Nachrichten und Kritik
03.03.17 | Theorie
Feministische Psychotherapie Frage und Antwort
Anmerkung der Redaktion: Diese Folge der Kolumne von Hillary McBride erschien ursprünglich am 28. Mai 2016 auf Feminist Current. Wir danken für die Erlaubnis zur Übersetzung und Publikation. Für eine Selbstvorstellung der Autorin Hillary McBride und eine kurze Einleitung unsererseits siehe ersten Teil der Serie.
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Ich bin Psychotherapeutin, aber doch nicht deine persönliche Psychotherapeutin. Bei der Therapie geht es m.E. nicht allein um die von mir gegebenen Hinweise, sondern um die individuelle Beziehung, die sich mit jeder Klientin entwickelt, und in der ich ihre besonderen Bedürfnisse, Stärken und Schwierigkeiten kennen lerne. Diese Kolumne ist nicht dafür gedacht, eine individuelle Therapie zu ersetzen; wenn du unsicher bist, sprich bitte mit einer Therapeutin (einem Therapeuten) über diese Fragen – vorzugsweise einer, die du kennst, bei der du dich sicher fühlst, und die in der Lage ist, dich so zu unterstützen, wie du es zu dir passt.
Alle eingesandten Fragen waren komplex und aufrichtig. Vielen Dank für die Einsendungen. Die Fragen wurden gekürzt und anonymisiert.
Liebe feministische Therapeutin,
hast du Ratschläge zum Zusammenleben mit einem Mann/zu Beziehungen zu Männern in dieser Gesellschaft? Ich spreche mit meinem Partner oft über die Sachen, die ich hier oder auf anderen feministischen Seiten lese. Meist hört er zu und sagt seine Meinung, aber wenn wir uns streiten, sagt er manchmal, dass er das alles nicht hören möchte. Er hat oft Bemerkungen fallen gelassen, die mich zur Auffassung bringen, dass er Feminismus nicht als eine essentiell ansieht. Ich bin unsicher, was ich tun soll. Ich habe mehr und mehr das Gefühl, dass das eine Kluft wird, über die wir nicht hinwegkommen. Soll ich einfach mit ihm Schluss machen, oder mich auf irgendeinen Kompromiss einlassen? Oder einfach aufhören, die Dinge aus feministischem Blickwinkel zu betrachten, um unsere Beziehung zu retten? Manchmal denke ich, ich sollte einfach dankbar sein, dass er keinen manipulativen oder gewalttätigen [abusive] Charakter hat und im großen und ganzen ein guter Typ ist, und ich einfach etwas locker lassen sollte…aber das gefällt mir überhaupt nicht.
– N
Liebe N,
es freut mich, dass du diese Frage aufgeworfen hast. Ich denke, viele Leute in Beziehungen ringen mit der Frage, welche Aspekte an ihrer Beziehung oder an ihrem Partner sich ändern müssen, damit sie selbst glücklich sein können, und welche sie akzeptieren können. Diese Frage kommt in der Therapie mit Partnern regelmäßig auf, unabhängig von Geschlecht, Alter, sexueller Orientierung, oder Dauer der Beziehung.
Ein wichtiger Teil aller Beziehungsarbeit besteht darin, zu lernen, die Eigenschaften der anderen Person zu akzeptieren, und zugleich festzuhalten, welche Dinge wichtig genug sind, um auf ihnen zu beharren. Hierbei ist es nichtsdestotrotz ein großer Unterschied, ob es darum geht, zu akzeptieren dass die andere Person immer wieder den Deckel der Zahnpasta liegen lässt, oder zu akzeptieren, dass die Dinge, die die eigene Sicht auf die Welt, die eigenen Werte und das eigene Selbstverständnis ausmachen von der anderen Person ignoriert und abgewertet werden.
Immer wenn in der Paartherapie solche Probleme auftauchen, versuche ich Leuten zu helfen den Unterschied zwischen Verhandelbarem (wo wir Zugeständnisse zu machen gewillt sind) und Unverhandelbarem (worauf wir bestehen) zu klären. Ein Beispiel einer unverhandelbaren Sache ist die Tatsache, dass die Wäsche erledigt werden muss; verhandelbar ist, wer sie macht, wie oft, und zu welchen Tageszeiten. Den Unterschied zwischen diesen beiden Sachen zu lernen, hilft Paaren dabei, besser zu verstehen welche Dinge für die andere Person essentiell sind, und bei welchen es sich lediglich um Vorlieben handelt.
