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09.09.2016

05.02.16  | Nachrichten

Chinas tote Fabriken und die Krise der Finanzmärkte

In China wurde im Januar über eine Billion Dollar fiktives Kapital an den Finanzmärkten vernichtet. Wie hängen die Turbulenzen an den Finanzmärkten und die verzweifelten Reaktionen ihrer staatlichen Aufseher mit der Krise der industriellen Reproduktion zusammen?

Die stockende Verwertung im industriellen Sektor…

Der neue Monatsbericht über den chinesischen Industriesektor zeugt von der dort schwelenden Krise und dem Ende des chinesischen Zeitalters als Fabrik der Welt: Neben der schon länger veröffentlichten Gesamtschätzung des Wachstums für 2015, das bei einem 25-Jahres-Tief von 6,5% lag, befand sich der offizielle Index zur Industrieproduktion für den aktuellen Monat auf dem niedrigsten Stand seit 2012. Der von der chinesischen Regierung veröffentlichte und damit sicher etwas sehr optimistisch interpretierte „purchasing manager’s index“ (PMI) (die Einkaufs-Manager-Umfrage) für das produzierende Gewerbe liegt seit September unter dem Wert von 50, was allgemein als Anzeichen für eine Schrumpfung des produzierenden Gewerbes gedeutet wird. Laut cnbc.com ergab eine private Studie der Finanzmarktberichterstatter Caixin und Markit, dass die chinesische Industrieproduktion gar im elften Monat in Folge schrumpfe und das erheblich deutlicher, wenn zusätzlich zur offiziellen Schätzung noch die Lage der mittleren und kleinen Unternehmen berücksichtigt wird. Dass Chinas Industrieproduktion vor dem Kollaps steht, haben wir bereits einige Male hervorgehoben (Vgl. Ausgabe 25/2015 und 01/2016)

…und ihre Auswirkung auf die Finanzmärkte

Aufgrund der in China grassierenden Rezession und trotz der restriktiven Maßnahmen, die die chinesische Regierung gegenüber „Spekulanten“ verhängt hat, flieht das Kapital aus den chinesischen Finanzmärkten: Der Januar 2016 war der fatalste Monat seit der Hochphase des letzten Krisenschubs im Jahr 2008 für die beiden tonangebenden Aktienindizes CSI300 und Shanghai Composite. Die dort gehandelten Wertpapiere, also die kapitalisierten Wetten auf zukünftig eingefahrene Profite, verloren allein in diesem Monat 20% oder 1,8 Billionen Dollar an Wert.

Eine realistische Einschätzung müsste wohl dazu kommen, dass die chinesischen Börse kurz vor der Panik steht. Selbst Stützungskäufe der chinesischen Regierung dürften jetzt wohl die Abwärts-Tendenz kaum aufhalten, da die Wertpapierbesitzer – bereits fern von jedem Glauben an Kursgewinne – nur noch gewillt sind, ihre Verluste so gering wie möglich zu halten und nun begonnen haben, auf einen günstigen Moment zum Verkauf zu warten, der den Verlust wenigstens etwas begrenzt. Es ist nur noch ein schmaler Grad bis zur Panik, wo jeder verkauft, was er kann. Einen Vorgeschmack darauf hatten wir bereits im Sommer 2015 und vor zwei Wochen (siehe Ausgabe 01/2016).

Die Zusammenbruchstendenzen des chinesischen Finanzsektors lassen sich nur noch durch die zig Milliarden an Dollarreserven in den Kellern der Nationalbank aufschieben. Im chinesischen Bankensektor ächzt es aber schon gewaltig: Kleinere und mittlere Banken versuchen auf Biegen und Brechen ihren Kredit zu erweitern, indem sie komplizierte Wertpapierkonstruktionen erfinden, durch die das Gesamtrisiko für die bereits aufgenommenen Kredite niedriger erscheint – und versuchen diese auf den Finanzmärkten loszuwerden. Der internationale Handel von solchen „faulen“ Kreditkonstruktionen hat bereits 2008 dafür gesorgt, dass mit dem Zusammenbruch einer Bank das globale Finanzsystem kurz vor dem Kollaps stand. Zudem liegt die Inflationsrate in China, deren niedriger Wert in allen der letzten Krisen Indikator für eine Rezession war, mit 1,6 % im Januar, wie schon im gesamten letzten Jahr, weit unter dem Schnitt von 5,5% aus den Boom-Jahren von 1986-2015.

Das Abschmieren des industriellen Produktionssektors, dessen Krise zuerst auf den Finanzmärkten als Abschmieren der Aktienkurse erscheint, frisst allmählich die Devisenreserven des chinesischen Staates auf, was wiederum dessen Kredit und damit seine Währung, auf deren Verfall bereits gewettet wird, schwer belastet.

Das verzweifelte Agieren der staatlichen Aufseher

Auf das Hereinbrechen der Krise und damit den massiven Wertverfall der Waren, die nun nicht mehr losgeschlagen werden können – wovon Öl und andere Rohstoffe nur die Spitze des Eisbergs sind –, reagierten die nationalen Notenbanken weltweit mit einer Senkung der Leitzinsen. Nicht nur die EZB, auch die japanische Zentralbank hat zuletzt einen negativen Leitzins beschlossen. Selbst die amerikanische Notenbank FED prüft derzeit, inwieweit der Bankensektor einen Negativzins aushalten könnte. Das bedeutet einerseits, dass die Privatbanken „Strafzahlungen“ verrichten müssen, wenn sie Geld bei der Zentralbank parken, das anderswo nicht gewinnbringend anzulegen ist. Andererseits ist es nun der staatliche Gläubiger, der einen Zins dafür zu entrichten hat, dass Geld von ihm geliehen wird, oder mit anderen Worten das Geld wird nicht mehr als Kapital verliehen sondern geborgt: Gelddruckerpresse 2.0.

Die Deflation wird aber nicht durch „mehr Geld“ bekämpft, denn sie entsteht nicht durch einen Mangel an Geld oder Kapital, sondern ist Ausdruck des Überflusses an Waren. Die Kapitale müssen sich gegenseitig unterbieten, um ihre Waren losschlagen zu können. Die Negativzinsen senken den Währungskurs und machen die heimischen Kapitale auf dem Weltmarkt konkurrenzfähiger, verlagern die Krise damit nur anderswohin.

Verblendung innerhalb der Zirkulationssphäre

An dieser Stelle zeigt sich einerseits die Verzweiflung, andererseits die Beschränktheit, mit der die staatlichen Finanzmarktakteure weltweit versuchen, den anstehenden Entwertungsschock noch hinauszuzögern. Einerseits erklären sie sich die niedrige Inflationsrate damit, dass zu wenig Geld vorhanden ist und öffnen die Geldschleusen bis zu dem Punkt, wo sich das Verhältnis von Gläubiger und Schuldner umkehrt und nun nicht mehr der Gläubiger (die Zentralbank) Geld als Kapital verleiht, sondern der Schuldner es in dieser Eigenschaft borgt.

Andererseits muss dieser rein monetäre Standpunkt automatisch zum Kollaps führen, da nicht erkannt wird, dass die Deflation, die in der Wertsteigerung des Geldes erscheint, selbst nur Ausdruck rapide fallender Warenpreise ist, die wiederum durch die massiven Stockungen der Verwertung in der industriellen Produktion hervorgerufen werden. Das Fluten der Märkte mit Geld wird die anstehende Entwertung nicht aufhalten, sondern nur hinauszögern und ihre Intensität verstärken.

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