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Der Freier

09.09.2016

28.10.17

Die Wahl zum österreichischen Nationalrat

Zwei Dinge hat die Wahlauseinandersetzung quasi überraschend gezeitigt. Das war zum einen der vorgeblich in dieser Schmutzigkeit noch nie dagewesene Wahlkampf, zum anderen das Ausscheiden der Partei der Grünen aus dem Nationalrat. Beides war wohl der Verweigerung, politische Inhalte zur Diskussion zu stellen, geschuldet; unabhängig von der Frage, ob die angetretenen Parteien überhaupt inhaltlich differente Positionen besetzten.

Der ÖVP-Führer und österreichische Außenminister hat gezeigt, dass er im Stande war, einen Wahlkampf zu bestreiten, der mit zwei Worten geführt werden konnte: anpatzen und Westbalkanroute. Vor allem „anpatzen“ hatte es ihm angetan. Von Beginn des Wahlkampfs an wurde er nicht müde zu betonen, dass die österreichische Volkspartei, die unter seiner Führung als „Liste Sebastian Kurz – die neue ÖVP“ antrat, einen fairen Wahlkampf führen werde, in dem es um inhaltliche Auseinandersetzungen gehen würde, nicht darum, die Konkurrenten zu verunglimpfen.

Das war damit verbunden, dass Kurz sich in TV-Diskussionen und bei Presseterminen beklagte, die anderen würden sich nicht an diesem fairen Abgleich von inhaltlichen Positionen beteiligen; im Gegenteil, er würde nur schlecht gemacht.Und wie zur Bestätigung tauchten, gerade rechtzeitig und kurz genug nach der Veröffentlichung des letzten Teils des Wahlprogramms der Neuen ÖVP, schwere Vorwürfe in der konservativen Tageszeitung „Die Presse“ und dem konservativen Wochzenmagazin „Profil“ auf: Die SPÖ hätte Facebookseiten betreiben lassen, die aussahen, als hätten private Facebookgruppen um politisch Interessierte oder UnterstützerInnen der einen (ÖVP) oder anderen (FPÖ) Richtung in den Social Media den Außenminister durch Übertreibungen lächerlich gemacht oder durch Gemeinheiten verhöhnt, dies sogar durch Anwürfe mit rassistischen oder antisemitischen Schlagseiten. Die SPÖ wäre also direkt an Dirty Campaigning beteiligt, federführend und mit finanzieller Unterstützung für einen schmutzigen Wahlkampf.

Was aber war geschehen? Die SPÖ hatte eine Reihe von PR-Beratern engagiert, ein Team unter der Leitung von Tal Silberstein, garniert mit Leuten wie Peter Puller, der vorher schon für die ÖVP und die NEOS, eine liberale ÖVP-Abspaltung, die als Kleinpartei im Parlament nun schon in einer zweiten Legislaturperiode vertreten ist, tätig war.Mit dabei auch Rudi Fußi, der Mitglied verschiedener Parteien war, auch der ÖVP und der SPÖ und diverser rechter Abspaltungen und linker Pressure Groups. Tal Silberstein wurde von der SPÖ am 14. August gekündigt und sein Vertrag gelöst, nachdem Silberstein in Israel kurzfristig unter dem Verdacht der Bestechung verhaftet worden war. Die Facebook-Seiten der False Flag-Gruppen „Wir für Sebastian Kurz“ und „Die Wahrheit über Sebastian Kurz“, die auch mit falschen Behauptungen und Kampagnen gearbeitet hatten, waren aber weiter gelaufen unter Wissen von SPÖ-Mitgliedern und -Mitarbeitern. Die Folge war der Rücktritt des Bundesgeschäftsführers und Wahlkampfleiters Niedermühlbichler. Die Folge war aber auch, dass in den letzten beiden Wochen des Wahlkampfs dies das beherrschende Thema war.

