Nachrichten und Kritik
13.03.19
Ihr kennt das. Euer Freund ist nicht direkt ein Megasexist (oder traut sich nicht mehr, euch das unter die Nase zu reiben), aber er sagt auch nie was, wenn Männer in seiner Gegenwart sexistisch sind oder wenn ihr gerade mal wieder akut unterdrückt werdet. Äußert ihr das, drückt er sich mit allen Mitteln davor, einzugestehen, […]
Von Anneli Borchert.
Ihr kennt das.
Euer Freund ist nicht direkt ein Megasexist (oder traut sich nicht mehr, euch das unter die Nase zu reiben), aber er sagt auch nie was, wenn Männer in seiner Gegenwart sexistisch sind oder wenn ihr gerade mal wieder akut unterdrückt werdet. Äußert ihr das, drückt er sich mit allen Mitteln davor, einzugestehen, dass es hier gerade um patriarchale Macht geht. Vergewaltigung? „Ja, schlimm, die Menschheit.“ (Nicht: Die Männer!) Unterbezahlung? „Furchtbar, die Zustände.“ (Nicht: Die patriarchalen Zustände!) Irgendwie isses nich so mit Menschenrechten für Frauen? „Ja, wirklich widerlich.“ Und alles mit einem Odeur von „Kann man nichts machen.“ Denn erst kommt „existiert nicht, das Problem, zumindest nicht als patriarchales Problem“, dann „ja, okay, ich gebe zu, dass es das Problem gibt – bitte Keks! – , aber wir werden es nicht besprechen“ und dann kommt „kann man nichts machen.“ Trauriges, resigniertes Kopfschütteln.
Du sprichst es an. Es folgt das große Schweigen. Was habe ich falsch gemacht, fragst du dich.
Das kennt ihr? Das macht euch aggressiv? Gut so. Denn das rückgratlose, luschenhafte Nichtansprechen von Sexismus ist eine schweigende Zustimmung dazu. Es bedeutet, dass die, die vorgeben, uns zu lieben, uns eben eigentlich nicht genug lieben um sich für unsere Unterdrückung zu interessieren (an der sie zufälligerweise ja auch noch teilnehmen). Wie soll da je Gleichberechtigung möglich sein?
Und merkt man an, dass dieses Verhalten einen ankotzt, wird man angeschwiegen. Denn die männliche Mimimi-Mimose findet es in ihrer Egozentriertheit und Empathielosigkeit schlimm und verletzend, darauf hingewiesen zu werden, dass sie an der patriarchalen Unterdrückung teilnimmt und sie beschweigt. Nicht so schlimm und verletzend hingegen findet sie, dass wir Frauen darunter leben und leiden müssen. Ich rede von so absurden Situationen wie: du kommst heim und willst deinem Freund erzählen, dass du auf der Strasse schon wieder angemacht worden bist, und du merkst, dass es deinem Freund unangenehm ist, er das Thema wechseln, nichts davon hören will, alles mit einem Hauch von „nicht schon wieder, kann sie denn nicht mal über was anderes reden“ und „immer sind die Männer bei dir schuld, ich fühle mich langsam auch irgendwie angegriffen“. Kennst du, oder?
Du sprichst es an. Es folgt das große Schweigen. Was habe ich falsch gemacht, fragst du dich.
Ich rede von bescheuerten Witzen („ach, triffst du dich wieder mit deinen feministischen Freundinnen, da könnt ihr ja wieder Pläne schmieden um paar Männer zu verdreschen, hahaha“), die darauf hinweisen, dass jemand, der sich sonst mit dem Patriarchat anscheinend 1a definiert, sich von der blossen Forderung nach Gleichberechtigung so angegriffen fühlt, dass er die, die sie fordern, mit denen gleichsetzt, die die Gewalt ausüben. So, als wären es Feministinnen, die vergewaltigen, morden, verprügeln, terrorisieren. War nicht so gemeint? Doch, der Witz lebt ja gerade von der Umkehrung.
Du sprichst es an. Es folgt das große Schweigen. Was habe ich falsch gemacht, fragst du dich.
Es passiert auch, wenn es um Carearbeit geht oder um emotionale Arbeit. Wir sind die, die den Haushalt machen, immer noch. Ich kenne ein Paar um Ende 20, bei dem die Frau putzt, und zwar alles. „Er kann das irgendwie nicht, da mache ich es lieber gleich selber, bevor ich es zwei Mal machen muss.“ (Als könnte man das nicht lernen. Als würden Frauen geboren und wüssten, wie der Haushalt funktioniert.) Und es ist wirklich oft so. Männer behaupten, sie würden nicht „sehen“, wenn was im Haushalt ansteht. Sie „sehen“ den vollen Mülleimer nicht. Sie „sehen“ nicht, dass der Wäschekorb überläuft. Und wenn man durchsetzt, dass sie mal was machen, machen sie es zu spät und so beschissen, dass man heulen könnte. Oder nur halb. Was können sie dafür, dass sie anscheinend rein zufällig ein anderes Sauberkeitsbedürfnis haben als du?
