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Der Freier

09.09.2016

01.06.18

Santa Fe High School Massaker zeigt: Männliche Gewalt gegen Frauen kennt keine Grenzen

Der 17-jährige Mörder eröffnete das Feuer gegen MitschülerInnen und LehrerInnen - doch er hatte es insbesondere auf eine abgesehen: das Mädchen, deren Nein er bereits monatelang nicht akzeptieren wollte.

In den USA ist Mord die häufigste Todesursache von Frauen unter 44 Jahren, wobei über die Hälfe der Gewalttaten von Männern ausgeht, mit denen sie eine Beziehung fürhten. Tagtäglich erleben Frauen weltweit Nachstellung, Aggression und Gewalt – allerdings nicht nur von Ehemännern und Freunden, sondern auch von solchen, die es gerne wären. Der 17-jährige Dimitrios Pagourtzis, der im Mai in einer US-amerikanischen High School in Santa Fe / Texas das Feuer eröffnete, ist ein Beispiel dafür.

Beim 22. Schulmassaker in dieser ersten Jahreshälfte allein ermordete Pagourtzis acht SchülerInnen und 2 Lehrkräfte. Schnell stellte sich heraus, dass der junge Mörder keinesfalls zufällige Opfer niederschoss. Neben höhnischem Spott gegenüber seinen verängstigten, unmittelbaren Opfern und dem Verschonen von Schülern, die er mochte, sodass diese seine Geschichte weitererzählen mögen, wissen wir heute, dass im Zentrum des Gewaltzuges seine 16-jährige Mitschülerin Shana Fisher stand.

Pagourtzis hatte Fisher Monatelang nachgestellt und wollte ihre Ablehnung seiner Avancen nicht akzeptieren. In seinem narzisstischen Anspruchsdenken fühlte er sich stattdessen berechtigt die Waffe seines Vaters zu nehmen, hausgemachte Bomben in die Schule zu bringen und dort Schulattentate nachzuahmen, die er zuvor nachweislich in seiner Freizeit recherchiert hatte.

Wann immer die Gewalt von aktuellen oder verflossenen Partnern explodiert, lesen wir von “Eifersuchtsdramen” und “Depressionsfolgen” bei anderenfalls völlig anständigen Männern, von denen keiner jemals auch nur im Entferntesten so etwas erwartet hätte.

Auch im Falle von Pagourtzis’ Massenmord ließ die Verantwortungsverschiebung auf das Mädchen, das er kaltblütig ins Zentrum seiner Aggressionen stellte, nicht lange auf sich warten: sein Vater beklagte, dass der Junge das tragische Opfer von Mobbing in der Schule gewesen sei und die Medien stimmten in den kanonischen Refrain ein, mit dem episch das Leid des einst verschmähten Mörders besungen wurde. Diese Tätersolidarität in der internationalen und auch der deutschen Presse hat Tradition. Sie ist der Nährboden für eine perfide Empathie mit dem Täter, treibt das Leid der Opfer in den Hintergrund und propagiert eine Narrative, die männliche Gewalt gegen Frauen durch Beschwichtigung, Normalisierung und Romantisierung nachahmt.

Die verwendeten Konstrukte sind dabei so alt wie das Patriarchat selbst: sie reichen von der Geschichte des gehörnten Gatten (die Frau war schuld – was geht sie ihm auch fremd?), über die des deprimierten Arbeitslosen (die Frau war schuld – warum war sie ihm keine bessere emotionale Krücke?), bis hin zu der des ohnehin schon aggressiven Schlägers (die Frau war schuld – was bleibt sie auch mit ihm zusammen?).

Es ist immer das Gleiche – vielleicht reagieren wir deshalb auch schon gar nicht mehr. Es ist so ignorant, einfallslos und langweilig, dass frau eigentlich kaum darauf antworten kann. Doch die perplexe Stille, die auf heimtückische Verwirrung folgt, weiß das Patriarchat auszunutzen und das Paradigma des Opfertäters ist etabliert.

Dahingegen ist die aktuelle Welle der Verwunderung über die “Incels”, die der Fall Pagourtzis ans Tageslicht gefördert hat, völlig Fehl am Platz: Frauen haben schon seit Jahren auf die toxische und frauenverachtende Bewegung hingewiesen, doch heute wollen viele noch nie etwas von dem Subreddit-Onlineforen gehört haben. Die Beschäftigung mit dem Thema wird von den Medien stattdessen wieder zur Verständnisbildung für einen Täter genutzt, der nach konstanter Missachtung der Grenzen einer Frau zur gezielten Gewalt gegen sie und andere mutiert und dabei bis zum Äußersten geht und dabei die Ermordung Betroffener und Unschuldiger nicht scheut.

Doch ein zirkulär geführter Diskurs über Mördermotivationen und Incel-Idiotien verstärkt lediglich das populärste Manöver des Patriarchats: nämlich die Täter-Opfer-Umkehrung. Ob Gehörnter oder Schläger, ob angeblicher Mustermann oder unfreiwillig Enthaltsamer – verantwortlich gemacht werden bequemerweise stets Frauen; für eine männliche Gewaltbildung, die keine Grenzen anerkennt und keine Grenzen kennt. Wir müssen es endlich benennen:

Männliche Aggression gegenüber Frauen ist hassmotivierte Klassengewalt.

Mensch und Medien mögen sich scheuen die Wahrheit zu benennen, nicht zuletzt weil wir einsehen müssten, wie viel gefährlicher unsere Welt und unsere männlichen Mitbürger, Freunde und Partner sind. Doch die Bezeichnung der strukturellen Gewalt und das Aussprechen ihrer auf Sexismus aufbauenden Formen ist der wichtigste – und doch oftmals: systematisch übersprungene – Schritt zur Aufklärung und Anklage einer Unterdrückung, die Frauen als Klasse diskriminiert, bedroht und historisch wie heute immer noch in Scharen gezielt auslöscht.

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