Nachrichten und Kritik
22.06.18
...so schnell kommen Nachrichten kaum nach - nach dem Mord an Eurydice Dixon wurde nun ihr Mahnmahl durch Vandale geschändet. Über 10.000 Trauernde nahmen Abschied.
Von Sonia Giovanotti.
Wo es zum Alltag gehört Frauen nachzustellen, ihnen Gewalt anzutun, sie zu vergewaltigen und zu ermorden – in einer solchen Realität reicht Tätern selbst Tortur und Auslöschung nicht aus.
Der Hass und die Gewaltbereitschaft von Männern gegenüber Frauen kennt keine Grenzen, keine Atempausen, keine Hemmungen. Global betrachtet vergeht keine Sekunde, ohne dass eine Frau Gewalt erfährt, doch auch auf dem individuellen Level ist der Tod nicht das Ende der Ausschreitungen gegen die weiblichen Opfer männlicher Gewalt.
So auch im Fall Eurydice Dixon.
Kaum war die junge Australierin von einem Mann auf dem Heimweg vergewaltigt und ermordet worden, begannen Polizei und Presse auch schon mit der Schuldverschiebung auf das Opfer. Doch ihr Andenken, das von Feministinnen und Betroffenen solidarisch hochgehalten wurde und sich in einer Mahnwache am Ort ihrer brutalen Tötung manifestieren sollte, blieb nicht unbeschmutzt.
Denn wo es schon an grundsätzlichem Anstand vor Trauma, Anteilnahme und Erschütterung von Frauen mangelt, da lassen weitere Wellen von Herabwürdigung und Terror nicht lange auf sich warten. Die Nachwehen der Gewaltausschreitung gegen Eurydice werden im Vandalismus ihrer Gedenkstätte als Signal an alle Frauen offenbar. Eine Frau soll nicht frei von Gewalt leben – und keine kann je frei von Angst sein. Die mit heller Wandfarbe geschändete Wiese sollte uns alle daran erinnern, dass die Öffentlichkeit, die Herrschaft und die Autorität dem Patriarchat gehört. Die schändlichen Sprüche sollten die hinterbliebenen Frauen, die das System in Frage stellen oder gar bekämpfen, einschüchtern.
Feuerwehr, Stadt und Polizei arbeiteten diesmal Hand in Hand mit dem gemeinsamen Ziel die Spuren des Vandalismus auszuwaschen und zu überdecken und die Wacht dennoch zu ermöglichen. Durch eine 20-minütigen Stille in der Kälte des australischen Winterabends sollte für die über zehntausend Trauernden inmitten von Kerzen, Blumen und schwesterlichen Tränen der Abschied von Eurydice sowie ein kollektiver Umgang mit der mörderischen Gewalterfahrung stattfinden.
Doch die Ruhe wurde gehemmt durch das beständige Klicken der Fotografen. Die Andacht gestört durch die Live-Reportagen verschiedener Fernsehsender. Die Stille vereitelt durch einen Mann, dessen Mobiltelefon mehrmals laut klingelt. Der Respekt völlig zerschlagen durch sein mehrmaliges Abnehmen und Telefonieren inmitten der trauernden – und nun auch: verärgerten – Menge.
Wann – nach einem Leben voller Angst und einem von Gewalt gezeichneten Ende – findet eine Frau ihren Frieden?
Überwältigende Bilder zeigen Tausende von Menschen um einen großen Ring von Kerzen versammelt, in dessen Mitte ein Kreis von Blumen ruht. Ein ausgestanztes Loch in einem bunten Meer, ein herausgerissenes Detail im großen Ganzen. Eine dem Schlund des Hades nicht entkommende, tragische Nymphe. Eine durch sexualisierte Gewalt ausgelöschte Schwester – witzig, ehrgeizig und voller Tatendrang – in einer Bewegung von Frauen, die durch ihre Stimmen und Talente für die Befreiung einer Klasse kämpfen, die auf individueller wie kollektiver Ebene und von der Wiege bis ins Grab dem ungerechten, geschlechtsbasiertem Terror in sein hässliches, männliches und brutales Auge schauen. Und ihm trotzen. Bis zum letzten Atemzug. Und, gemeinschaftlich, darüber hinaus.