Nachrichten und Kritik
26.08.16 | Theorie
Feministische Psychotherapie Frage & Antwort
Vorbemerkung der Redaktion: Dieser Artikel erschien ursprünglich, in Englisch, am 26. Februar 2016 auf Feminist Current. Wir danken für die Erlaubnis zur Übersetzung und Publikation. Für die Vorstellung der Autorin und eine kurze Einleitung unsererseits siehe ersten Teil der Serie.
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Ich bin Psychotherapeutin, aber ich bin nicht deine persönliche Psychotherapeutin. In der Therapie geht es m.E. nicht allein um die Informationen, die ich gebe, sondern um die individuelle Beziehung, die sich mit jeder Klientin entwickelt, und in der ich ihre besonderen Bedürfnisse, Stärken und Schwierigkeiten kennen lerne. Diese Kolumne ist nicht dafür gedacht, eine individuelle Therapie zu ersetzen; wenn du unsicher bist, sprich bitte mit einer Therapeutin/einem Therapeut über diese Fragen – vorzugsweise einer, die du kennst, bei der du dich sicher fühlst, und die in der Lage ist, dich so zu unterstützen, wie du es zu dir passt.
Alle Fragen, die ich erhielt, waren komplex und aufrichtig. Vielen Dank für die Einsendungen. Die Fragen wurden gekürzt und anonymisiert.
Liebe feministische Therapeutin,
ich bin mittleren Alters und bin mit meinem Leben zufrieden. Aber ich kämpfe mit einer beständigen, tiefen, alles durchdringenden Wut. Als ob es nicht genug wäre, fast pausenlos sexueller Belästigung ausgesetzt zu sein, als weniger wert behandelt zu werden, Angst zu haben vor sexueller und emotionaler Gewalt, etc., besteht für einige meiner FreundInnen und Familienmitglieder die Lösung dieser Probleme darin, so zu tun, als würden sie nicht existieren; und sie bezeichnen mich als „Männerhasserin“. Was kann man mit diesen Emotionen tun, bezüglich eines Problems, das einfach nicht weggehen will – das zum Teil eher schlimmer zu werden scheint! Ich habe versucht, Männern aus dem Weg zu gehen, aber die Wut begleitet mich ständig. Was empfiehlst du?
L.
Liebe L,
es betrübt mich zu hören, dass du, zusätzlich zu deinen eigenen Erfahrungen der allgegenwärtigen Unterdrückung von Frauen, von Menschen die dir nahe stehen zum Schweigen gebracht und dafür angegriffen wurdest. Ich würde mir wünschen, dass sie anstelle dir die Schuld zu geben, einmal versuchen würden zu verstehen, was dich wütend macht, und was ihr Anteil daran ist.
Viele Menschen, die irgendeine Form von Schmerz empfinden, machen deine Erfahrung – dass sich Menschen in ihrer Nähe unangenehm fühlen, und dass die Schuld am Ende der Person zugewiesen wird, die leidet und die Wahrheit darüber ausspricht. Aber die Sache ist noch schwieriger, wenn dein Schmerz und die von dir ausgesprochene Wahrheit bedeuten, dass du ein unterdrückendes System öffentlich anprangerst, von dem diese Menschen selbst ein Teil sind, und wovon sie wahrscheinlich nichts wissen wollen.
Die meisten von uns wissen nicht so recht, wie sie mit solchen unangenehmen Gefühlen umgehen sollen – mit unseren eigenen wie mit denen von anderen. Oft scheint es uns, wenn wir wütend sind, traurig sind oder Angst haben, als ob etwas mit uns selbst nicht stimmen würde. Problematisch hieran ist für mich – besonders als feministische Therapeutin –, dass ich glaube, dass Wut, Empörung und Ablehnung sehr angemessene Reaktionen sind, wenn wir einfach deshalb herabgesetzt, belästigt, gedemütigt und benutzt [violated] werden, weil wir Frauen sind. Das sind Sachen, von denen ich denke, dass sie uns wütend machen sollten – und unsere Wut, in diesem Fall, die Ungerechtigkeit anzeigt. Aus diesem Grund sollten wir weiter wütend sein.
