Nachrichten und Kritik
16.04.17 | Buchbesprechung | Theorie
Eine Buchrezension von Ivo Eichhorn
„wenn es ein Bahö gibt dann muss es ein richtiges Bahö werden wenn du eine Besetzung eines Hauses machst dann müssen die Leute die dabei sind wissen wie man kämpft und es muss eine richtige Schlacht entstehen wenn die Polizei antanzt dann muss das Gebäude eine Festung werden die Polizei darf nicht hinein kommen und wenn sie es doch schaffen dann müssen sie es teuer bezahlen viele von ihnen müssen ins Spital eingeliefert werden so muss es ausschauen so ist der Kampf und wenn wir am Ende gezwungen sind das Gebäude zu verlassen dann muss es ausschauen wie ein Haufen Dreck da darf es keinen bewohnbaren Zustand mehr geben nichts anderes lassen wir zurück geht scheisssen damit die Padroni wissen wir werden uns die Häuser nehmen sonst geht es so weiter für immer das muss ihnen klar gemacht werden“ (S. 79)
Die Klassenkämpfe in Italien, besonders in den gut zehn Jahren ab 1968 und dem langen Sommer der wilden Streiks 1969 bei Fiat in Turin, sind in Teilen der deutschsprachigen Linken von Mythen umwoben. Bereits in den 1970er Jahren riefen sie große Bewunderung hervor. Man nahm sich die italienischen GenossInnen zum Vorbild, denn dort waren die Ereignisse von 1968 nicht in kleinere Kreise und Zusammenhänge diffundiert, sondern hatten sich in allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens weiter ausgebreitet. Hier, so erschien es den deutschen Beobachterinnen, war der Kampf zwischen dem Staat und einer revoltierenden Menge, die nicht zurückzuweichen bereit war, offen ausgebrochen.
Nicht zuletzt durch die literarische Dokumentation der Ereignisse bei Fiat von 1969 durch Nanni Balestrini konnte solch ein Eindruck entstehen. Vogliamo tutto (dt. Wir wollen alles) lautete der Titel von Balestrinis bereits 1972 ins Deutsche übersetzten Schrift. In dieser Formel drückte sich der Inhalt dessen aus, was sich im Text als atemloser Bericht vor der Leserin entfaltete. Die Radikalisierung und Verbreitung von Gedanken und Aktionsformen, die damals (und heute sowieso) in deutschen Zuständen sehr fern erscheinen mussten. Diese Thematik und der trockene Pathos des auf zahlreichen Gesprächen basierenden Berichts findet sich auch in Balestrinis jüngstem längeren Prosatext Carbonia – Wir waren alle Kommunisten.
Wie schon Vogliamo tutto ist der Text biographisch angelegt, der Bogen wird diesmal aber weiter gespannt. Er verfolgt die im Rückblick berichtende Figur von deren Aktivitäten in der Resistenza und ihrer Haft in einem norddeutschen KZ über die Streiks in den Kohlebergwerken Sardiniens in den 1950er Jahren und eine Zeit in Australien bis zu den Kämpfen gegen die Arbeit und um die Stadt der 1970er Jahre. In vier Kapiteln erzählt Carbonia über ein widerständiges Leben. Im KZ, das wird aus dem Bericht schnell klar, sollte jeder Widerstand gebrochen werden, indem den sich Wehrenden jede individuelle wie kollektive Reproduktion unmöglich gemacht werden sollte. Doch selbst dort versuchten Teile der Lagerinsassen sich zu organisieren. Der Widerstand gegen die Faschisten während des Kriegs und auch als diese nach dem Krieg weiterhin viele Machtpositionen innehaben, genau wie gegen die Lohnarbeit, die der Erzähler in jeder ihrer unterschiedlichen Formen als unerträglich erlebt hat, lässt die Zeit ab 1945 bis in der 1970er Jahre dem Rückblickenden dabei immer wieder wie eine Kontinuität erscheinen, die aber durch die Unterschiedlichkeit der Kämpfe und Kräfteverhältnisse gebrochen ist:
