an ihre absoluten historischen und räumlichen Schranken gestoßen ist.
Dagegen ist nicht nur Matticks theoretisches Ergebnis erschreckend handzahm, sondern es ist auch anschlussfähig für jede linke bürgerliche Politik. Mattick hat die Folgen des anstehenden Zusammenbruchs im letzten Zitat drastisch dargestellt – aber hören wir nicht schon seine Schüler rufen: „ja du hast Recht, es braucht also eine Bereinigungskrise – aber warum denn einen großen Krach! Könnten wir ihn nicht – mit der richtigen Politik, vielleicht mit Elektromobilität und einer Umsattelung zu regenerativen Energiequellen – in einen „Crash light“ umwandeln? Eine langsame Entwertung – wir nennen es „Umstrukturierung“ – über zwei Jahrzehnte, statt großem Krach?“ Dagegen ließen sich auf der Ebene der Theorie keine grundlegenden Argumente vorbringen.
Oder erst Matticks Behandlung der Spekulation! Wenn der Markt deshalb schrumpfen soll, weil die Kapitalisten ihre Profite nicht reinvestieren, sondern an die Börse bringen, dann wissen seine Schüler schon einige Abhilfe. Sie rufen: Beschränken wir die Börsenspekulation, belegen wir vielleicht alle Börsengewinne mit einer Zusatzsteuer, um sie gegenüber der Produktion unattraktiver zu machen! Mattick mag seinen Jüngern noch zurufen, dass dadurch der Fall der Profitrate doch nicht abgeändert werde – aber linksbürgerlichen Adepten, die eine Theorie pragmatisch auslegen, haben sich noch nie um die genauen Zusammenhänge geschert. Sie rufen ihm zurück: schau, wir können den Krach verhindern! Du sagtest uns, dass die Kapitalisten aufgrund zu niedriger Profiterwartungen ihr Geld in die Spekulation werfen und dadurch die Produktion schrumpfen lassen? Das können wir ändern, wir ziehen sie in die Produktion zurück! Ja, sie hätten damit sogar einiges Recht gegen ihn: sie spüren mit scharfer Nase alle Schwachstellen einer Theorie auf, alle Krücken und Brücken, wo der Theoretiker bei „Profiterwartungen“, „Spekulation“ und anderen subjektiven Momenten Anleihen machen musste, und bauen aus diesen Bruchstücken ihr eigenes ideologisches Gebäude.
Matticks Versuch, die Krise aus dem tendenziellen Fall der Profitrate zu erklären, ist gut gemeint, aber theoretisch nicht haltbar. Das von Marx als langfristige Tendenz konzipierte „Gesetz des tendenziellen Falls der Profitrate“ ist keine Erklärung des zehnjährigen Krisenzyklus. Matticks Versuche, beide zusammenzubringen, zum einen durch die Behauptung eines schrumpfenden Marktes schon bei stagnierender oder sinkender Profitrate, zum anderen durch Zuhilfenahme einer bürgerlichen Spekulationstheorie, sind logisch unstimmig bzw. werfen alle Marxsche Theorie über den Haufen. Praktisch läuft Matticks „Anwendung“ des Gesetzes auf die Behauptung einer ewigen Lebensfähigkeit des Kapitalismus hinaus und ist anschlussfähig für allerlei linksbürgerliche Rezepte.
Mattick ist einer der jüngeren Vertreter der Theorie vom tendenziellen Fall der Profitrate als Krisenerklärung, die auch als „Überakkumulationstheorie“ bezeichnet wird und auf Henryk Grossman und Paul Mattick (Sr.) zurückgeht. Wir werden ihre theoretischen Versuche an späterer Stelle besprechen, wollen zuerst mit einer Theoretikerin fortfahren, die unserer Ansicht nach von allen am nächsten an einer rationalen Krisentheorie dran war: Rosa Luxemburg. Die Besprechung ihres Hauptwerks „Die Akkumulation des Kapitals“ erscheint in einer der nächsten Ausgaben.
Paul Mattick 2012 (zuerst englisch 2011): Business as usual. Krise und Scheitern des Kapitalismus. Nautilus Flugschrift.
i Anmerkung: leider lag uns nur die englische Originalausgabe, und die deutsche Übersetzung lediglich als eReader-Dokument vor, aus dem die Seitenangaben der Buchversion nicht ermittelt werden konnten. Die Seitenangaben verweisen auf die Stellen in der englischen Ausgabe, wurden zur Orientierung jedoch mit angegeben. Wir werden dies zu einem späteren Zeitpunkt korrigieren.
Unsere mit einigen Abstrichen nach wie vor gültige Orientierung in Fragen Krise und Finanzkapital ist der Aufsatz Die Überproduktionskrise, das Finanzkapital und die Gelddruckerei der Zentralbank. Für die Kritik einer verbreiteten Fehleinschätzung, dass die Trumpschen Handelszölle die Krise ausgelöst hätten (ähnliches hatte man schon zur Weltwirtschaftskrise 1929 behauptet), siehe der Artikel Ein marxistischer Blick auf Trumps Importzölle und die sich abzeichnende Krise.