Nachrichten und Kritik
26.01.18
Rote Flaggen, die zeigen, dass du als von Prostitution Betroffene die Diskussion abbrechen kannst (und solltest)
Von Huschke Mau.
Es gibt eine ganz bestimmte Art von Menschen (meistens Männer), die mir in Diskussionen über Prostitution immer wieder begegnen, und deren Verhalten ich in diesem Text mal beschreiben will. Diese Menschen betreiben das, was ich „Betroffenen-Bullshitting“ nenne: Betroffene der Prostitution so lange zuzudiskutieren, bis einer heult. Und WER heult am Ende, ist von vornherein klar. Leider habe ich selbst viel zu oft erst mitten in der Diskussion gemerkt, an wen ich geraten bin bzw. dass etwas nicht stimmt. Da war das Kind dann meistens schon in den Brunnen gefallen und ich hatte mir meine Verletzung schon abgeholt. Da ich das schon öfter gesehen habe, dass diese Typen auf (ehemals) prostituierte Frauen anspringen – welche Muster da ineinandergreifen, das wäre mal einen eigenen Text wert, Stichwort: „toxische Personen / Narzissten treffen auf traumatisierte Frauen“ –, habe ich hier mal ein paar rote Flaggen gesammelt, die definitiv ein Anzeichen dafür sind, dass Du als (ehemals) prostituierte Frau die Diskussion verlassen kannst und solltest.
Die erste und einzige Regel lautet: Diskussionen mit einem Betroffenen-Bullshitter bringen nie was. Nie. Diese Diskussionen fangen an, damit, dass:
Lass dich davon nicht einlullen. Das ist eine falsche Spur, auf der du noch immer stehen und dich fragen wirst, was schiefgelaufen ist, während dein Gegenüber in der Diskussion schon lange falsch abgebogen ist.
Rote Flaggen, die dich darauf hinweisen, dass du die Diskussion beenden kannst und solltest, um heil rauszukommen, sind:
..die man aber nicht darauf aufmerksam machen darf, dass diese Entscheidungsfreiheit in einem begrenzten Rahmen stattfindet. Männer, die behaupten, wenn die Opfer (bezahlten) sexuellen Missbrauchs in ihrer Handlungsfreiheit beschnitten sind, weil sie patriarchal erzogen sind oder Gewaltvorerfahrungen haben, dann müssten auch die Männer aus ihrer Verantwortung genommen werden, schliesslich seien die ja auch patriarchal sozialisiert und könnten nichts für ihr Handeln. Wenn Du das Gefühl hast, erklären zu müssen, dass es nicht derselbe Grad an Handlungsfreiheit ist, sich zu prostituieren /missbrauchen lassen zu müssen oder selber einen anderen Menschen zu missbrauchen / zu einer prostituierten Frau zu gehen, dann läuft was gewaltig schief. Die Verlagerung der graduellen Verantwortung für sexuellen Missbrauch vom Täter (Freier) auf Opfer dient immer nur Tätern und nennt sich victim blaming. Du wirst es fühlen, wenn das passiert, es fühlt sich falsch an. Und es fühlt sich falsch an, weil es falsch IST. All diese Gleichsetzungen von Opfer und Täter weisen auf nichts anderes als auf eine verkappte Täterschaft Deines Gegenübers hin. Mit anderen Worten: hier kann jemand gar nicht fair diskutieren, weil er selber Dreck am Stecken hat.
Deine Erfahrungen werden umdefiniert. Du wirst belehrt über das, was Du erlebt hast. Dir wird gesagt: „Das kann ja nicht so schlimm gewesen sein, du warst ja schliesslich im Escort und nicht auf dem Strich.“ Dir wird gesagt: „Das kann ja nicht so schlimm gewesen sein, wie du es beschreibst, denn ich kenne einen schwulen Callboy, dem hat das Spaß gemacht.“ Dir wird gesagt: „Das kann ja nicht so schlimm gewesen sein, und was heisst hier, unfreiwillig, ich habe auch manchmal keinen Bock, arbeiten zu gehen.“ Dir wird gesagt: „Es kann ja nicht so schlimm gewesen sein, sonst wärst du ja eher ausgestiegen.“
Sich aus der Not heraus prostituieren zu müssen (= sexuellen Missbrauch gegen Geld zulassen zu müssen) wird auf das Niveau einer arbeitenden Fabrikbelegschaft, die eigentlich keinen Bock auf Fliessbandarbeit hat, herabgezogen. Dir wird gesagt, dass es doch bestimmt auch nette Kunden gab, die nicht so schlimm waren (dabei ist nicht relevant, wie ein Mensch ist, während er einen anderen sexuell missbraucht) und damit impliziert, es wäre nicht jedes Mal ein Missbrauch gewesen. Du wirst gefragt, warum Du Dich nicht „gewehrt“ hast, wenn es doch so schlimm war. Kurz und gut, du hast das Gefühl, beweisen zu müssen, dass das, was Du erlebt hast, Missbrauch war.