Allerdings wurde dieses Thema von der ÖVP (aber auch von den anderen Konkurrenten) so behandelt, als sei hier etwas Einmaliges und noch nie Dagewesenes unter Federführung der Sozialdemokratie geschehen. Zwar verstieg sich Kurz sogar so weit, Dirty Campaigning als Strafbestand im Gesetzbuch einzuführen zu fordern; offensichtlich blieb aber der Strafbestand Sozialdemokrat in der öffentlichen Meinung zurück. Die Partei wurde als ein Haufen dreckiger Intriganten wahrgenommen oder wenigstens dargestellt, dazu mit einer Parteiführung geschlagen, die die Organisation nicht im Griff hatte. Bei der Diskussion um Schmutzkübelkampagnen ging völlig unter, dass den ganzen Wahlkampf hindurch SPÖ-Interna zwar nicht in der ÖVP-Zentrale, aber doch in den Boulevardmedien landeten, weitergeleitet von mutmaßlichen ÖVP-SympatisantInnen im PR-Team Silbersteins.

Ebensowenig wurde diskutiert, dass sowohl der Außenminister als auch die grüne Starker-Mann-Abspaltung Peter Pilz davon sprachen, Österreich wieder „Silberstein-frei“ zu machen. Antisemitismus im Wahlkampf? Aber geh! Man weiß doch ohnehin, wie das gemeint war. Alles andere ist böswillige Unterstellung. Antisemitismus wurde nur dort wahrgenommen, wo auf der Facebook-Seite, die als false flag FPÖ-Herkunft suggerieren sollte, Soros als Einflüsterer von Kurz dargestellt wurde. Keine Rede mehr davon, dass Josef Klaus 1970 gegen Bruno Krieky als „echter Österreicher“ in den Wahlkampf zog. (Bild hier – man vergleiche dieses hübsche Bild mit seiner faschistoiden Ästhetik mit dem Folgenden: https://www.sebastian-kurz.at/person)

Meiner Meinung nach war diese ganze Episode durchdacht vorbereitet und blendend orchestriert. Ausgangspunkt war ein übliches, altbekanntes Verhalten, das bis jetzt noch in jedem Wahlkampf vorgekommen war und womit gerechnet werden konnte. SympathisantInnen der jeweiligen Wahlwerber bringen Material in den Wahlkampf ein, das einmal ironisch, einmal untergriffig, einmal diffamierend ist. Noch beim Wahlkampf um die Bundespräsidentschaft musste van der Bellen auf Gerüchte reagieren, die ihn in die Nähe von Demenz oder Krebserkrankung brachten. Ebenfalls aus dieser Wahl bekannt war die gut vorbereitete Wahlanfechtung, die zur Wahlwiederholung führte, durch den unterlegenen Kandidaten der FPÖ.

Auch hier hatten wir dasselbe Muster. Ein lang bekannter Tatbestand – in diesem Fall bürokratische Unregelmäßigkeiten, die das Leben der Wahlkommissionen erleichterten und schneller zu Endergebnissen führten – wurde zum Anlass genommen, gegen ein unerwünschtes Ergebnis vorzugehen. Dies wurde offensichtlich schon vor der Wahl in Erwägung gezogen, vorbereitet und dann auch durchgeführt. Die Nationalratswahl sollte nun zeigen, was aus der Bundespräsidentenwahl gelernt worden war: Die ersten Behauptungen, man sei die einzige Partei, die fair und inhaltlich in diesen Wahlkampf ziehe, die ersten Andeutungen, dass man unter Diffamierungen zu leiden habe, die Veröffentlichung von SPÖ-Interna durch den Boulevard, die undichten Stellen ÖVP-Beteiligung erahnen ließen, aber nicht beweisen sollten, all dies ließ mehr erwarten.

Schon im Jänner vor dem Wahlkampf und der Machtübernahme Kurz’ hatte die ÖVP eine parlamentarische Anfrage eingebracht, weil Silberstein in Rumänien wegen eines Immobiliendeals verhaftet worden sein soll. Der Haftbefehl war aber in Rumänien abgelehnt worden. Was dann zwar mit der Wahlauseinandersetzung nichts zu tun hatte, aber gut ins Bild passte, waren die „Enthüllungen“ im Boulevard Anfang Oktober über die angebliche „dubiose“ Beteiligung eines unter Korruptionsverdacht stehenden Millionärs an der Firma der Frau des Bundeskanzlers, die in Israel ihren Sitz hat und an der ihr Mann einen symbolischen Anteil unter einem Prozent hält. Auch hier gibt es selbstverständlich keine antisemitischen Ressentiments; Israel ist ja der Rechtsstaat, der gegen Millionäre und SozialdemokratInnen vorgehe, wovon dann in Österreich ein Lied zu singen ist.

