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09.09.2016

23.10.15  | Nachrichten

China vor der nächsten Krise

Die aktuellen Wirtschaftsdaten aus China verleiten die deutschen Interpreten zu fröhlichem Zukunftsoptimismus. Den wollen wir ihnen hiermit verderben.

Mit Spannung wurden in dieser Woche an den Aktien- und Finanzmärkten die aktuellen chinesischen Wirtschaftsdaten erwartet. Diesen Montag war es nun soweit und die Richtung ist eindeutig: nach unten. Zwar wirkt ein offiziell verkündetes Wachstum der chinesischen Wirtschaft von 6,9% für das letzte Quartal erst einmal recht beachtlich, doch eine genauere Betrachtung der Zahlen lässt an der Zuversicht so mancher bürgerlicher Blätter zweifeln.

Es ist das geringste Wachstum seit dem Einschlagen des letzten Krisenschubs 2009. In dem Jahr wurden kaum tiefere Zahlen von 6,2% Wachstum verkündet.

Bei der Bewertung der Wirtschaftsdaten ist zunächst davon auszugehen, dass die chinesischen Offiziellen wissen, dass nicht nur die Konjunktur die Konjunkturdaten beeinflusst, sondern auch in gewisser Weise das Umgekehrte der Fall ist. Die Möglichkeiten mit einem autoritär gelenkten Staatsapparat die Zahlen zu beschönigen und somit den eigenen ökonomischen Interessen zu dienen sind mit Sicherheit größer, als in den liberalistischen Staaten des Westens. Nichtsdestotrotz lassen sich auch aus geschönten Zahlen der chinesischen Statistikbehörde gewisse Trends ablesen, die auf eine anstehende neue Krisenverschärfung hindeuten, die sich aber für die chinesische Ökonomie aber meist „nur“ als Verringerungen der Wachstumsraten ausdrücken, seltener als reale Rückgänge.

Rückgang der Kreditvergabe

Die Rate der Kreditvergabe für Investitionen ging in China um über 4% zurück, was nichts anderes bedeutet, als dass die wirtschaftliche Tätigkeit der Unternehmen, deren Basis der Kredit ist, stagniert und weiter zurückgehen wird. Die Ursachen können dreierlei sein: Einerseits dürfte die Auftragslage der Unternehmen zurückgegangen sein, sodass eine kreditfinanzierte Investition keinen Profit abwerfen würde. Zweitens dürften aus dieser Tatsache heraus auch schon einige Unternehmen in ernsthafte Finanzierungsprobleme geraten oder pleite gegangen sein, was zudem die Geschäftsbanken bei der Kreditverganbe vorsichtiger machen dürfte. Und das, obwohl der Leitzins der chinesischen Zentralbank im August erneut gesenkt wurde – das fünfte Mal seit November 2014 – und nun bei einem historischen Tiefststand von 4,6% liegt, die chinesischen Privatbanken also so günstig Kredite vergeben können (und müssen, da die Kreditzinsen auch weitestgehend von der chinesischen Zentralbank festgelegt werden), wie noch nie. Zudem seien, so die Nachrichtenagentur Reuters, die Mindestreservestandards der Banken, also diejenige Menge Geld, die die Privatbanken tatsächlich vorrätig haben müssen, das dritte Mal in diesem Jahr gesenkt worden.

Keynesianismus bei den Investitionen

Im Bereich der Sach-Investitionen, also der Anlage von Kapital als fixem Kapital (Gebäude, Maschinen, Produktionsmittel aller Art), ist der Anteil privater Kapitalinvestition geringer geworden, der Anteil des Staates und seiner Unternehmen an den Sach-Investitionen („fixed assets“), deren Wachstum sich insgesamt verlangsamt, um 16,4% im Vergleich zum Vorjahr gestiegen und macht nunmehr über ein Drittel der Gesamtinvestitionen aus. Diese klassische keynesianistische (oder anti-zyklische) Wirtschaftspolitik beruht auf der Hoffnung, dass, gleich dem natürlichen Anstieg und Fall des Meeresspiegels, die Konjunktur sich abflaut und natürlicherweise wieder ansteigen wird, wenn nur die Konjunkturflaute durch staatlichen Eingriff ausreichend überbrückt wurde.