Dein Gegenüber hat sehr viel Verständnis für Freier, selbst, wenn er behauptet, selbst keiner zu sein. Er nimmt andere Männer, Männer, die in den Puff gehen, in Schutz und gleichzeitig aus der Verantwortung. Er sagt Dinge wie „Das können die Männer doch nicht wissen, dass die Frauen das nicht wollen!“ (Doch. Können sie. Wenn ich jemandem Geld geben muss, damit er mit mir schläft, ist mir klar, dass derjenige das eigentlich nicht tun will.)
Er behauptet, etwas, das er gesagt hat, nicht gesagt zu haben. Er sagt: „Was heisst schon unfreiwillige Prostitution, viele Menschen haben keine Lust auf Arbeit zu gehen“, und wenn du ihn darauf hinweist, dass das eine unzulässige Gleichsetzung von Missbrauch mit Arbeitsunlust ist, sagt er: „Du verdrehst mir die Worte im Mund“ und streitet ab, gesagt zu haben, was er gesagt hat.
Zum Beispiel so: Dein Gegenüber sagt: „Aber Männer brauchen Prostitution, sonst gäbe es viel mehr Vergewaltigungen.“ Wenn du Dein Gegenüber darauf aufmerksam machst, dass das sexistisch ist, bekommst du zu hören: „Das finde ich jetzt aber traurig, dass du mich für einen Sexisten hältst.“ Damit gibt Dir Dein Gegenüber das Gefühl, es wäre nicht Fakt, was Fakt ist (nämlich dass eine sexistische Aussage sexistisch ist, und dass jemand, der sowas sagt, ein Sexist ist), sondern das Problem läge in Deiner Wahrnehmung. Bonuspunkte für das guilt tripping: du fühlst dich schlecht, schuldig und beschämt dafür, ausgesprochen zu haben, was ist. Du hast das Gefühl, nicht das, was ist, sei das Problem, sondern, dass du es aussprichst / benennst.
Du sagst, dass du dich gerade getriggert fühlst, dass du dich verletzt fühlst. Dir wird rückgemeldet, dass das nicht sein kann, weil keine Verletzung stattgefunden hat. (gaslighting) Dein Gegenüber vermittelt dir, dass du dich schuldig zu fühlen hast, wie du dich verletzt fühlst. Dir wird gesagt, dass Dein Gegenüber „traurig“, „schockiert“ oder „entsetzt“ darüber ist, dass du behauptest, verletzt zu sein. (guilt tripping)
Dein Gegenüber hat Dir gegenüber einen ERKLÄRANSPRUCH. Dir werden Dinge gesagt wie: „Du musst mir das jetzt erklären, sonst verstehe ich das doch nie! Dann bist du schuld, wenn ich es nicht begreife und ewig weiter glaube, dass Prostitution nicht abgeschafft gehört. Das ist doch DEIN Thema, also bist du dafür verantwortlich, alle davon zu überzeugen.“ Es wird darauf bestanden, dass du alles vorkaust und häppchengerecht servierst. Dass Dein Gegenüber sich selber informieren könnte, z.B. in Internet und Bibliotheken, ist völlig ausgeschlossen. DU als Betroffene hast die PFLICHT, dein Gegenüber aufzuklären. Und das bitte in NETTEM TON, so, dass dein Gegenüber es auch WIRKLICH versteht (was nie geschehen wird) und gerne MEHRMALS.
Dir wird gesagt: „Du kannst das gar nicht objektiv sehen, du bist doch betroffen.“ Oder „Du bist gerade viel zu emotional.“ Oder „Du sagst doch selber, dass du traumatisiert bist, mach doch erstmal eine Therapie.“ Das ist die Masche, dich über den Vorwurf der emotionalen Betroffenheit kleinzukriegen. Wechselst du jetzt auf die Ebene, mit wissenschaftlichen Analysen oder Statistiken zu argumentieren, kann ich dir jetzt schon sagen: keine Statistik der Welt wird für diese Menschen gut genug sein. Es fällt garantiert der Satz: „Ach, ich traue keiner Statistik, die ich nicht selber gefälscht habe.“ Keine Zahl, die du nennst, wird geglaubt. Sie KANN, aus welchen Gründen auch immer, gar nicht stimmen.