Im nächsten Schritt helfe ich beiden Partnern dabei, wie sie über die unverhandelbaren Sachen sprechen können, so dass die andere Person lernen kann, wie wichtig ein Anliegen für ihren Partner ist. Ich kann nicht sagen, was für dich verhandelbar und unverhandelbar ist – das kannst nur du selbst. Aber sobald du eine Entscheidung getroffen hast, kann man durch Aufklärung viel erreichen – besonders mit den Menschen, die einem am nächsten stehen.
Bei vielen Paaren, mit denen ich arbeite, sehe ich ein wiederkehrendes Muster, wo die Partner schon so frustriert, wütend und verletzt sind, wenn sie anfangen, über ihre nichtverhandelbaren Punkte zu sprechen, dass der andere Partner sich angegriffen fühlt und sich mental verschließt. Es hängt hier viel davon ab, einen Modus zu finden, in dem diese Sachen aufgeschlossen, informativ und ehrlich kommuniziert werden können. Als Feministin und Therapeutin bin ich der Ansicht, dass die Gleichheit in einer Beziehung unverhandelbar ist, ebenso wie es unverhandelbar ist, gegen sexistische Unterdrückung vorzugehen, sobald sie sich in einer Beziehung entwickelt. Aber welche Schritte ihr beide dafür tut, das ist verhandelbar.
Wenn ich mit euch beiden in der Therapie zusammensitzen würde, würde ich dich vielleicht bitten, deinem Partner zu erklären, was dir Feminismus und eine Feministin zu sein bedeuten, wie es dich geprägt hat, und wie es dir wichtig wäre, kritische Sachen mit ihm diskutieren zu können, und wie es dich verletzt wenn er das Gespräch abbricht und „das alles nicht hören möchte“. Zu hören, wie deine Ansichten und seine Reaktionen auf diese Ansichten dir auf einer persönlichen Ebene bedeutsam sind wird ihm wahrscheinlich helfen, zu verstehen, warum dir das alles so wichtig ist und dass es sich nicht um abstrakte Konstruktionen handelt, sondern dass diese Ansichten für dich große Bedeutung haben, und deshalb entsprechend behandelt werden sollten.
Wenn das passiert ist, würde ich ihn bitten, seine Reaktionen dir gegenüber in Worte zu fassen, ebenso was in ihm vor geht und warum er das Bedürfnis hat, das Gespräch zu beenden. Oft stelle ich fest, dass wenn Partner sich gegenseitig fragen, warum sie so reagieren, ohne diese Reaktionen sofort zu bewerten, sie viel über die andere Person lernen können, woraus ein unkomplizierter, geduldiger und wohlwollender Austausch entstehen kann, der ein Teil des Konflikts zu beheben schafft. Wenn er, nachdem du das getan hast, dich und was dir wichtig ist immer noch ablehnt, verändert sich das Gespräch natürlich… Wie kann er weiter in dieser Beziehung sein, wenn er die Dinge, die dir dich als Person ausmachen, und ebenso deine vernünftigen und rücksichtsvollen Anliegen beständig ignoriert, entwertet und zurückweist?
Du hast das volle Recht, dir eine befriedigende, erfüllte und vernünftige Verbindung mit deinem Partner zu wünschen, und du musst dir diese Wünsche nicht verneinen, einfach weil er dich nicht manipulativ behandelt [because he isn’t abusive]. Es ist okay, wenn du es schätzen möchtest, dass er im großen und ganzen ein netter Typ ist [is a good guy], aber ebenso, dass du von deiner Beziehung mehr verlangst. Du hast das Recht von ihm zu erwarten, dass er dich unterstützt und dass er du mit ihm über die Dinge sprechen kannst, die dir wichtig sind, selbst wenn er sich nicht als Feminist identifiziert. Du hast ebenso das Recht zu verlangen, die Dinge die dir wichtig sind nicht gegen dich zu verwenden, oder bei einem Streit das Gespräch abzubrechen. Vielleicht ist es für ihn an der Zeit zu lernen, wie man Auseinandersetzungen konstruktiv Art führt, so dass er dir auch dann zuhört, wenn ihn etwas reizt. Du musst diese Ansichten und Werte, die dir wichtig sind, nicht aufgeben, aber du solltest die Möglichkeit haben, die Dinge, die dir wichtig sind anzusprechen in einem Rahmen, der respektvoll und wertschätzend für euch beide ist.
Ich drücke dir die Daumen!
