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09.09.2016

22.04.16  | Kritik

Schluss mit lustig

Erst wenn Satire sich von direkter, plumper Kritik löst und das Uneigentliche thematisiert, funktioniert sie als kritisches Instrument. Ändern tut das aber nichts. Von Hilarius Ekhel

Was ist die angemessene Form für Kritik an Missständen? Als Königsform des gewitzten Protestes gilt die Satire, die in vielerlei Gestalt auftreten kann. In Deutschland bildet das Satiremagazin TITANIC die Speerspitze pointierter Kritik in Witzeform. Obwohl in relativ geringer Zahl verkauft, hat das Heft aufgrund seiner intelligenten Kritik am Weltgeschehen und vor allem an dessen medialem Echo eine große Fangruppe unter dem aufgeklärteren Teil der Bevölkerung. Zudem sorgt die TITANIC in reaktionären Blättern wie WELT, BILD und FOCUS regelmäßig für die empörte Frage: „Was darf Satire?“ und bringt damit Menschen gegen sich auf, für der Witz volkstümlich und systemkonform zu sein hat. Neben der gedruckten oder ins Internet gestellten Satire (z.B. dem bräsigen „Postillon“) haben sich in den vergangenen Jahren sehr direkte satirische Formen entwickelt, die die Kritisierten in aktionistischer Weise direkt angehen und in verschiedenen medialen Kanälen Verbreitung finden. Protagonisten sind die vielfach als Aktionskünstler bezeichneten Yes Men, das Berliner „Peng!- Kollektiv“ oder der gewiefte Satiriker Martin Sonneborn, der seit vergangenem Jahr als Europaparlamentarier seinen Kollegen den Spiegel vorhält und dafür von diesen beschimpft, von Außenstehenden gefeiert wird.

Neben der Satire in Printmedien erleben seit einigen Jahren satirische Formen im TV einen beachtlichen Aufschwung, besonders im öffentlich-rechtlichen Fernsehen. Seit 2009 ist die Heute-Show auf dem Markt, die deutsche Adaption der amerikanischen „Daily-Show“, deren Frontmann der Sportmoderator Oliver Welke ist. Das Format hat zahlreiche einschlägige Auszeichnungen erhalten und gilt in Teilen der sich als aufgeklärt empfindenden Kreise als zitierfähig. Die „Heute-Show“ verwendet neben Slapstick, Nonsens und klassischem Stand-Up durchaus bissige satirische Elemente, wie man sie in dieser Ballung zuvor vielleicht nicht im ZDF erwartet hätte. (En passant sei festgehalten, dass sie sich dabei mehrfach im Witze-Arsenal der TITANIC bedient hat.) „Die Anstalt“ (ZDF) hat sich unter Claus von Wagner und Max Utthoff zu einem engagierten Sozialkundeunterricht verändert, der bittere Wahrheiten gelegentlich auch so präsentiert, dass dem Publikum das Lachen im Halse stecken bleibt. Einige Darstellungsformen weisen dabei weit über die Genregrenzen des klassischen Kabaretts hinaus. In der ARD setzt man eher auf Sendungen wie den „Satiregipfel“, die den Reaktionär lachen machen und durch ihre Quoten beweisen, dass Satire im Mainstream angekommen ist. Auch den Pro-Sieben-Clowns Joko und Claas gelingt ab und an eine treffende Kritik am gesellschaftlichen Wahnsinn.

Seit 2015 strahlt das ZDF, auch im Rahmen seiner Bemühungen um eine Verjüngerung der Zielgruppe, das „Neo-Magazin“ im Hauptprogramm aus. Das von Jan Böhmermann präsentierte Neo-Magazin hat bereits mehrfach mit clever lancierten, innovativen Aktionen für Gesprächsstoff gesorgt. Angesichts der Reaktionen auf Böhmermanns jüngsten Coup (eine intelligente, weil doppelbödige Satire), könnte man sogar meinen, dass die Satire ein geeignetes Medium für gesellschaftliche Kritik sei.

Hat Satire revolutionäres Potential?

Gesellschaftskritik hat einen schweren Stand in der heutigen Öffentlichkeit. Die Frage, die sich stellt, ist: Kann dies durch Satire aufgebrochen werden? Was passiert, wenn Leute, die nie im Leben darauf kämen, das „Kapital“ zu lesen, bei Oliver Welke über laue TTIP-Witzchen lachen?