Sobald du Dein Gegenüber darauf ansprichst, dass es verletzende Dinge sagt, wird so getan, als sei deine Kritik an diesen Aussagen genauso verletzend wie diese Aussagen selber. Zum Beispiel so: „Ich finde das verletzend, wenn du sagst, dass Sex Arbeit ist.“ Antwort deines Gegenübers: „Das macht mich jetzt sehr traurig, dass du mir verletzendes Verhalten vorwirfst, das verletzt mich sehr.“ (Bonuspunkte für zitternde Unterlippen und Krokodilstränen.)
Nach jedem Satz, den du sagst, kommt ein „Ja, aber…!“, stets gefolgt von totalem Bullshitbingo. Es folgt ein Scheinargument nach dem anderen, keiner deiner Sätze darf stehen bleiben, schon gar nicht unkommentiert. Dabei kommt es nicht darauf an, dich argumentativ umzustimmen, denn viele dieser Einwürfe zeugen von erschreckender Geistesschlichtheit oder sind totaler Blödquatsch. Es geht eher darum, dich zu zermürben. Du sollst das Gefühl bekommen, dich zu verheddern. Du sollst das Gefühl haben, dass nichts von dir stehen bleiben darf, nicht mal, wenn du sagen würdest, wie du heisst. Du sollst das Gefühl haben, dauerkritisiert zu werden, unter Dauerbeschuss zu stehen. Das gibt deinem Gegenüber die Position, in größtmöglicher Selbstsicherheit bei gleichzeitig völliger Ahnungslosigkeit absolut dreist und auf qualitativ unterstem Niveau auf dem, was du sagst, rumhacken zu dürfen, während du gleichzeitig das Gefühl hast, in die Ecke gedrängt zu werden und eigentlich gar nichts richtiges mehr sagen zu können bzw. am besten gar nichts mehr sagen zu sollen.
Nach jedem Argument, das du bringst, folgt eine mindestens viertelstündige, völlig abgehobene philosophische Abhandlung deines Gegenübers, die dir das Gefühl gibt, dumm zu sein. Bonuspunkte für Zitate Schopenhauers oder Kants. Auch gerne genommen: das philosophische Auseinandernehmen von Begriffen, bis sie nichts mehr oder auch alles bedeuten können. Du benutzt das Wort „freiwillig“. Nach einem 20-minütigen Monolog Deines Gegenübers über „Freiwilligkeit“ als Begriff in der Geschichte der Philosophie ist Dir klar, dass du ihn nicht mehr benutzen kannst, weil er nichts mehr bedeutet. Dein Gegenüber hat ihn dir verschwafelt. Du benutzt ein anderes Wort. Auch das wird in einem langen Monolog relativiert und hat am Ende keinen Sinn mehr. Ende vom Lied: Du hast keine Worte mehr, keine Begriffe, um zu beschreiben, was du beschreiben möchtest.
Du sagst etwas, Dein Gegenüber wirft etwas ein. Du gehst auf das Gegenargument ein. Aber danach wechselt Dein Gegenüber das Thema und bringt sofort den nächsten Blödquatsch. Auf den gehst du auch wieder ein. Wieder Sprung zum nächsten Thema… Sieht ungefähr so aus:
Du: „Die meisten Frauen machen das unfreiwillig.“ (Argument)
Gegenüber: „Das glaube ich nicht, ich kenne eine, die macht das freiwillig.“ (Einwurf)
Du: „Aber laut einer Statistik von Farley würden 9 von 10 Frauen am liebsten sofort aussteigen.“ (Beleg Deines Arguments)
Gegenüber: „, Es ist das älteste Gewerbe der Welt.“ (Themenwechsel)
Du: „Eigentlich ist Prostitution aus der Sklaverei hervorgegangen, der Beruf der Hebamme ist das älteste Gewerbe der Welt.“ (Du gehst auf den Themenwechsel ein und belegst Deinen Widerspruch)
Gegenüber: „Aber dann gibt es viel mehr Vergewaltigungen.“ (erneuter, spunghafter Themenwechsel…)
usw. usw. usw.