Liebe feministische Therapeutin,
ich habe für fast zehn Jahre in Stripclubs gearbeitet und auch für mehrere Jahre als Prostituierte. Ich habe einige Sachen geändert, und den besten aller Männer getroffen. Nett, feministisch und komplett unterstützend auf eine Art, die ich nie erlebt hatte. Als Prostituierte zu arbeiten habe ich aufgehört, als ich mit ihm sechs Monate zusammen war. Jetzt, drei Jahre danach, wollen wir heiraten und unser Sexleben ist schrecklich. Vielleicht zweimal im Monat haben wir Sex, und ich kriege vielleicht einmal einen Orgasmus. Meine Lust auf Sex scheint verschwunden zu sein. Wir haben sehr verschiedene sexuelle Geschichten hinter uns. Ich fühle mich, als ob ein großer Teil von mir verschwunden ist. Ich masturbiere noch nichteinmal mehr. Ich habe keine gesundheitlichen Probleme. Waren meine früheren sexuellen Bedürfnisse nur vorgespielt, auf der Suche nach Liebe? Und jetzt, wo ich die Liebe gefunden habe bin ich im Grunde frigide geworden? Ich habe sexuelles Trauma durchgemacht (als Kind und als Erwachsene) und eine kurzzeitige gewalttätige [abusive] Ehe vor 15 Jahren. Vielleicht hast du ein paar Gedanken oder vielleicht Tipps für gute Literatur. Vielen Dank!
– E
Liebe E,
es klingt, als ob dein aktuelles Sexleben ziemlich anders ausgefallen ist, als du erwartet hast. Ich kann mir vorstellen, wie verwirrend, enttäuschend und frustrierend das sein kann, in Anbetracht des Bildes, das du von dir selbst hattest. Es tut mir leid, dass das leidvoll ist, aber ich denke du hast hier die Chance, mehrere Dinge zu analysieren, einschließlich deiner eigenen Identität und deines eigenen Selbstgefühls.
Während der Zeit, in der Sexualität eine große Rolle in deinem Leben gespielt hat, kann es zum Teil vorgekommen sein, dass du deinen eigenen Wert und deine Sexualität verwechselt hast, und in deiner aktuellen Situation wirst du gezwungen, dies zu überdenken. In Anbetracht dessen, dass du gewalttätige Beziehungen und Missbrauch in der Kindheit durchgemacht hast und im Strippen und in der Prostitution warst, könnte es eine gute Idee sein, etwas Therapie zu machen, insbesondere mit jemandem die/der auf Traumatherapie spezialisiert ist und dich bei der Neuverdrahtung deines Gehirn/Körper-Systems unterstützen kann.
Wegen deiner Erfahrungen kann es sein, dass bestimmte Arten von sexuellem Verhalten sich mit Erregung verdrahtet haben, und nun, wo dieses spezifische sexuelle Verhalten, das an dem du dich zu beteiligen gewohnt warst, verschwunden ist, kann es sein, dass auch die Erregung verschwunden ist. (In meiner letzten Kolumne habe ich zu erklären versucht, wie Trauma und vergangene sexuelle Erregung sich in unserem Kopf verwischen können und Verdrahtungen zwischen Dingen schaffen können, wo es vorher keine gab.) Mehreren meiner Patientinnen, die sexuellen Missbrauch erlebt haben, gelang es nach der Traumatherapie relativ leicht, zu einem Orgasmus zu kommen, einigen zum zum ersten Mal in ihrem Leben. (Ob du diese Erfahrung auch machst oder nicht hängt von deiner persönlichen Geschichte ab und von der Arbeit, die an ihr notwendig ist.) Einigen Leuten kann solche Therapie helfen, einige der psychologischen Hürden für einen Orgasmus zu überwinden.
Was die sexuelle Lust angeht, ist es normal für Frauen, sexuelles Verlangen und Erregung sowohl spontan (aus heiterem Himmel kommend) als auch hervorgerufen (durch sexuellen Stimulation) zu empfinden. Nicht alle Frauen erleben spontane Erregung, und selbst bei denen, die es tun, kann sich das im Laufe des Lebens ändern. Veränderungen oder Verringerungen der spontanen Erregbarkeit können mit gesundheitlichen Veränderungen, Medikamenten oder hormonellen Veränderungen (insbesondere männliche Sexualhormone) im Verlauf des Lebens verknüpft sein
Es heißt also nicht, dass mit einer etwas verkehrt ist oder dass deine eigene sexuelle Erregung oder dein Verlangen in irgendeiner Hinsicht gestört sind, wenn man sexuelle Lust nur durch Stimulation empfinden kann. Aber aufgrund dessen, wie Sexualität typischerweise dargestellt und gesellschaftlich sanktioniert wird, denken wir, dass etwas mit uns, als Frauen, nicht stimmt, wenn wir nicht spontan nach Sex verlangen.