Man fragt sich, was sich Fernsehsatiriker einbilden, wenn sie in Interviews inbrünstig von einem Wunsch nach Veränderung sprechen, der sie antreibe. Auf Umgestaltung ist Satire nicht angelegt, denn naturgemäß fehlt ihr der konstruktive Ansatz, da dieser den Lacheffekt mindern würde, der in der Reduktion auf den Missstand und dessen Verächtlichmachung wurzelt. Wenn also die Veränderung des Bestehenden durch satirische Kritik ausgeschlossen ist, hat sie vielleicht wenigstens den Nutzen, die Leute auf elegante, weil intelligente Weise mit der Nase in den Misthaufen zu stupsen? Es spricht Einiges dafür, dass das Gegenteil der Fall ist:

  1. Satire ist ein ideales Mittel zur Dissonanzreduktion, also zur Beseitigung gelebter Widersprüche durch schlichtes, idealiter kollektives Ablachen (vgl. Freud). Das Publikum kann seine Empörung bequem an das Bühnenpersonal delegieren. Nach dem Lachen hat sich das Problem weitgehend erledigt. Bestenfalls hat man eine neue Haltung zu dem Problem eingenommen, die aber lediglich darin besteht, dass man es fortan von oben herab betrachtet.

  2. Hinzu kommt, dass aus sozialpsychologischer Sicht aus Aufklärung keine Verhaltensänderung erwachsen kann. Der Intellekt steuert nicht die moralischen Entscheidungen. Das Lernen nach positiv besetzten Vorbildern (also das mehr oder weniger unbewusste Nacheifern) stellt zweifellos die effizienteste Art der Verhaltensänderung dar. So entstehen Trends, Moden, Bewegungen.

  3. Die fernsehtypische Mitlach-Satire packt den Bundesbürger beim Edelsten, was er hat: seinem Narzissmus. Durch Mitlachen beweist er seinen Intellekt und seine Zugehörigkeit zum aufgeklärten Teil der Bevölkerung. Diese durch das Mitlachen erhaltene Bestätigung (gibt es überhaupt Formate, bei denen es nicht die implizite Aufforderung zum Mitlachen durch das Publikum gibt?) befriedigt den Konsumenten vollauf. Sie ist folgenlos und mit keiner lästigen Aufforderung verbunden.

  4. Die (Fernseh-)satire gibt politische Akteure der Lächerlichkeit preis. Damit gibt sie den ansonsten machtlosen Zuschauern die Möglichkeit, sich für eine kurze Zeit über die Mächtigen zu erhöhen. (Ebenfalls ein narzisstisches Phänomen.) Dieser Wirkungsmechanismus vermindert fatalerweise das Interesse der Zuschauer daran, die Verhältnisse zu verändern. Die bestehende Machtlosigkeit wird affirmiert.

  5. In einer durchironisierten Welt ist mittlerweile alles zum Lachen. Selbst Gelehrte eröffnen ihre Vorträge mit schlichten Witzchen, die mit wissendem Gelächter quittiert werden. Im Management und erst recht in der politischen Klasse sind Humor und „Über-Sich-Selbst-Lachen-Können“ sog. Kernkompetenzen. Da fühlen sich gleich alle als Satiriker („Je suis Charlie“ …). Wenn aber alle Satiriker sind: Wen gibt es da noch einzugreifen?

  6. Intelligente Satire wird von der Masse des Publikums überhaupt nicht verstanden. Das zeigt das Bohei um Böhmermann, der ja nicht einfach die Person Erdoğans, sondern – sehr präzise – dessen Umgang mit medialer Kritik angegriffen hat. Wenn man nicht davon ausgehen kann, dass die Botschaft verstanden wird – wie soll dann ihre kritische Wirkung kalkuliert werden? Intelligente Satiriker wie Martin Sonneborn machen sich da keine Illusionen und sprechen von der „absoluten Wirkungslosigkeit von Satire“.

Worin liegt nun also der politische Nutzen der Satire? Der Härtegrad an satirischer Kritik, der bislang von der Politik, die das ZDF kontrolliert, geduldet wird, ist bemerkenswert: Bereits dies deutet darauf hin, dass Satire für die politische Klasse kein Problem mehr darstellt. Im Gegenteil: Wer am Bestand des Systems interessiert ist, findet in der televisional verbreiteten Mainstream-Satire einen hervorragenden Stabilisator. Ausgedrückt wurde das schon vor 2500 Jahren vom griechischen Komödienautor Aristophanes, der die exzessive Machtpolitik des Generals Kleon kritisierte und dafür im Athen des 5. Jhs. v. Chr. unter enormen Druck geriet. Doch wusste der Schriftsteller nur zu gut, dass seine Kritik verpufft und ließ eine Figur sinngemäß sagen:

„Heute lacht ihr noch über Kleon, doch nächstes Jahr wählt ihr ihn erneut zum Strategen.“

Die Satire hat sich über Welt nur verschieden lustig gemacht; es kommt aber darauf an, sie zu verändern.

 

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