„nach dem Befreiungskampf haben wir mit dem Kampf nicht weitergemacht um zumindest die Grundlagen für den Kommunismus zu schaffen stattdessen kommen wir 30 Jahre später darauf dass es uns immer noch gleich geht wie 1945 eigentlich sind wir jetzt schlechter dran weil damals gab es noch Hoffnung dass sich die Dinge geradewegs ändern könnten und jetzt wenn du keinen entschlossenen Kampf bis zum äussersten machst dann bleiben die Dinge für immer wie sie sind weil die Leute welche jetzt an der Macht sind immer noch die gleichen sind Scheissdreck verdammter und sie wurden tatsächlich noch mächtiger sie haben sich besser organisiert während sie uns zuerst in den Krieg schickten haben sie uns danach für den Wiederaufbau eingespannt und dann ihr Wirtschaftswunder das sie für sich behielten und jetzt sollen wir die Hauptlast der Ölkrise tragen und so werden wir die ganze Zeit in den Arsch gefickt“ (S. 17-18)
Bereits im Januar 2016 war Carbonia in deutsch/österreichischer Erstübersetzung bei bahoe books erschienen. Nun wurde der Text vom Verlag in überarbeiteter Form neu aufgelegt. Die geänderte Typographie, der fein gestaltete Umschlag und das Papier machen das Lesen in der neuen Auflage endlich auch optisch und haptisch zu einem Genuss. Der Text selbst entstand als Beitrag Balestrinis für die documenta im Jahr 2012 und erschien in diesem Zusammenhang auf Italienisch und Englisch. Zurück geht sein Stoff aber auf Gespräche, die Balestrini bereits in den 1970er Jahren mit Arbeitern führte. Einer literarischen Gattung lässt sich der Text nur schwer zuordnen. Auf dem Buchrücken ist von einem Roman die Rede, in einer editorischen Notiz wird von einer Novelle gesprochen. Doch wie schon bei den anderen Versuchen Balestrinis zu dieser Thematik erweisen sich derlei Benennung als wenig hilfreich, um die literarische Inszenierung der sozialen Konflikte zu greifen. Das dokumentarische Material findet sich in einer Schrift ohne Punkt und Komma, in einem immer wieder ansetzenden und wiederholenden Gestus mündlicher Rede verdichtet. Allein durch den Bruch mit der Konvention entstehen Effekte der Distanzierung, obwohl durch den Gestus des mündlichen Berichts ständig eine halluzinatorische Realität produziert und behauptet wird. Letztere aber bezieht sich nicht auf das Berichtete; die Kohleminen, die Polizei oder die Blockaden werden niemals plastisch beschrieben; sondern auf die Stimme des Berichtenden. Im Erzählen liegen Benennen und Beurteilen direkt beisammen:
„hier in Carbonia zum Beispiel wenn da ein Compagno war den die Padroni loswerden wollten dann hatten sie einige Methoden zum Beispiel stellten sie einen neuen Mann an seine Seite der aus einer anderen Gegend kam oder von einer anderen Mine und dessen Aufgabe war es den Compagno unter Tage in einen Streit zu verwickeln weil da gab es dieses bindende Gesetz wenn zwei da unten zu kämpfen begannen dann war dies die fristlose Kündigung und nicht einmal die Gewerkschaft konnte dann irgendetwas machen weil es da eine Vereinbarung zwischen dem Management und der Gewerkschaft gab und die Gewerkschaft konnte da nichts mehr für dich machen“ (S. 57)
Als Lesende ist man den Zuständen, gerade heute, ohnehin entrückt und kann so etwa den in Nebensätzen zutage tretenden Machismus (siehe oben) der berichtenden Figur kritisieren, ohne dass die vom Text ausgehende Ermutigung schwände. Denn das Eingehen der Wagnisse der Rebellion, von denen er handelt, werden niemals als im Widerspruch zur kritischen Begutachtung stehend dargestellt. Der Text legt durch seine experimentelle Formung des Dokumentarischen Zeugnis davon ab, dass Denken und Handeln, Kämpfen und Glück, zusammengehören. Dies ist das Unabgegoltene der von Balestrini dokumentierten Kämpfe, auch wenn die darin zum Ausdruck kommende Subjektivität irreversibel der Vergangenheit angehört. Das zumindest hält auch Balestrini fest, wenn er, gefragt, nach dem Mythos um den Kampfzyklus der 1970er Jahre, selbst vergleicht: „gesichert ist, dass sich alles verändert hat. Es gibt andere Verhältnisse und es braucht andere Kämpfe.“
PS: vom 1.4.-30.7.2017 gibt es in Karlsruhe im Zentrum für Kunst und Medien (ZKM) eine Ausstellung zu Collagen, Bildern und Filmen von Nanni Balestrini: „Nanni Balestrini: Wer das hier liest braucht sich vor nichts mehr zu fürchten.“