Unsere gesellschaftliche Kultur sieht die Sexualität von Frauen durch die Brille des von Masters und Johnson aufgestellten traditionellen Modells sexueller Erregung, das aber vor mehreren Jahrzehnten aufgrund von Untersuchungen am männlichen sexuellen Erregungszyklus aufgestellt wurde. Seitdem hat Rosemary Basson viel zu unserem Verständnis der weiblichen Sexualität geleistet, insbesondere inwiefern sie sich von der männlichen Sexualität unterscheidet und wie emotionale Verbundenheit sich auf sexuelle Erregung und Lust auswirkt. Ihre Arbeiten könnten interessant für dich sein, und könnten dich bestärken, dass du dich nicht schämen musst über das, was du derzeit fühlst. Es ist ganz normal, nur redet niemand darüber.
In jeder Kultur gibt es konstruierte Annahmen, wie „normale“ Sexualität aussieht. Im Allgemeinen basieren diese Annahmen auf heteronormativer oder hypermaskuliner Hegemonie. Damit meine ich, dass wir, als Frauen, denken, dass wir oft Sex haben müssen, um unsere männlichen Partner zufrieden zu stellen, ansonsten sind wir <hier frauenfeindlichen Ausdruck einfügen> und haben weder Wert noch sind wir begehrenswert. Es ist schwer sich vorzustellen, dass die Dinge die wir begehren (oder von denen wir wünschen, dass wir sie begehren), etwa, häufiger und/oder harter Sex, tatsächlich einem unterdrückenden Wertesystem entsprungen sind, eben weil wir oft annehmen, dass unser Begehren aus uns selbst kommt. Aber wenn diese Dinge in unserer Kultur die Tauschmittel für Zuneigung und Wertschätzung sind, werden wir von diesen kulturellen Werten von frühan geprägt, lange bevor es uns bewusst wird.
Es ist wichtig, im Gedächtnis zu behalten, dass du deine Sexualität, sowohl als deine eigene als auch mit deinem Partner, nicht mit den Geschichten von irgendwem anders zu vergleichen brauchst. Das fällt keinesfalls leicht, denn auch wenn unsere Sexualität als etwas privates erscheint, wird sie leicht durch die gesellschaftlich-politische Sphäre geformt. Während durch die ganze Geschichte hindurch Frauen aufgrund eines angeblich problematischen Maß an Begehrens als klinisch „gestört“ „diagnostiziert“ wurden, sind diese „Störungen“ nichts als soziale Konstrukte – Zusammenfassung von Fällen, die nicht einem bestimmten Maß an Häufigkeit oder Intensität entsprechen. Diese soziale Konstruktion psychologischer Störungen hat im Allgemeinen die Unterdrückung von Frauen verstärkt und sie dafür bestraft, wenn sie nicht mit den gesellschaftlichen Erwartungen konform gehen, in diesem Fall: regelmäßig Sex zu wollen.
Es könnte sehr hilfreich sein, zusammen mit deinem Partner zu einem Sexualtherapeuten zu gehen, um einen leichteren Austausch darüber zu haben, wie ihr beide eure wechselseitigen Wünsche, Begehren, Ängste und Vorlieben besser verstehen könnt. Ich würde empfehlen, den/die SextherapeutIn zu fragen, ob sie das „Basson-Modell“ [zur Erklärung] kennen und dich und deinen Partner auf eine Weise unterstützen können, mit der ihr euch beide wohl fühlt. Auf dieser Grundlage könnt ihr beide einige der spezifischen Hürden in eurer Beziehung aufklären, damit du zum Orgasmus kommen kannst.
Es ist beileibe nicht perfekt, und nicht dazu gedacht als klinisches Handbuch gelesen zu werden, aber ich habe gemerkt dass viele meiner weiblichen Patientinnen die mit Sex oder Lust Probleme haben, von der Lektüre von Naomi Wolfs Vagina profitiert haben. Das Buch enthält sowohl Wolfs persönliche Geschichte, Kulturkritik und eine gut recherchierte Beschreibung der neurobiologischen Anteile an der Vagina und am sexuellen Erleben von Frauen. Es könnte dir helfen, dies zu lesen, ebenso wie deinen Partner. Für Leute, die während ihrer Kindheit sexuellen Missbrauch erfahren haben, empfehle ich regelmäßig folgende Bücher: The courage to heal [keine deutsche Übersetzung gefunden], Verkörperter Schrecken, und Verbündete: ein Handbuch für Partnerinnen und Partner von Überlebenden sexueller Gewalt.
Ich hoffe, dass du jemanden findest, um diese Dinge durchzusprechen – entweder mit dir allein, oder euch als Paar. Ungeachtet dessen, was du auf diesem Weg erfährst, hoffe ich, dass du mit dir selbst mitfühlend, sanft und geduldig sein kannst. Die Probleme, die wir in unserem Leben haben, auch in unserer Sexualität, entstehen selten über Nacht, und werden daher auch selten über Nacht gelöst.