Ende des Immobilienbooms

Neben den positiven Meldungen der Statistikbehörde über einen anhaltend ausgeprägten Handel mit Immobilien, sind insbesondere die Investitionen in Gebäude zurückgegangen, deren Bau dieses Jahr erst begonnen hat: sie gingen insgesamt mit 12,6% zurück. Der Anteil an privaten Eigenheimen daran um 13,5%. Der Bau- und Immobilienboom in China scheint vorbei zu sein, was sich nur bedingt durch Stützungsmaßnahmen des Staates ausgleichen lässt, da auch er nur begrenzt Häuser kaufen wird, die niemand braucht. Das wird Auswirkungen auf die gesamte Bau- und Zuliefererindustrie haben, die bisher ein bedeutender Wachstumsfaktor in der chinesischen Binnenökonomie war. Was sich darin zudem widerspiegelt, ist das Ende des gepumpten Reichtums der chinesischen Mittelschicht: Infolge des Baubooms und lockerer Kredite sind die privaten Eigenheimkäufe in China enorm angestiegen. In Folge des wirtschaftlichen Einbruchs, der auch die Lohnarbeitsverhältnisse der chinesischen Mittelschicht bedroht sowie in Folge der Kursverluste Anfang Juli, die mit den 30% des in China notierten Aktienvermögens auch so manches kleines Privatvermögen vernichtet haben dürften, ist die keynesianistische Hoffnung darauf, dass die chinesische Wirtschaft die Talsohle bald durchschritten hat, wohl etwas sehr optimistisch. Mit den wegbrechenden Löhnen wird der Konsum ebenfalls zurückgehen und somit die klassische Krisenspirale in Gang gesetzt.

Stockungen im Außen- und Wertpapierhandel

Auch die Werte für den Außenhandel sind deutlich zurückgegangen: Allein im September, so berichtet die FAZ, war der Außenhandel um 8,8% zurück gegangen. Die Importe sanken um 17,7% im Vergleich zum Vorjahresmonat.

Zudem sind die Investitionen aus dem Ausland um 26% zurückgegangen. Dass die einheimischen Kapitaleigner sich nicht zu sehr aus den Geschäften zurückzogen, wie ihre „falschen Brüder“ aus dem Ausland, liegt wohl weniger an fehlender Einsicht, als an drohender Strafverfolgung. Wie das Handelsblatt bereits im Juli berichtete, wurden, in Folge des Börsensturzes vom Juli, so genannten „Leerverkäufen“, also der Spekulation mit fallenden Aktienkursen, die Strafverfolgung durch die chinesische Börsenaufsicht angedroht. Zudem wurde kurzzeitig der Handel mit den Papieren von 1400 Unternehmen, also der Hälfte aller in Schanghai notierten, ausgesetzt, um zu verhindern, dass die Aktienbesitzer ihr Geld abziehen und sich die Entwertung der Aktien verselbständigt. Ferner wurde beschlossen, dass, wer mehr als fünf Prozent an einem Unternehmen hält, diese Anteile in den sechs Folgemonaten nicht veräußern darf. Banken und Versicherer sollten die Gunst der Stunde lieber nutzen, so das Finanzministerium, und sich mit günstigen Wertpapieren eindecken. Sollte diese Regelung nicht verlängert werden, ist davon auszugehen, dass im Februar 2016 in China die Kurse stürzen.

Wie man sieht, hat ein autoritärer Staat hat für die Finanzmarktstabilität gewisse Vorzüge. Wobei sicher auch den chinesischen Finanzmarktexperten bewusst ist, dass die Auslandsinvestitionen nicht wahrscheinlicher werden, wenn die jeweiligen Kapitalbesitzer Angst haben müssen, dass sie ihr angelegtes Kapital nicht jeder Zeit wieder abziehen können.

Der prozessierende Widerspruch

Auch wenn die Blätterwald hierzulande etwas anderes verkündet, die Zeichen stehen für China und die kapitalistische Weltwirtschaft auf Krise. Trotz der miesen ökonomischen Wetterlage sind Chinas Machthaber und die bürgerlichen Ideologen zu Zwangsoptimismus verpflichtet. „Die Talsole ist bald durchschritten“, das ökonomische Wachstum sei schwach aber stabil und bei stärkeren Staatsausgaben, günstiger Kreditausschüttung und weiter sinkendem Leitzins dürfte Chinas Wirtschaft „wieder auf die Beine kommen“, orakeln die Analysten. Nur sind, wie in der letzten Woche bereits erwähnt (Ausgabe 24/15) die staatlichen Stellschrauben für den Aufschub der kommenden Entwertung beinahe bis zum bersten angezogen. Und auch in China wird sich bei noch so autoritärer Staatsführung der Entwertungskrach der produktiven Überkapazitäten nicht mehr ewig aufschieben lassen. Irgendwann sind auch hier die Devisenreserven für (im kapitalistischen Sinne überflüssige) Investitionen aufgebraucht, der Leitzins und die notwendigen Bankreserven auf Null gesenkt. Der prozessierende Widerspruch zwischen den gigantischen Produktionskapazitäten und der beschränkten und allmählich wegbrechenden Konsumtion in China wird früher oder später auch dort sich in einer gewaltigen Entwertung entladen, deren Auswirkungen schon jetzt ihre Schatten die Ölindustrie werfen. Warum angesichts solcher Entwicklungen der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) mit einem weiteren Exportwachstum für die deutsche Industrie rechnet, kann eigentlich nur mit der ideologischen Befangenheit der Vertreter*innen des deutschen Kapitals erklärt werden. Umso größer dürfte die Verwunderung über die „unvorhergesehene“ Krise, um so wütender die Suche nach den Schuldigen ausfallen.

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