Was auf welchen Seiten in den Social Media und im Internet und von wem ausgeschlachtet wurde – es würde zu weit führen, hier all die ohnehin bekannten reaktionären Homepages und Blogs von Journalisten und Parteifreunden anzuführen –, spielt keine Rolle. Es geht genau um zwei Websites, in die die sozialdemokratische Wahlkampfmaschinerie verstrickt war. Alle anderen Lügen, Unterstellungen und Insinuationen bleiben davon unberührt.

Symbolpolitik statt Inhalte

Nun könnte man mit klammheimlicher Bewunderung konstatieren, wie geschickt und professionell die ÖVP in diesen Wahlkampf gegangen ist. Man könnte auch die Frage stellen, warum Kurz damit durchgekommen ist und die Sozialdemokratie nichts darauf zu antworten wusste. Die Antwort ist wohl, dass Kurz als erster darauf abgestellt hat, einen Wahlkampf zu führen, in dem die Inhaltslosigkeit und Unterschiedslosigkeit der wahlwerbenden Gruppen überwunden werden soll. Dies geschieht aber nicht mehr auf politischer Ebene. Es wird nur noch die moralische Ebene (soweit von moralisch gesprochen werden kann – eher ist es die symbolische Ebene; soweit von Symbolen gesprochen werden kann), die hier ins Spiel kommt. Kurz ist jung, Kurz hat Kraft, Kurz hat Mut, Kurz will ändern – und das genügt. Vor allem: Kurz macht keine Fehler! Keine taktischen geschweige denn moralische!

Als Kern die SPÖ übernommen hatte – übrigens ebenso minutiös geplant und vorbereitet wie bei seinem konservativen Widersacher –, hatte er den Fehler begangen, inhaltlich auf die Politik – in der Partei, in der Gesellschaft, in den parlamentarischen und demokratischen Institutionen – einwirken zu wollen. Er hatte sich als Veränderer, als Reformator geriert und sich von Anfang an die Hände schmutzig gemacht. Kurz kam als Erlöser (was möglicherweise in einer christdemokratischen Partei leichter ist als in einer sozialdemokratischen) und als solcher war er die Niederungen der alltäglichen Auseinandersetzungen nicht mehr anzutreffen. In dieser Auseinandersetzung gibt es keinen Blumentopf zu gewinnen.

Hier unterscheidet nichts mehr die einen von den anderen oder anders gesagt: Es geht nur noch um die verschiedenen Nuancen der Rechtsentwicklung. Gemeinsame EU-Außenpolitik? Wenn das aggressive imperialistische Grenzschutz- und Kriegspolitik (vulgo friedenssichernde Maßnahmen) bedeutet, sind auch die EU-Gegner dafür. Verfassungs- und Bundesstaatsreform? Wenn das Einsparungen bei der Verwaltung der Kammern und Sozialversicherungsträger (vulgo Kürzung von Leistungen, Subventionen und Transferzahlungen) bedeutet, sind alle dafür.

Sozialstaatsabbau? Sind auch alle dafür. Gestritten wird nur um das Ausmaß und um die Verwaltungsbürokratie. Auf gemeinsame bundesweite Regelungen über den Bezug der Mindestsicherung konnte man sich nicht einigen, aber die Deckelung der Bezüge beziehungsweise deren Kürzung ist ausgemachte Sache. Hauptsache, es kann erzählt werden, dass sich die „Zuwanderung in ein Sozialsystem“ (O-Ton Kurz) nicht lohnen darf. Hauptsache, es kann erzählt werden, dass niemand Geld bekommen darf, „der noch keinen Cent in das System eingezahlt hat“ (O-Ton H. C. Strache). Hauptsache, wir halten so die MigrantInnen draußen! Das muss uns doch ein paar Armutsfälle mehr bei der einheimischen Bevölkerung wert sein!