Du kennst das.
Du sprichst es an. Es folgt das große Schweigen. Was habe ich falsch gemacht, fragst du dich.
Dasselbe mit emotionaler und Organisationsarbeit.
Wer denkt an die Geburtstage? Wer plant ein, wann sich die Familie trifft, um diese zu feiern? Wer fragt alle Familienmitglieder, wann sie dazu Zeit haben? Wer bringt alle diese Termine unter einen Hut? Wer plant, was gemacht wird? Was geschenkt wird? Wer wann ankommt? Und wenn wir die Männer an unserer Seite, Brüder, Freunde, Partner, bitten, all das auch mal zu übernehmen, scheinen sie nicht zu verstehen, was wir wollen. Oder sie machen es so crappy, dass die Familie sich plötzlich nur noch einmal im Jahr trifft. Und wir sind dazu verdammt, sie daran zu erinnern, das zu organisieren, nur um dann zuzuschauen, wie sie alles an die Wand fahren.
Du sprichst es an. Es folgt das große Schweigen. Was habe ich falsch gemacht, fragst du dich.
Zunächst mal: das alles, was wir tun, ist Arbeit. Das Patriarchat aushalten ist anstrengend und Arbeit. Gegen das Patriarchat kämpfen ist anstrengend und Arbeit. Frauenarbeit, Organisationskram, emotionale Arbeit, Familienarbeit, Haushalt, all das ist anstrengend und Arbeit.
Männer behaupten, das sei keine Arbeit. Da sie sowas nie machen müssen, wissen sie gar nicht von der EXISTENZ dieser Arbeit. Es ist, als würden sich alle Familienfeiern selbst organisieren, als würde der Haushalt sich von alleine machen, als würden Menschenrechte für Frauen sich alleine erkämpfen usw. Und wenn wir Frauen uns dann endlich von ihnen haben scheiden lassen, wissen sie plötzlich nicht, welche Medikamente das Kind überhaupt kriegt, wie die Spülmaschine funktioniert und wie man nicht total vereinsamt. Denn SIE haben nie auch nur eine einzige Geburtstagskarte geschrieben, sondern die ganze Zeit so getan, als nerve ihre Frau sie beim Fernsehen gucken, wenn sie „wieder rumwuselt, weil sie irgendwie dauernd putzen muss, das ist wie eine Manie“ oder wenn sie „stundenlang am Telefon tratscht“, um irgendwas zu organisieren oder wenn sie wieder über Feminismus redet, was sie, die Männer, halt irgendwie nicht so INTERESSIERT (weil es sie nämlich nicht interessieren MUSS). Muss irgendsoeine Frauensache sein.
Wenn man all das anspricht, all dieses nicht mitziehen beim Kampf gegen das Patriarchat im Kleinen wie im Großen, folgt meistens eine der 5 Taktiken, die vermischt genutzt werden:
Diese Taktiken bewirken, dass der männliche Part NICHTS am aktuellen Zustand ändern muss. Aber nicht nur das. Durch bestrafendes Schweigen bzw. Liebesentzug, durch das Ignorieren werden unsere Verlustängste getriggert und zermürben uns. Durch die angebliche männliche Konfliktunfähigkeit („Hilfe, jemand hat „zu aggressiv“ mit mir gesprochen, ich ziehe mir die Decke über den Kopf und warte, bis Mama nicht mehr böse ist“) und den Rückzug wird die Frau abgestraft dafür, Ansprüche zu stellen. Irgendwann kommt er wieder an. Oder sie kommt angekrochen. Und ist froh, dass wieder „alles gut ist“. Der Konflikt wurde nicht gelöst. Das Problem wird nicht mehr angesprochen.
Also: auch die Arbeit der Konfliktlösung bleibt an uns hängen. Wir machen uns Gedanken. Warum sieht er das Problem nicht? Was können wir tun, um es ihm verständlich zu machen? Welche Worte sollen wir wählen und welchen Ton? Oder warum sieht er das Problem, handelt aber nicht? Was könnte ihn dazu bewegen, etwas zu tun?
Die Blockade- und Verweigerungshaltung erzwingt eine Unterwerfung und Zuwendung, auch gedanklich. Während er es sich leisten kann, total zuzumachen und sich wegzudrehen, sich anderen Dingen zuzuwenden, kreisen unsere Gedanken darum, was um Himmels willen wir tun können, damit sich endlich was ändert. Denn schließlich hat er das Privileg, also auch das Privileg, sich nicht um sein Privileg zu scheren, während wir unsere Unterdrückung nicht einfach ignorieren können, weil sie uns überall begegnet.