Es scheint nicht fair, dass wir – als diejenigen, die das Leid ertragen müssen – auch diejenigen sein sollen, die verantwortlich dafür sind, diese Verhältnisse zu ändern. Nichtsdestotrotz hat uns unsere Rolle des Leidens Einblicke in die Unterdrückung verschafft, die uns in die Lage versetzen, etwas dagegen zu tun. Als Analogie benutze ich manchmal das Benzin in unseren Autos: wir können es dazu verwenden, mit angezogener Bremse durchzudrehen [to spin the wheels] oder wir können es verwenden, um vorwärts, zu einem anderen Ort zu kommen. Das kann heißen, dass du vielleicht einen Weg finden kannst, deine Wut als Antrieb zu nutzen, um etwas zu hervorzubringen oder dich an etwas zu beteiligen, von dem du glaubst, dass es sinnvolle Veränderungen bringen könnte.
Eine der von mir am meisten geschätzten feministischen Psychologinnen, Carol Gilligan, schrieb einmal: „Bildung ist der einzige gewaltfreie Weg zur Veränderung“. Obwohl dies viel Geduld (und einiges mehr) erfordert, frage ich mich, ob du dir vorstellen könntest, anzuerkennen, dass deine Wut eine angemessene Reaktion ist, aber dann einen Weg finden kannst, diese Wut zu benutzen um die Leute um dich herum aufzuklären, so dass aus deiner Wut etwas neues werden kann?
Unabhängig von davon, was du als gerecht empfindest, oder als angemessen, oder wofür du die Kraft hast, tut es mir leid zu hören, dass du solange mit dieser Wut lebst. Aber ich denke, dass sie auf keinen Fall falsch ist – ganz im Gegenteil. Was du damit tun willst, kannst am Ende nur du entscheiden.
Liebe feministische Therapeutin,
ich bin letztes Jahr zur Psychotherapie gegangen, nachdem sich ein Projekt [project], an dem ich fast zehn Jahre lang gearbeitet hatte, in Streit aufgelöst hatte. Die ersten Monate der Therapie waren hilfreich für mich, um meine eigenen Verhaltensmuster in Beziehungen zu erkennen. Aber nach einigen Monaten der Therapie schien es, als ob mein Therapeut sich mit mir langweilte. Er sprach mit mir über Filme und Politik, und schlief einmal sogar ein, während ich dasaß und nicht wusste was ich sagen sollte. Nachdem ich mich größtenteils wieder erholt hatte, wusste ich nicht mehr, worüber ich mit ihm reden sollte. Ich habe weder Depression noch Nervosität, aber ich will mich einfach besser verstehen, von meinen Fehlern lernen, und auch, wie meine Familie mich negativ beeinflusst haben könnte. Wie kann ich einen guten Therapeuten/eine gute Therapeutin finden? Wohin sollen wir gehen, wenn wir das Gefühl haben, keines der „großen Probleme“ zu haben, mit denen TherapeutInnen vertraut sind, sich zu beschäftigen?
J
Liebe J,
erst einmal – dein Therapeut ist während einer Sitzung eingeschlafen? Das ist ziemlich abgefahren. Im Namen aller Psychotherapeutinnen [the mental health community] tut es mir leid, dass du, unter allen hart arbeitenden Leuten, ausgerechnet an diesen Typen geraten bist. Ich kann mir schwer vorstellen, was mit ihm los war; ich kann mir aber vorstellen, dass es in dem Moment, in dem du bereit warst, über etwas anderes als Psychopathologie zu reden, für ihn schwierig wurde, dir zu geben was du brauchtest… Vielleicht sogar weil er selbst niemals soweit gekommen ist.
Für TherapeutInnen ist es sehr einfach sich vorzustellen, sie könnten jemanden retten, solange er/sie „krank“ ist oder wenn seine/ihre Pathologie leicht identifizierbar ist, aber sobald man selbst menschlich, aufrichtig oder gleichberechtigt mit der anderen Person im Raum sein muss, wissen viele TherapeutInnen nicht, wie sie sich verhalten sollen.