Das Spiel könnt ihr noch zehn Jahre lang spielen. Dadurch, dass auf keins deiner Argumente eingegangen, sondern sofort zu einem anderen Blödquatsch übergesprungen wird, KANNST du gar nicht argumentativ siegen. Dein Gegenüber nimmt die Argumente nämlich gar nicht wahr. Du wirst zum Argumentezulieferer degradiert, der auf Zuruf Erklärungen zu bringen hat, die dann nicht mal wahrgenommen werden. Das könnt ihr endlos machen. Und wenn nicht, kannst du sicher sein, dass Dein Gegenüber diese Debatte beendet mit irgendwas irrationalem wie „Du bist ideologisch total verbohrt“. Und wenn du zehn Mal bessere Argumente hattest, dein Gegenüber hat NICHTS EINGESEHEN, und damit ist diese Diskussion nur eins: SINNLOS. Es macht Deinem Gegenüber Spaß zu sehen, wie du dich abrackst, während du gleichzeitig verzweifelst, weil es nichts bringt.
Kommen diese Verhaltensweisen deines „verständnisvollen“ Gesprächspartners bekannt vor? – Ja. Es sind genau dieselben Verhaltensweisen, die manipulativ-kontrollierende Männer in Beziehungen anwenden. Ebenso wie in den Beziehungen funktionieren diese aber nur, wenn du selbst mitspielst:
Denn:
Es gibt das Internet. Es gibt Bibliotheken. Abolitionistische Aktivistinnen haben hunderte, tausende Grundlagentexte geschrieben, die für jedeN auffindbar im Internet stehen.
Jemand, der wirklich interessiert ist, wird Dir ZUHÖREN und Dich nicht nach jedem Satz mit einem ABER unterbrechen. Es geht nicht darum, dass derjenige danach deine Meinung auch 100%ig übernimmt. Aber BEVOR sich jemand eine Meinung bildet, werden in der Regel INFORMATIONEN GESAMMELT. Und zwar, meinethalben, gerne aus diversen und gegenteiligen Quellen. Wer Dir aber nach jedem Satz ein ABER aufdrückt, der sucht nicht nach einer Meinung, der hat schon eine, auch, wenn ihm das nicht bewusst sein mag. So unglaublich viele Männer fühlen sich fortschrittlich und aufgeschlossen, während in ihnen zugleich ein winziger, tobender Macker um die Hinwegnahme seiner Privilegien bangt. Selbst Kerle, die noch nie vergewaltigt oder „sexuelle Dienstleistungen“ in Anspruch genommen haben, möchten insgeheim nicht für sich ausschliessen, das jemals ausprobieren zu wollen und fühlen sich unbewusst schlecht und um ihre Möglichkeiten betrogen, wenn du äußerst, Männern sowas verwehren zu wollen. Diese unbewusste Angst und Wut kriegst Du dann ab. Mit so jemandem brauchst du nicht zu diskutieren – progressive man in mind, aber Macker at heart.
Jemand, der wirklich interessiert ist, wird dich nicht nach jedem Satz belehren. DU bist die Profi, was Prostitution angeht. Du weisst, was Phase ist. Diese Person würde schliesslich auch keiner/keinem AtomphysikerIn gegenüber sitzen und den oder die nach jedem Satz unterbrechen und über das, was in der Kernschmelze abläuft, belehren.
Es ist nicht schlimm, wenn Leute keine Ahnung von Prostitution haben. Es ist nicht mal schlimm, wenn sie sich für dieses Thema nicht interessieren. Menschen, die das betrifft und die NICHT TOXISCH sind, haben aber alle eines gemeinsam: sie halten den Mund, wenn sie keine Ahnung haben.
Und eins noch: es gibt Menschen, die einem vorgaukeln, interessiert zu sein, und die man dann mühsam mit Statistiken, Erfahrungsberichten, wissenschaftlichen Analysen usw. bombardiert, während man merkt, dass sie nie überzeugt sein werden und dass sie eine heimliche, irgendwie sadistische Freude dran haben, dass man immer mehr an seine Grenzen kommt. Aber es gibt auch Menschen, die klug im Herzen sind, und die, selbst wenn sie noch nie eine Statistik dazu gelesen haben, sofort ihrem Gerechtigkeitsgefühl glauben und wissen: „Prostitution ist falsch. So gehen wir nicht mit unseren Mitmenschen um.“
Und DAS sind die, die wir als KampfgefährtInnen brauchen.
Scheiss auf die toxischen Selbstdarsteller und die manipulativen Narzissten mit ihrem Gebullshitte und Gegaslighte! Spar Dir die Diskussionszeit mit denen. Geh lieber, lies ein Buch und streichle eine Katze.
© Huschke Mau, Januar 2018