Man muss es ihnen sagen. Und nochmal sagen. Aber gefälligst NETT. Und dann nochmal. Und dann muss man es ihnen erklären. Auch das nett.
Wir sagen: „Ich fänds gut, wenn du mal mitdenken würdest“ (wenn es um Familienfeiern geht, wenn es um Verhütung geht, wenn es darum geht wie es den Frauen in den Pornos vielleicht geht, wer sich wie fühlt wenn seine Kumpels in der Disse sexistische Witze reißen, was man tun könnte, wenn auf der Strasse wieder einer grabscht) – aber sie wissen nicht, was wir meinen, wir müssen es erklären, sie sagen ja und wollen schon dafür Kekse, machen trotzdem nichts, wo ist das Problem, fragen wir uns, wie erklären wir es richtig, was sollen wir tun damit er was tut? Es ist, als müsste man sie zum Jagen tragen.
Das Strafschweigen, unter dem ich alles Verhalten, das ich bisher aufgezählt habe, subsumiere, wird von Männern so oft ausgeübt, dass es kein Zufall sein kann.
Egal ob sie sich absichtlich blöd stellen, ob sie „verletzt“ sind, weil wir ansprechen, unter was wir leiden (nämlich am Ende unter ihnen), oder ob sie sich weigern zu sehen, was das Problem ist, nämlich das Patriarchat (und ihre Mittäterschaft).
Strafschweigen bedeutet, verdeckt gegen uns zu agieren. Denn der Konflikt ist kein offener. Er findet aber trotzdem statt.
Strafschweigen bedeutet: wenn du meinst, ein freier Mensch zu sein, dann entziehe ich dir die Liebe, bis du wieder an deinen Platz gehst und kapierst, dass du keine Ansprüche zu stellen hast.
Es ist vollkommen egal, ob dieses Verhalten von Männern bewusst oder unterbewusst stattfindet, ob wir es „typisch männliche Konfliktunfähigkeit“ nennen oder „Beziehungsgestörtheit“ oder „mangelnde Bildung“ oder „fehlende Empathie“. (Alles nicht zufällig „typisch männlich“.) Es ist eine Strategie zur Unterdrückung von Frauen. Es sorgt dafür, dass Männer nie was ändern müssen (denn sie sind eben Männer, gern in der Höhle, konfliktunfähig, nicht gut dabei, Gefühle auszudrücken, nicht gut dabei, sich in die, die sie unterdrücken einzufühlen usw.) während wir gezwungen sind, unsere Frauenrolle mit all der Frauenarbeit wieder ein- und aufzunehmen, weil es sonst keiner macht. Aber nicht nur das, es verhindert auch, dass sich im Patriarchat im Kleinen, nämlich in einer Beziehung, je eine Augenhöhe einstellt – und es vermittelt uns stets die Illusion, dass es an uns liegt, wenn Männer sich nicht ändern (wir waren zu laut und aggressiv, wir haben die falschen Worte gewählt, etwas falsch angesprochen, den falschen Zeitpunkt genutzt usw.) und dass wir kurz davor sind, ihnen begreiflich zu machen, dass sich was ändern muss (vielleicht, wenn wir ihnen einen anderen Artikel über die Analyse patriarchaler Gegebenheiten schicken, vielleicht, wenn wir es nochmal anders formulieren usw.)., während sich ganz einfach nichts ändert und alles bleibt wie es ist, und das ist Gaslighting und eine Tretmühle. Fakt ist nämlich: Männer sind nicht unfähig, etwas zu ändern an ihrer Rolle im Patriarchat. Sie WOLLEN es nicht ändern. Sie schweigen nicht, weil ihnen kein anderer Weg einfällt, damit umzugehen, wenn wir ansprechen, dass sich was ändern muss, und weil ihnen keine Antwort einfällt, sondern ihr Schweigen IST die Antwort, sie lautet:
ICH fühle mich so ganz wohl
ICH nehme in Kauf, dass du unterdrückt wirst
ICH unterdrücke dich selbst
ICH dulde keinen Aufstand
ICH verweise dich an deinen Platz
ICH finde nicht, dass du Ansprüche haben solltest
ICH nehme dich nur, wenn du dich fügst
ICH bestimme und
ICH strafe.
Das ist der erste Schritt. Zu erkennen, dass es ein Muster gibt. Männer strafschweigen, um uns zu bestrafen dafür, dass wir nicht mehr unter ihrem Verhalten leiden wollen. Sie tun dies jeder für sich, in jeder einzelnen Beziehung, aber sie tun es alle irgendwie. Strafschweigen ist die Mikromacht, die Männer nutzen, um ihr eigenes kleines Beziehungspatriarchat aufrechtzuerhalten und damit das große Patriarchat am Leben zu halten.