Hier sind einige Tipps für die Suche nach einer/einem TherapeutIn:
Die meisten Bundesländer und Länder haben lizensierende Körperschaften – in Kanada, British Columbia, sind das die CPA, BCACC, CCPA und BCPA. Auf ihren Webseiten findest du meistens ein Verzeichnis der Mitglieder. Du kannst dort meist mit bestimmten Kriterien nach TherapeutInnen suchen, etwa „Trauma“, „Geschlecht“ [gender] oder „Sucht“. Das hilft dir, deine Suche auf die Leute in deiner Region einzuschränken, die auf die Themen spezialisiert sind, an denen du arbeiten möchtest. Dann ruf sie an – alle. Und wenn das für dich wichtig ist, frag sie, ob sie sich als FeministIn betrachten, und wenn ja, welcher Art.
Wenn du eine potentielle TherapeutIn am Telefon hast, frag sie über ihre Ausbildung; wie sie bei den Sachen, mit denen du Hilfe brauchst, normalerweise vorgeht; und ob sie/er bereit ist, mit dir zu arbeiten, selbst wenn du keine identifizierbare Psychopathologie hast und nur einen Raum brauchst, um das, was dir gerade auf dem Herzen liegt, durchzuarbeiten. Sprich offen und direkt darüber, und du wirst schnell merken, ob die Person passt oder nicht.
Manchmal reicht ein Telefongespräch nicht, um sich über eine Person sicher zu sein. Selbst wenn du für eine halbe oder ganze Sitzung zahlen musst, lohnt es sich für dich, sich mit der/dem TherapeutIn zu treffen, einfach um zu sehen, welche Dynamik eure Beziehung hat. Du musst dich zuallererst selbst wohl fühlen und sicher sein, dass du ihr vertraust.
Vertraue auf dein Bauchgefühl. Wenn du dich mit einer Person nicht wohlfühlst, heißt das nicht notwendig, dass sie eine schlechte TherapeutIn ist, sondern dass du wahrscheinlich nicht gewillt sein wirst, ein Risiko mit ihr einzugehen und auszusprechen, was du wirklich über die Dinge fühlst und denkst. Schlussendlich ist die Therapie ein Verhältnis zwischen Menschen – und darin ist die „Chemie“ wichtig.
Frag, was ihre theoretische Orientierung ist. Das ist eine hochtrabende Bezeichnung dafür, wie wir TherapeutInnen Krankheit, Veränderung, das Wesen der Beziehung zwischen KlientIn und TherapeutIn betrachten, und was für Dinge du wahrscheinlich in der Therapie tun wirst. Ich arbeite aus einer psychodynamischen Perspektive heraus. D.h., ich lege besonderes Augenmerk auf die Dynamik zwischen mir und meinen KlientInnen im Raum, thematisiere und verarbeite diese Dynamiken, wenn sie entstehen, und versuche sie zu nutzen, um Beziehungsmuster jenseits der Therapiesituation zu begreifen. Aus dieser Perspektive untersuchen wir auch, wie vergangene Erfahrungen und Beziehungen (insbesondere in der Familie) uns formen.
Einige sind sicher anderer Meinung, aber ich denke nicht, dass eine TherapeutIn herausragende Arbeit leisten kann, wenn sie/er nicht auf der anderen Seite gesessen hat – entweder in der Supervision oder ihrer eigenen Therapie. Es ist also zulässig, zu fragen, warum sie TherapeutIn geworden ist, und ob sie unter Supervision ist (was nur ein hochtrabendes Wort für die Therapie der TherapeutInnen ist – so dass die TherapeutInnen erkennen können, wie ihre eigenen blinden Flecken ihre Arbeit mit KlientInnen beeinträchtigen können).
Wenn du ein Therapieverhältnis mit einer TherapeutIn begonnen hast, und an irgendeinem Punkt das Gefühl hast, nicht verstanden zu werden oder sie zu langweilen, sag es ihr/ihm! Wenn sie dir die Schuld gibt, oder der Sache nicht nachgehen, frag nach einer Überweisung woanders hin.
Liebe feministische Therapeutin,
jeden Tag holen mich die Gedanken an meine Vergewaltigung wieder ein. Es ist normalerweise nicht traumatisch oder triggernd, aber sie sind da, in meinem Hinterkopf, insbesondere beim Sex. Ich sehe ein, dass sie niemals komplett verschwinden werden, aber ich habe Angst, dass sich diese Gedanken selbst verstärken… Dass sich die Sache jedes Mal, wenn ich daran denke, ein bisschen tiefer eingräbt, und ich weiß nicht mehr, wie ich mich selbst wieder herausziehen kann. Kennst du eine Methode, diesen Kreislauf zu durchbrechen?