Das Ausscheiden der österreichischen Grünen

Womit wir zu den Grünen kommen. Angeblich war ihr Verlust der Parlamentszugehörigkeit das Ergebnis einer Summe von Eigenfehlern, deren Gipfel die Trennung von Peter Pilz war. Meines Erachtens war der größte Fehler der Grünen, dass sie das Spiel aller mitgemacht haben. Die P.A.R.T.E.I. hat seinerzeit bei ihren Auftritten die Parole „Inhalte überwinden!“ ausgegeben. Im Wahlkampf zur Nationalratswahl wurde nun demonstriert, wie man diese Parole umsetzt und mit Leben füllt. „Sei ein Mann – wähle eine Frau! Das ist grün!“ beispielsweise war ein Slogan, der auf den Plakaten mit dem Konterfei der Spitzenkandidatin zu lesen war. Folgerichtig war auch den Kommentaren zum katastrophalen Abschneiden der Grünen zu entnehmen, dass die Spitzenkandidatin (Ulrike Lunacek, eine keineswegs unsympathische, äußerst gebildete und hochkompetente Außen- und EU-Politikerin) bei den Leuten nicht angekommen wäre: zu wenig griffig, zu humorlos, zu sachlich sei sie, und ähnlicher Unfug wurde behauptet.

Zwar war das Abschneiden der Grünen durchaus eigenverschuldet, aber weder durch die Querelen um die Jungen Grünen, die aus der Partei ausgeschlossen wurden, noch durch den überraschenden Rückzug der Parteiobfrau kurz darauf, noch durch das Verweigern des gewünschten Listenplatzes für Peter Pilz und sein Antreten mit eigener Liste in der Folge, das angeblich von langer Hand vorbereitet gewesen sei und seinen Grund darin habe, dass die Partei sich nicht zu einer linkspopulistischen Ausrichtung hatte durchringen können und Pilz von Glawischnig, der damaligen, nunmehr ehemaligen Obfrau rüde zurechtgewiesen wurde. Das alles wurde zwar – je nach Standpunkt – genüsslich aufgezählt oder bitter beklagt, aber die erfolgreiche Teilnahme an Landesregierungen war es, die zum politischen Desaster geführt hat. Sie wurde nie wirklich durch eigene politische Handschrift legitimiert, im Gegenteil. In Vorarlberg hat die Grüne Partei die Kürzung der Mindestsicherung mitbeschlossen und dies noch als Modell für ganz Österreich angepriesen. Worin sich also die Grünen von einer liberalen Partei wie den NEOS unterscheiden, außer in einem weniger aggressiven Auftreten, ist nicht auszumachen.

Abschließend ein paar Worte zur nicht existierenden Linken in Österreich. Vor einem Jahr war der „Aufbruch“ mit einer Konferenz von über 1.000 Beteiligten an die Öffentlichkeit getreten; eine Sammelbewegung enttäuschter Grüner, sich treu gebliebener SozialdemokratInnen, postmoderner BewegungsaktivistInnen und politischer Reste aus Wiederaufführungen der Zwischenkriegs- und Nachkriegszeit – einige aus der KP, einige aus dem Trotzkismus, einige wenige MaoistInnen. Ein halbes Jahr später war von Aufbruch keine Rede mehr und vor der Wahl konnte sich der „Aufbruch“, der zur Partei hätte werden wollen, nicht einmal mehr zu einer Wahlempfehlung durchringen. Der Tiefpunkt war ein Rundmail, in dem aufgefordert wurde, eine Kleinpartei zu wählen. Und das ist kein Witz, keine billige Anekdote. Das ist der Zustand der österreichischen Linken, die seit dem Tod Otto Bauers nichts mehr zu Wege gebracht hat. Heute ist Otto Bauer nur noch eine Gasse im sechsten Wiener Gemeindebezirk und in seiner Partei vergessen und ungelesen, geschweige denn mit Marxismus in Zusammenhang gebracht; ein Schicksal, das ein Symbol für den intellektuellen und moralischen Niedergang der österreichischen Linken ist.

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