V
Liebe V,
das Problem mit dieser Art von Gedanken ist, dass es sich höchst wahrscheinlich um das handelt, was wir als „intrusive Gedanken“ bzw. spontane „Flashbacks“ eines traumatischen Ereignisses bezeichnen. Sie unterscheiden sich von den normalen Gedanken, die wir bewusst abrufen, etwa wenn wir versuchen uns zu erinnern, was wir heute zum Frühstück gegessen haben. Sie können durch alles mögliche ausgelöst werden, und durch die besondere Speicherung des Traumagedächtnisses – es wird anders als das nicht-traumatische Material geformt und anders gespeichert – werden sie höchstwahrscheinlich durch sensorische Erinnerungen ausgelöst. Dies kann alles sein, von erinnerten Gerüchen, Lichtverhältnissen im Raum, oder der Propriozeption (Stellungen der Gliedmaßen). Da du nicht bewusst versuchst, auf diese Erinnerungen zuzugreifen, kannst du nicht viel tun, um sie in solchen Situationen zu vermeiden. Es gibt Erklärungsversuche, in denen diese Gedanken als „Erinnerungsmeldung“ deines Gehirns über unverarbeitetes traumatisches Material beschrieben werden; nicht deshalb, weil du etwas falsch gemacht hättest, sondern weil dein Gehirn so arbeitet, um dich nach einem traumatischen Ereignis zu schützen.
Eine Methode, die sich als hilfreich bewährt hat um diese traumatischen Erinnerungen zu vermeiden, ist eine Traumabehandlung bei einer/einem auf diesem Gebiet spezialisierten TherapeutIn zu machen. Das läuft meist anders ab als die normale „Gesprächs“- Therapie und ist effektiv darin, deinem Gehirn zu vermitteln, dass das Trauma vorbei ist, so dass es aufhört, diese spontanen Gedanken/Erinnerungen an dein Bewusstsein zu senden. Die meisten Leute, mit denen ich bei meiner Ausbildung in spezifischen Traumatherapien in Kontakt kam, und die auf diesem Gebiet aktiv sind, sind sich der Machthierarchien innerhalb der klinischen Umgebung sehr bewusst, ebenso der kontextuellen und soziokulturellen Normen, die Traumata verstärken (etwa die Zuweisung der Schuld an das Opfer [victim-blaming]), und sind daher meist recht aufgeschlossen – wenn nicht gar erfahren – mit feministischen Therapieansätzen.
Eine Sache, die du tun kannst wenn diese Gedanken hochkommen, ist dir selbst einfach zu sagen: „Es ist passiert, und es ist jetzt vorbei“, und dich wieder auf den aktuellen Moment zu fokussieren, um so deinem Gehirn zu signalisieren, dass das Trauma nicht immer noch passiert. Eine Möglichkeit hierfür ist, dich in deinem Körper zu erden, indem du einige tiefe Atemzüge machst, mit deinen Zehen wackelst, und deine Füße auf dem Boden oder deine Beine auf dem Sitz zu fühlen versuchst. Dadurch signalisierst du deinem Gehirn-/Körper-Komplex, dass du außer Gefahr bist, und dass die Sache vorbei ist.
Hier sind noch einige Bücher über die Speicherung des Traumagedächtnisses, und wie das Gehirn/Körper-System nach einem Trauma funktioniert, sind Trauma und Gedächtnis (Peter Levine), Der Körper erinnert sich (Babette Rothschild), Vom Trauma befreien (Peter Levine), Verkörperter Schrecken (Bessel van der Kolk), Acht Schlüssel zur sicheren Traumaheilung (Babette Rothschild), Die Narben der Gewalt (Judith Herman). [Dies sind die deutschen Ausgaben, die englischen Originale siehe den Originalartikel.]
Ihr könnte eure Fragen, auf Englisch, an Hillary, unsere feministische Therapeutin schicken. Per Email an info@feministcurrent.com oder hillarylmcbride@gmail.com, Betreff: „Feminist Therapy“, oder per Twitter an @hillarylmcbride, Hashtag #feministtherapy. Alle Zuschriften werden anonymisiert, sofern ihr nicht speziell darauf hinweist, dass euer Namen genannt werden soll.